In dieser Podcast-Folge der Weltzeit berichtet Ivo Marusczyk auch, wie sehr - wenn auch mit Zeitverzögerung gegenüber Europa - Südamerika von Corona betroffen ist.
Wie Billigkonsum die Arabica-Bohne gefährdet
30:14 Minuten
Der beste Kaffee der Welt kommt aus dem Hochland von Kolumbien. Zehntausende kleine Bauern liefern Spitzenqualität, doch sie konkurrieren mit Billigproduzenten aus Brasilien und Vietnam. Wie viel ist den Kunden das samtig-milde Aroma der Arabica-Bohne wert?
Mit sicherem Griff streift Oscar Diaz die roten Kirschen vom Ast. Leuchtend rote und gelbe Kirschen, in denen sich die Bohnen verstecken. Die begehrten Bohnen, die Millionen Morgenmuffeln weltweit Tag für Tag beim Wachwerden helfen.
"Die hier ist reif, die hier noch unreif und noch grün. Ich ernte nur die reifen hier. Es gibt aber nicht nur rote, sondern auch gelbe."
Der Kaffee wird ausschließlich von Hand geerntet
Der Weg in den kleinen Kaffeegarten des Bauern führt einen steilen Hang hinauf. Der Boden ist matschig und schwer vom Regen. Mücken umschwirren die Hand des 54-jährigen Kaffeebauern. Kaffeepflücken ist Knochenarbeit. Trotzdem wird der Kaffee hier im Hochland von Kolumbien ausschließlich von Hand geerntet. Zum einen, weil die Hänge viel zu steil sind, um Maschinen einzusetzen. Zum anderen reifen Kaffeefrüchte nach und nach. Am selben Baum, ja sogar am selben Zweig hängen gleichzeitig rote und grüne, reife und unreife Kirschen. Um die reifen Früchte auszuwählen, ist der geübte Blick des Kaffeepflückers nötig.
"Genau deswegen schmeckt der kolumbianische Kaffee ja anders, weil wir alles was noch grün ist nicht ernten. Das würde einen bitteren Geschmack geben, heißt es. Deswegen ist das hier Spitzenkaffee."
Nur manchmal reißt der Nebel auf und gibt den atemberaubenden Blick frei. Das tief eingeschnittene Tal des Cauca-Flusses, die üppig grün bewachsenen Hänge und dahinter schneebedeckte Gipfel, die 5000 Meter hohen Vulkane der zentralen Andenkette. Doch dafür hat Oscar Diaz jetzt kaum einen Blick. Er muss noch kontrollieren, ob in seinem kleinen Kaffeehain Schädlinge aufgetaucht sind. Ob die neu gepflanzten kleinen Setzlinge gedeihen. Und ob die älteren Bäume Anzeichen für Kaffeerost zeigen, eine Pilzkrankheit.
Die Arabica-Kaffeepflanze hat es gerne kühl
Die Kaffeegärten von Santuario liegen nur 500 Kilometer nördlich des Äquators. Trotzdem ist das Klima hier oben kühl – und genau das brauchen die hochwertigen Arabica-Kaffeepflanzen. Schließlich kommt der Kaffeebaum ursprünglich aus dem Hochland von Ostafrika. Die tropische Hitze der Täler vertragen die Pflanzen nicht.
"Ja, das Klima sorgt für einen sehr guten Kaffee. Das sagen immer wieder die Besucher von außerhalb. Dass er besonders mild ist."
Das bestätigt man auch 170 Kilometer östlich von Santuario in Bogotá. Die einflussreiche "Federación de Cafeteros", der Verband der Kaffeebauern, residiert in einem Doppelhochhaus im schicken Norden der kolumbianischen Hauptstadt. Jeder Besucher bekommt natürlich zuerst einmal einen "Tinto" vorgesetzt, ein Tässchen schwarzen Kaffee.
"Wir bauen nur Arabica-Kaffee an, eine der besten Kaffeesorten. Dazu kommt die Veredelung hier. Dass nur die reifen Früchte von Hand geerntet werden, dass der Kaffee dann gewaschen und getrocknet wird um dann weiter verarbeitet zu werden. Und die Achtsamkeit unserer Kaffeebauern – all das sorgt dafür, dass der kolumbianische Kaffee einzigartig ist."
