Gold satt – Bäume platt?
Ein russisch-kanadisches Firmenkonsortium will in Französisch-Guayana die erste industrielle Goldmine bauen und hat am Freitag sein aktuelles Angebot vorgelegt. Umweltschützer und Indigene protestieren. Jetzt liegt die Entscheidung bei Staatspräsident Macron.
Baumkronen bis zum Horizont: Eine Stunde lang fliegt der Hubschrauber über dichten Regenwald, landet dann auf einer rotbraunen Piste. Pierre Paris, Direktor der Bergbaufirma "Compagnie de la Montagne d'Or", will sein großes Industrie-Projekt in Guayana vor Ort erklären. Diesmal hat er den Helikopter eigens für die Journalistin des Deutschlandradios gechartert. Der Bergbauingenieur steigt aus, zeigt um sich: Rund um den Landeplatz wachsen keine Urwaldriesen mehr, sondern Gräser, Büsche, junge Bäume. Teilweise ist die Erde auch nackt.
"Wir stehen am Rand der Zone, wo die Grube entstehen soll – falls wir unser Projekt verwirklichen können. Hier wächst Sekundärwald. Der Grund: In dieser Gegend wird schon seit 140 Jahren Gold abgebaut. Wir wollen einen Großteil unserer Anlagen in diesem Sektor errichten, um so wenig Primärwald wie möglich zu roden."
Bei ihren Sondierungen hat die Bergbaufirma das bislang größte bekannte Goldvorkommen des Landes entdeckt. Es liegt zwischen zwei Bergrücken, beide sind als biologische Schutzzonen ausgezeichnet.
Urwald muss für Bergwerk weichen
Falls die französische Regierung mitspielt, werden bald Bulldozer und Planierraupen anrollen, das Tal zerfurchen und einen riesigen Tagebau anlegen.
"Der Industriekomplex soll acht Quadratkilometer einnehmen", sagt Paris. "Die bereits geschädigte Waldzone genügt dafür nicht: Weitere 3,6 Quadratkilometer Urwald müssen für das Bergwerk weichen. Das entspricht einer Fläche von 500 Fußballfeldern. Nicht eingerechnet sind Schneisen für die Zufahrtsstraße und die Hochspannungsleitung."
Der Hubschrauber trägt uns über einen Hügel. Dort soll die Siedlung für die Arbeiter entstehen, mindestens 450 Zimmer plus Freizeiteinrichtungen.
"Wir wollen 85 Tonnen Gold gewinnen"
Derzeit gibt es hier ein paar Holzhäuser im Schatten grüner Mangobäume, außerdem Unterstände mit Metallregalen. In den Fächern sind Felsproben einsortiert. Die Bergbaufirma hat 60.000 Bohrkerne aus dem Boden extrahiert, um die Goldvorkommen zu evaluieren. Das Ergebnis:
"Eine Tonne Erz enthält 1,5 Gramm Gold. Wir wollen jährlich viereinhalb Millionen Tonnen Erz zu Sand zermahlen, über zwölf Jahre hinweg, um insgesamt 85 Tonnen Gold zu gewinnen."
Die Goldförderung verspricht viel Profit, verlangt aber auch enorme Investitionen. Die "Compagnie de la Montagne d'Or" hat bereits 70 Millionen Euro in das Vorhaben investiert, für den Bau der Fabrik veranschlagt sie 780 Millionen Euro. Die guayanische Firma wird von Ausländern finanziert: Mehrheitsaktionär ist das russische Goldbergbauunternehmen Nordgold, Juniorpartner ist das kanadische Förderunternehmen Canadien Colombus. Die Multinationalen rechnen mit einem Reingewinn von 633 Millionen Euro. Dazu müssten gigantische Mengen Gestein bearbeitet werden.
Täglich 80.000 Tonnen Fels sprengen
Täglich zur Mittagszeit sollen die Arbeiter 80.000 Tonnen Fels sprengen. Das darin enthaltene Erz wird zermalmt und in geschlossenem Kreislauf mit Natriumcyanid-Lösung versetzt, um das Gold herauszulösen, sagt Pierre Paris.
