Erdogan taugt nicht als Partner
Nach langem Zögern hat die Türkei vor einer Woche damit begonnen, Luftangriffe gegen den Islamischen Staat zu fliegen. Als Partner im Kampf gegen die Terror-Organisation komme die Türkei aber nicht in Frage, kommentiert Sylke Tempel, Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik".
Er war einmal ein Reformer, der seinem Land Wirtschaftswachstum, Ansehen und den endlich überfälligen Friedensprozess mit den Kurden bescherte.
Nach zwölf Jahren Herrschaft ist aus Recep Tayib Erdogan ein selbstgefälliger Machtmensch geworden, der rachsüchtig und rücksichtslos jeden zum Todfeind erklärt, der ihn enttäuscht hat oder der Alleinherrschaft des Möchtegern-Sultans im Wege steht.
Demonstranten ließ er niederprügeln – schlicht, weil sie einen beliebten Park im Zentrum Istanbuls nicht für einen weiteren Erdogan'schen Monsterbau opfern wollten. In Ägypten setzte er allein auf die Regierung der Muslimbrüder. Nachdem sie gestürzt wurden, fand sich die sunnitische Türkei mit dem ebenfalls sunnitischen Ägypten in einer tiefen Feindschaft wieder.
Erdogan verheddert sich in selbst gesponnen Fäden
Syriens Diktator Bashir al Assad umschmeichelte er wie kaum einen anderen Staatschef. Als Assad die ersten, zaghaften Demonstrationen gegen ihn brutal niedermachen ließ und nicht auf Erdogans Rat hören wollte, sich aus der Umarmung der Iraner zu befreien, vollzog Erdogan die radikale Kehrtwende. Jetzt wollte er dringend den Sturz Assads. Deshalb öffnete er Dschihadisten aller möglichen Verbände, darunter auch Kämpfern des Islamischen Staats, recht großzügig die Grenzen in das Nachbarland Syrien.
Wie schon viele vor ihm, glaubt offensichtlich auch Erdogan, das ewige nahöstliche Prinzip "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" clever zu beherrschen. Und wie viele vor ihm, verheddert auch er sich in den Fäden, die er selbst gesponnen hat. Die Dschihadisten, die er gerne im Kampf gegen Assad sah, wurden ihm selbst zur Gefahr. 32 Menschen, die meisten davon Jugendliche, fielen vor kurzem einem Terroranschlag der IS in Suruc zum Opfer. Die IS beißt auch die Hände, die sie einmal fütterten.
Es geht nicht um den Islamischen Staat
Der Wille zur Einsicht aber ist Erdogan nicht gegeben. Im Gegenteil. Je tiefer seine Enttäuschung, desto stärker holt er zum Gegenschlag aus. Dass das NATO-Mitglied Türkei nach jahrelanger Weigerung der führenden NATO-Macht USA endlich Überflugrechte gewährt, um Luftangriffe gegen den IS zu führen; dass die Türkei jetzt sogar selbst den IS bekämpft, hat ja nicht so sehr mit einem Sinneswandel zu tun. Erdogan geht es nicht um den Islamischen Staat. Diese Angriffe sind nichts als ein Deckmantel, um brutal gegen seine innenpolitischen Feinde vorzugehen.
Er schlägt die kurdische PKK, die in den USA und Europa als Terrororganisation gilt, und deren Kämpfer neben den irakisch-kurdischen Peschmerga die gesamte Drecksarbeit der Bodenoffensive gegen den IS leisten. Mit der Bombardierung der PKK-Stellungen will Erdogan verhindern, dass ein zusammenhängendes Kurdengebiet entsteht, das bis in die Türkei reichen und womöglich zu Sezessionsbewegungen führen könnte. Und noch wichtiger: Er will Selhattin Demirtas, den Chef der türkisch-kurdischen HDP treffen. Gegen ihn wurde jetzt ein Verfahren wegen Verrats eingeleitet, da er ja angeblich seine Befehle von der PKK erhielte. Und warum? Weil Demirtas nach einem intelligent und weltoffen geführten Wahlkampf den Lebenstraum des Aufsteigers aus Istanbuls Armenviertel zerstörte.
Von Erdogans Erfolgen ist nichts übrig geblieben
Erdogan wollte eine absolute Mehrheit, um endlich eine Präsidialdemokratie zu errichten, die wohl eher die Bezeichnung Neo-Sultanat verdienen würde. Demirtas hat diesen Traum – vorerst jedenfalls - platzen lassen, als seine Partei die ohnehin undemokratische Zehn-Prozent-Hürde übersprang und damit eine absolute Mehrheit der AKP verhinderte. Erdogan will Demirtas und seine politischen Gegner als Terroristen diffamieren, per Verhaftungswelle auf möglichst breiter Front ausschalten und in neuem Anlauf zu absoluter Mehrheit und Erdogan-Diktatur Neuwahlen ausrufen.
Nichts ist von Erdogans Erfolgen übrig geblieben. Er hat sie im Wahn seiner eigenen Rachegelüste selbst zerstört. Das ist geradezu tragisch für die Türkei, die er immer weiter ins Unheil zieht. Das zeigt aber auch: Als Partner des Westens im Kampf gegen den Islamischen Staat taugt der erratische Erdogan nicht.