Sagt Roberto Vélez Vallejo, der den Kaffeebauern-Verband leitet. Und sein Vize Carlos Armando Uribe ergänzt noch ein paar Zahlen, die zeigen, wie wichtig der Kaffeeanbau für sein Land ist. Nicht nur im Kaffee-Dreieck um Santuario gibt es Fincas. Kaffee wird überall in Kolumbien angebaut, betont er stolz.
"Als Gott die Welt schuf muss er gesagt haben: Die Kolumbianer sollen Kaffee anbauen. Sie haben den richtigen Boden, das Klima, den Regen und die Kaffeebauern. Heute haben wir rund 850.00 Hektar Anbaufläche. Überall, im Norden, Süden, Osten und Westen. Kolumbien hat 1100 Gemeinden, in 603 davon wird Kaffee angebaut, also in mehr als der Hälfte der Gemeinden. Kolumbien produziert im Schnitt 14 Millionen Säcke Kaffee. Das war die letzten fünf Jahre konstant so. Vielleicht wird es auch etwas mehr. Und generell exportieren wir davon 13 Millionen Säcke."
Die Konkurrenz läuft Kolumbien davon
Ein Sack Rohkaffee wiegt 60 Kilo, das sind also ungefähr 780.000 Tonnen Kaffebohnen. Doch was der Funktionär nicht sagt: Die Produktion Kolumbiens stagniert seit Jahren, auf dem Weltmarkt fällt das Land immer weiter zurück und verliert Anteile. Dabei wird der Kaffeedurst der Welt immer größer, der Konsum nimmt Jahr für Jahr um rund 2 Prozent zu. Andere Länder reagieren, indem sie immer mehr produzieren und ihre Anbauflächen noch ausweiten, allen voran Brasilien und Vietnam.
Brasilien liegt mit weitem Abstand vor allen anderen Anbauländern, mehr als jede dritte Kaffeebohne der Welt kommt heutzutage aus Brasilien – fast 37 Prozent der Welternte. Und mit Vietnam ist in den letzten Jahren ein neuer Konkurrent auf den Markt getreten, der traditionellen Kaffeeländern wie Kolumbien den Rang abgelaufen hat. 17,5 Prozent der Welternte kommen mittlerweile aus dem asiatischen Land. Vietnam hat Kolumbien damit längst vom dritten Platz der Anbauländer verdrängt – Kolumbien kommt nur noch auf 8,4 Prozent Anteil. Und der nächste Konkurrent Indonesien könnte das Land auch bald einholen.
Ein unfaires Rennen, findet Uribe. Denn diese Steigerungen erreichen die Länder nur mit völlig anderen Sorten und Methoden als Kolumbien.
"Kolumbien wird nie so viel Kaffee anbauen und wird nie so hohe Erträge erzielen wie Brasilien und Vietnam mit 25 oder 35 Sack pro Hektar. Wir steigern uns, aber diese Werte werden wir nie erreichen."
Das liegt nicht nur am mühsamen Anbau in den steilen Hanglagen des Hochlands. Sondern auch an den Sorten. In Kolumbien wird praktisch ausschließlich die hochwertige Arabica-Bohne angebaut. Die ein samtig-mildes Aroma garantiert. Vietnam setzt dagegen auf die Robusta-Bohne und auch in Brasilien wird diese Sorte immer öfter angebaut.
Wie der Name schon sagt, stellt Robusta weniger Ansprüche. Sie gedeiht auch im Tiefland, in der Ebene, dort lassen sich große Plantagen anpflanzen. Robusta-Bäume tragen auch mehr Früchte und sie erlauben zum Teil zwei Ernten pro Jahr. Doch reiner Robusta-Aufguss ist eine muffig-bittere Plörre, die erdig bis holzig schmeckt. Der Kaffee aus dieser Massenproduktion ist nur genießbar, weil er mit den hochwertigen Arabica-Bohnen gemischt wird.
"Ich weiß, im Lauf der Zeit gewöhnen die Menschen sich an diese Mischungen. Und davon bekommt man sie schwer weg."
Sind die Kunden bereit für Qualität mehr zu zahlen?
Wie bei anderen Lebensmitteln stellt sich die Frage, ob die Kunden bereit sind, für diese bessere Qualität mehr zu bezahlen. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Zum einen als zweitgrößter Kaffeekunde nach den USA. Zum anderen versorgen die deutschen Kaffeeröster nicht nur das eigene Land, sondern auch die Nachbarländer gleich mit – Deutschland ist zweitgrößter Kaffeeexporteur der Welt, wenn man nicht den Rohkaffee, sondern das fertige Produkt betrachtet.