"Wenn wir eine moderne Fabrik bauen, die mit Cyanidlaugung arbeitet, können wir 94 Prozent des Golds aus dem Gestein herauswaschen. Wir wollen das Erz maximal ausschlachten und die Grube so weit wie möglich in die Tiefe treiben, um die Abholzung möglichst gering zu halten."
Der Einsatz von Cyanid ist bei der industriellen Goldgewinnung üblich, wird aber von Umweltschützern scharf kritisiert. Welche Gefahren diese Technik birgt, zeigte sich im Jahr 2000: Damals brach in der Goldmine von Baia Mare, in Rumänien, ein Damm. Die mit Schwermetallen versetzte Cyandidlauge geriet in die Umwelt. Sie vergiftete Trinkwasser und Fische und gelangte über Zuflüsse sogar bis in die Donau.
EU-Kommission gegen Verbot von Cyanidlauge
Das Europäische Parlament und der Deutsche Bundestag haben mehrmals ein Verbot der Cyanidlaugung gefordert, aber die EU-Kommission stellt sich quer. Brüssel befürchtet Nachteile für die Industrie, weil bislang keine andere effektive Technik bekannt ist. Um das Reizthema Zyanid zu entschärfen, ist die "Compagnie de la Montagne d'Or" kürzlich dem "Internationalen Cyanid-Management-Kodex" beigetreten. Der Kodex schreibt hohe internationale Sicherheits-Standards beim Anwenden von Cyaniden vor. Firmenchef Pierre Paris argumentiert, dass der Bau einer riesigen Goldmine nicht nur für seine Aktionäre, sondern auch für Guayana gewinnbringend sei.
"Dieses Projekt wird 750 Stellen schaffen, über 12 Jahre hinweg. Wir wollen überwiegend Einheimische einstellen. Wir haben schon damit begonnen, Arbeitskräfte für unsere Zwecke ausbilden zu lassen. Darüber hinaus werden wir – wie jede große Firma – viele Zulieferer beschäftigen. Rund um unsere Mine dürften mindestens 3000 weitere Stellen entstehen."
Die Mine als Geschenk des Himmels
120 Kilometer nördlich von der geplanten Goldmine liegt Saint-Laurent-du-Maroni, die zweitgrößte Stadt in Guayana. Von den rund 70.000 Einwohnern sind zwei Drittel jünger als 25 Jahre. In dieser Altersgruppe beträgt die Arbeitslosigkeit 44 Prozent, sagt die Bürgermeisterin Sophie Charles. Viele tausend Heranwachsende haben keine Aussicht auf einen Job, nicht wenige gleiten in die Parallelwirtschaft und den Drogenhandel ab. Sophie Charles begrüßt die geplante Goldmine daher wie ein Geschenk des Himmels.
"700 Arbeitsplätze – ich habe sonst nichts auch nur entfernt Vergleichbares in Aussicht. Diese Fabrik dürfte die Lage auf dem Arbeitsmarkt für unsere Jugend verbessern, nicht nur mit Jobs in Sachen Bergbau. Sie werden auch Angestellte für die Wäsche und für die Küche brauchen, weil sich rund um das Lager richtiges Leben entwickeln wird. Es ist wichtig, dass sich dieses Industrieprojekt verwirklicht."
420 Millionen Euro Steuern und Abgaben
Wie Sophie Charles denken die meisten örtlichen Politiker. Bisher hängt das riesige Departement am Tropf von Kern-Frankreich. Guayana ist fast so groß wie Österreich, erwirtschaftet aber weniger, als die 300.000 Bewohner benötigen. Größter Wirtschaftsfaktor ist der Weltraumbahnhof in Kourou. Ansonsten gibt es keine nennenswerte Industrie im Land. Die "Compagnie de la Montagne d'Or" verspricht Guayana 420 Millionen Euro an Steuern und Abgaben. Darüber hinaus, so Firmenchef Paris, könnten Folge-Einnahmen in Höhe von drei Milliarden Euro anfallen. Bürgermeisterin Charles malt sich schon aus, wie sie ihre Stadt entwickeln kann, falls die Bergbaufirma für neue Infrastrukturen aufkommt.
