Berlins Schulen sind nicht sauber genug
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Desinfektionsmittel, Seife, mehr putzen: Wegen des Coronavirus sind den Schulen in Berlin zusätzliche Hygienemaßnahmen verordnet worden. Bereits vor der Krise hatte es heftige Kritik an der Schulreinigung gegeben. Nun macht ein Modellprojekt Hoffnung.
Rainer Lampe steht vor dem Zaun. Mustert das Schulgebäude dahinter. Es ist Dienstagmittag und ruhig an der Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule im Berliner Westend. In der ersten Maiwoche läuft der Schulbetrieb erst langsam wieder an, Rainer Lampe aber ist schon länger im Einsatz:
"Nach der Corona-Schließzeit hatten wir noch ein Gespräch, eine Woche vorher, mit unserer Schulleiterin. Und da hat sie uns gesagt, dass sie schon wieder am Kämpfen ist, dass die Schule in der ganzen Zeit nicht gereinigt wurde, also noch nicht mal die Grundreinigung."
Lampe ist Vorsitzender der Gesamtelternversammlung. Die Zusammenarbeit mit der Schulleitung klappt gut, sagt er. Über die mangelhafte Schulreinigung regt man sich gemeinsam auf. Die Beschwerden ans zuständige Bezirksamt füllen mittlerweile eine rote Mappe.
"Und wir reden ja jetzt über Musterhygiene zu Coronazeiten. Und da waren natürlich bei uns die Bedenken: Wenn noch nicht einmal die grundlegenden Dinge gewährleistet sind, wie sollen dann diese Sonderreinigungsmaßnahme umgesetzt werden?"
Lampe greift in die rote Mappe, zieht einen zweiseitigen Brief hervor, der ans Bezirksamt adressiert und auf Anfang Mai datiert ist. Ein Protokoll der Putzversäumnisse.
"Am 1. Mai hat unsere Schulleiterin dann nochmal kontrolliert und da war ein Teil geputzt worden. Unter anderem die Toiletten nicht, aber Treppen und Foyer. Übers Wochenende muss auch noch etwas passiert sein, aber es bleibt dabei, die Qualität der Reinigung ist sehr unbefriedigend."
Drei Minuten fürs Reinigen eines Klassenzimmers
Vorne am Haupteingang hängt jetzt ein Brief der Bezirksstadträtin im Infokasten. "Wir nehmen die Sorge sehr ernst" steht da. Die Reinigung solle nun den aktuellen Corona-Erfordernissen angepasst werden. Unter anderem wird jeder Schule zusätzlich eine Reinigungskraft für vier Stunden zur Verfügung gestellt.
Einige Kilometer weiter, vor dem Rathaus Neukölln, wartet Philipp Dehne mit einer Kollegin. Hier erreichte der Ärger über den Schuldreck die kommunalpolitische Bühne. Ex-Lehrer Dehne startet vor einem guten halben Jahr mit seiner Initiative das erste Bürgerbegehren im Bezirk. Titel: Saubere Schulen.
"Hier haben wir 12.000 Unterschriften gesammelt, die waren nicht alle gültig, wie es immer so ist, aber es hat gereicht, die 7000, die wir als Quorum brauchten, hatten wir locker zusammen." Er erzählt: "Wir waren wirklich an den Schulen unterwegs, haben mit den Reinigungskräften, Schulleitern, Hausmeistern gesprochen – das ist unsere Arbeitsweise. Und zwischen ‚okay‘ und ‚katastrophal‘ sind die Rückmeldungen, die wir bekommen haben."
Die Bezirksämter müssen die Schulreinigungen ausschreiben, der billigste Anbieter macht das Rennen. Eigentlich ist der Leistungskatalog vorgegeben, doch für die geforderte Reinigung ist das Zeitbudget oft zu knapp. Dehne kennt die Kalkulation für einen Klassenraum.
"Man hört mal 90 Sekunden, man hört mal zwei Minuten, lassen Sie es drei Minuten sein, sozusagen, das kriegen wir von allen Reinigungskräften zu hören, das ist zu eng. In dieser Zeit ist keine gute Reinigung möglich."
Niedriglöhne, Zeitdruck, unsichere Vertragsverhältnisse – am Ende bleiben Reinigungsleistung und Arbeitnehmerrechte allzu oft auf der Strecke, sagt Dehne. Darum fordern er und seine Mitstreiter die Rekommunalisierung. Die Reinigungskräfte sollen wieder von den Bezirken angestellt werden. Und jetzt – zu Coronazeiten – bekommt das Problem "Saubere Schulen" eine ganz neue Relevanz.