"Zwischen der Goldlagerstätte und unserer Stadt gibt es bislang nur eine unbefahrbare Piste. Wenn dort eine Straße für den LKW-Verkehr gebaut wird, dann können wir zu beiden Seiten Land urbar machen, dort junge Landwirte ansiedeln, vielleicht Wohnungen bauen und unsere Stadt gen Süden, in Richtung Wald, ausdehnen. Die Goldmine kann zum Steigbügel werden für die Entwicklung unseres Territoriums."
Und die Bevölkerung? Trotz vieler Versprechungen und rosiger Zukunftsvisionen sind längst nicht alle Guayaner überzeugt. Über hundert Vereine haben sich zum Kollektiv "Or de question" zusammengeschlossen, was so viel heißt wie: Gold kommt nicht in Frage. Rückendeckung erhalten sie vom WWF. Der internationale Naturschutzverein hat sich den Kampf gegen das Giga-Projekt ebenfalls auf die Fahnen geschrieben.
Die Amazonas-Indianer wehren sich
Besonders heftig wehren sich Amazonas-Indianer. Die Nachfahren der Ureinwohner bilden nur noch eine Minderheit im Land, sie sind etwa 10.000 Menschen. Doch in ihrer Jugend wächst der Wunsch, die Zukunft ihres Landes mitzubestimmen. Mitglieder des Vereins "Junge Ureinwohner von Guayana" verschaffen sich bei allen Demonstrationen gegen die industrielle Goldmine Gehör. In grellroten T-Shirts, trommelnd und singend, verkünden sie ihre Botschaft: "Wir, die Ureinwohner, kämpfen nach dem Vorbild unserer Vorfahren, um unser Land, unser Wasser und unseren Wald zu verteidigen."
Der Sprecher der"Jungen Ureinwohner", Christophe Yanuwana Pierre, lebt im indianischen Dorf "Terre rouge", unweit der Stadt Saint-Laurent-du-Maroni und rund einhundert Kilometer von der geplanten Mine entfernt.
"Dieses Projekt ist maßlos. Es verschmutzt die Umwelt und verletzt heilige Stätten. Obwohl wir nicht in unmittelbarer Nähe wohnen, ist es unser Land. Das Einzugsgebiet des Mana-Flusses ist die Lebensader der spirituellen Welt meines Volks, der Kali'na", sagt der 25-jährige Schauspieler und Filmemacher.
"Es ist eine Hügellandschaft, da darf man nicht eindringen und erst recht nicht Löcher bohren. Für uns dienen Löcher dazu, Wasser zu finden, zu pflanzen und die Toten zu beerdigen. Aber auf keinen Fall, um Gold aus der Erde zu holen. Gold ist nicht ohne Grund in der Tiefe begraben. Das verstehen die Betreiber der Mine nicht. Bei diesem Konflikt stoßen Weltanschauungen aufeinander."
"Die Goldmine ist ein Projekt von gestern"
Auch die Ethnobiologin Marie Fleury vertritt eine völlig andere Philosophie als die russisch-kanadischen Großaktionäre und ihr französischer Firmenchef. Fleury sitzt in der guayanischen Hauptstadt Cayenne im Café und erzählt, dass sie sich als Vorsitzende eines Vereins engagiert, der heimische Ressourcen sowie die Kenntnisse der Bevölkerung aufwerten und im Sinne der Solidarwirtschaft nutzen will. 50 Prozent der französischen Artenvielfalt befindet sich in Guayana. Die Wissenschaftlerin ist überzeugt: Die industrielle Goldmine ist ein Projekt von gestern, das die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verkennt.
"Für uns ist es unbegreiflich, dass man im Jahr 2018 auch nur daran denken kann, einen der ältesten Primärwälder der Erde mit vielen geschützten Tier- und Pflanzenarten teilweise zu zerstören, um Gold zu gewinnen. Wir haben in Guayana nachhaltige und erneuerbare Ressourcen: Öko-Tourismus, Arzneipflanzen, ätherische Öle für die Kosmetikbranche... Diese Wirtschaftszweige sollten endlich gefördert werden, um dauerhafte Arbeitsplätze für unsere Jugend zu schaffen. Stattdessen winken sie jetzt mit prekären Stellen, die zur Zerstörung des Planeten beitragen und die Klimakrise verschärfen würden."