Pilotprojekt mit Extra-Reinigungstunden
Mittlerweile seien diese Unterschriftensammlungen in neun Berliner Bezirken gelaufen und liefen noch, so Dehne. "Darum haben auch die Bezirke gecheckt, hey, die Senatsebene muss Geld liefern, aber wir als Bezirk müssen auch mutig voranschreiten mit Pilotprojekten, mit Beschlüssen. Dann können wir für Berlin eine Gesamtlösung finden."
Einer, der mit einem Pilotprojekt voranschritt, ist Gordon Lemm. Der Schulstadtrat im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wirft einen Blick in seine Mailing-Liste. Die Mitteilungen zu "Tages- und Bedarfsreinigung" füllen den Bildschirm.
"Wir haben viele Problem, die wir nicht lösen können: Lehrermangel haben wir nach wie vor, das Gleiche gilt für die Erziehenden, unsere Schulen sind viel zu voll, wir kommen nicht hinterher, schnell genug zu bauen", sagt Lemm. "Aber was wir wirklich in der Hand haben, ist doch die Frage der Reinigung, dass die Schulen zumindest sauber sind."
Zwei Stunden pro Tag wird im Schnitt jede Schule in Berlin gereinigt. Morgens oder abends, aber das reicht oft nicht. Im vergangenen Jahr startete Lemm deshalb ein Modellprojekt an fünf Grundschulen für zwei Monate. Eine "Tages- und Bedarfsreinigung" extra und das bedeutete:
"Zusätzlich in jeder Schule eine Reinigungskraft, die mindestens sechs Stunden da ist. Also sechs Stunden zusätzlich, den ganzen Tag jemand da, wo dann auch mal gesagt werden kann: 'Hey, die Kids haben heute sehr viel Dreck reingebracht, weil draußen schlammig, sandig wie auch immer, bitte hier putzen'."
Extrakosten für den zweimonatigen Probelauf: 22.000 Euro. Die Putzkräfte konnten in dieser Zeit an einer Schule bleiben, mussten nicht von einer zur anderen hetzen und das Schulpersonal hatte vor Ort einen Ansprechpartner:
"Das wird total großartig angenommen und das heißt eben tatsächlich jeden Tag eine zusätzliche Reinigungsleistung, die man sofort sieht."
Jetzt in Coronazeiten soll das Modellprojekt auf alle Schulen übertragen werden.
"Innerhalb von einer Woche, das muss man sich vorstellen, konnten wir von 37 von 47 Schulen die Bestätigung bekommen, es geht los." Seit Montag gebe es an 37 Schulen die Tagesreinigung. "Die Firmen haben das in unwahrscheinlicher Zeit geschafft, das Personal einzustellen und vor die Schulen zu bringen."
Saubere Schulen sind möglich – doch sie haben ihren Preis, sagt Lemm. Eine Rekommunalisierung der Reinigung würde noch einmal Mehrkosten bedeuten, glaubt er. Nicht zuletzt, weil der öffentliche Dienst seine Beschäftigten besser bezahlt.
"Es ist nur die Frage, möchte sich Politik das leisten? Ich wäre durchaus dafür, es gibt Erfahrungen aus der früheren Zeit, wo das der Fall war." Damals hätten Bezirke eigene Reinigungskräfte gehabt, aber da habe es positive wie negative Berichte gegeben, sagt Lemm. "Menschen waren krank, dauerkrank, das muss dabei auch berücksichtigt werden."
Mit Druck wird es schneller sauber
Im Westend wartet Rainer Lampe vor seiner Schule, den roten Hefter noch immer in der Hand. Die angekündigte Reinigungsoffensive ließ vergangene Woche erst einmal auf sich warten.
"Diese zusätzlichen Reinigungskräfte, die täglich hier vor Ort sein sollen, waren ja eigentlich für Montag angekündigt, die kamen dann auch schon wieder einen Tag später, wo man sich fragt, warum?"
Wieder eine Notiz für die rote Putz-Mappe. Es wird nicht die letzte sein. Beim Bezirksamt haben sie jetzt Akteneinsicht beantragt, sie wollen die Kommunikation zwischen Bezirksamt und Reinigungsfirma in Bezug auf die gemeldeten Putzmängel sehen. Denn eine Erfahrung haben die Elternvertreter bisher gemacht: Nur mit Druck wird es schneller sauber. Doch jetzt geht es nicht mehr nur um Sauberkeit, sondern vor allem um Sicherheit:
"Aber man merkt, dass wir gerade jetzt, in dieser Situation, wo dieses Hygiene-Thema ja ganz wichtig wird für die Gesundheit, viele Nachfragen von Eltern haben. Und es waren auch einige Eltern da, die ihre Kinder am Montag nicht zur Schule geschickt haben."