Marie Fleury zieht ein Flugblatt aus der Tasche. Darin listet das Kollektiv "Or de question" zahlreiche Argumente gegen die Goldmine auf. Zum Beispiel den geringen Goldgehalt im Erz. Laut Firmenchef Paris enthält eine Tonne Erz 1,5 Gramm Gold. Die Umweltschützer weisen darauf hin, dass beim Recyclen von alten Handy-Telefonen hundertmal mehr Gold anfällt: nämlich 160 bis 200 Gramm pro Tonne.
"Welchen Gewinn haben wir davon?"
Fleury empört sich auch, dass die ausländischen Investoren außer Steuern und Abgaben nichts für das Edelmetall bezahlen müssten.
"Wir öffnen ihnen unseren Tresor. Wir sagen: bedient euch! Dabei ist es durchaus möglich, dass wir in 50 Jahren Techniken beherrschen, mit denen unsere Nachkommen unser Gold sauber schürfen können. Statt abzuwarten, lassen wir uns unsere Reichtümer wegnehmen. Im Gegenzug riskieren wir schlimme Umweltverschmutzungen. Welchen Gewinn haben wir davon?"
Marie Fleury ist mit Nora und Elie Stéphenson verabredet, das Ehepaar engagiert sich ebenfalls im Kollektiv "Or de Question". Elie Stéphenson ist Wirtschaftswissenschaftler im Ruhestand. Den 74-Jährigen regt es auf, dass Firmenchef Pierre Paris verspricht, höchste Umweltnormen zu respektieren.
"Wer wird dafür sorgen, dass diese Normen respektiert werden? Gewiss nicht der französische Staat. Der schafft es nicht einmal, die illegale Goldsuche in Guayana einzudämmen. Falls der Staat diese Goldmine zulässt, wird er sich danach doch nicht selbst in den Rücken schießen. Ich bin sicher: An dem Tag, wo diese Industriellen ihr Geschäft beendet haben und fortgehen, wird nichts mehr zu retten sein. Selbst wenn sie es wollten – sie können nicht reparieren, was die Natur über Jahrhunderte hinweg geschaffen hat. Normen einhalten! Damit schläfern sie Leute ein, die unentschlossen sind, und bestätigen jene, die längst überzeugt oder aber korrumpiert sind."
Kürzlich mussten Pierre Paris und seine Firma der Bevölkerung in Guayana über vier Monate hinweg bei zahlreichen öffentlichen Anhörungen Rede und Antwort stehen. Die "Nationale Kommission für die öffentliche Debatte" hat im September ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin macht sie beiden Seiten Vorwürfe: Der Bauherr habe sein Projekt als weitgehend unveränderbar dargestellt. Außerdem sei er Informationen über die Umweltverträglichkeit und das Gefahren-Management schuldig geblieben. Viele Gegner seien aggressiv aufgetreten und hätten den Dialog gestört.
Das Vorhaben hat die Gesellschaft gespalten
Das Fazit der unabhängigen Kommission: Das Vorhaben einer industriellen Goldmine habe die Gesellschaft in Guayana tief gespalten und im Lauf der Debatte hätten sich die Positionen sogar noch verhärtet. Eine radikale Haltung nimmt auch die Jugendorganisation der Amazonas-Indianer ein. Die geplante Goldmine werten sie als weiteren Beweis dafür, dass der französische Staat ihre Identität und Kultur nicht respektiert. Christophe Yanuwana Pierre spricht redet mit leiser Stimme, aber er droht ganz unverhohlen.
"Für uns steht fest: Dieses Projekt wird sich nicht verwirklichen. Sollten sie nicht aufgeben, werden wir alles am Fundort zerstören. Dieses Risiko gehen sie ein."
Vor drei Tagen hat die "Compagnie de la Montagne d'Or" auf die Kritik der Kommission reagiert und ein, wie die Firma sagt, "verbessertes Projekt" zum Bau der industriellen Goldmine vorgelegt. Jetzt ist die französische Regierung am Zug. Falls Staatspräsident Macron grünes Licht gibt, könnte im fernen Departement Guayana ein gefährlicher Konfliktherd entstehen.