"Der Konsum von hochwertigem Kaffee nimmt weltweit zu. Vor zehn Jahren trank man in den USA nur 9 oder 10 Prozent Spitzenkaffee. Heute sind es 49 Prozent. Die Menschen lernen, hochwertigen Kaffee zu trinken. In Deutschland wurde dagegen früher Kaffee von höherer Qualität getrunken als jetzt mit den Mischungen. Aber es bleibt unser zweitwichtigster Markt."
Dieser Preisdruck wird nicht unterwegs auf der Lieferkette aufgefangen, sondern er kommt direkt bei den kleinen Kaffeebauern an, wie bei Oscar Diaz in Santuario.
"Der Preis ist sehr volatil, zuletzt konnten wir so nicht arbeiten, eine Zeit lang haben wir sogar Verluste gemacht."
Er ist mittlerweile zu seiner Finca, seiner kleinen Kaffeefarm zurückgekehrt. Denn Kolumbiens Kaffeebauern pflanzen und ernten nicht nur. Sie übernehmen auch die Verarbeitung des Kaffees. Was sie an die "Federación" verkaufen, das sind bereits gewaschene, getrocknete und enthäutete Bohnen, die nur noch geröstet werden müssen. Die Kaffeefrüchte verarbeitet Oscar Diaz in einem windschiefen Schuppen direkt neben seinem Haus.
Wandel im Kaffeeanbau durch den Klimawandel
Er füllt die Kaffeekirschen in den Trichter einer Maschine, der man ansieht, wie viele Jahre sie schon treue Dienste leistet. Doch der altertümliche Apparat wird sorgfältig sauber gehalten und er scheint noch gut im Schuss zu sein. Ein Lederband verbindet die Maschine mit dem Motor. Ein kräftiger Zug an dem Riemen und: "Los geht’s!" Laut, aber zuverlässig quetscht der altertümliche Apparat die Kerne aus der Kaffeefrucht.
Zum ersten Mal kommen die kostbaren Bohnen zum Vorschein, oval mit der typischen Kerbe in der Mitte fallen sie aus der Maschine. Diese Kerbe ist geschwungen, daran erkennt man Arabica-Bohnen – bei Robusta verläuft die Furche gerade. Aber noch sind sie glitschig-feucht und blass-hellgrün. Von Kaffeeduft ist auch noch nichts zu bemerken – im Gegenteil: das Fruchtfleisch verbreitet einen beißend-säuerlichen Geruch. Es wird als Dünger verwendet. Die Bohnen landen in einem Becken, in dem sie 12 bis 14 Stunden fermentieren. Erst danach werden noch die glitschigen Reste des Fruchtfleischs abgewaschen. Und die Bohnen werden zum Trocknen auf dem Dach der Finca ausgebreitet.
Das Wellblechdach ist auf Rollen gelagert, so dass Oscar es wegschieben kann, wenn die Sonne scheint. Die hellgrünen Bohnen werden auf dem flachen Dach ausgebreitet. Es dauert rund vier Tage, bis die Bohnen hier getrocknet sind, je nach Wetter, sagt der Cafetero. Wenn die Kaffeebohnen getrocknet sind, lässt sich das dünne Pergamenthäutchen leicht entfernen, das den Fruchtkern umgibt. So erkennt der Cafetero, ob die Bohnen fertig sind. Das ist dann der letzte Schritt der Verarbeitung oder Veredelung der Kaffeebohnen.
Jetzt kann der Rohkaffee in Säcke gepackt und auf die weite Reise zum Röster geschickt werden. Oscar ist froh, dass seine Kaffeebäume oben am Berg immer noch ein paar Früchte tragen – denn der Kaffeepreis an der Börse ist zuletzt wieder nach oben ausgeschlagen.
Andere Kaffeebauern, deren Anbauflächen weiter unten im Tal liegen, können jetzt nicht mehr ernten. So wie Mario Cano. Seine Finca liegt etwas unterhalb der Stadt Santuario.
"Ja, der Klimawandel trifft uns sehr, finde ich. Wegen der höheren Temperaturen wandert die Grenze für den Kaffeeanbau nach oben. In unserem Fall müssen wir schon neue Anbaumethoden einführen. Zum Beispiel Bäume pflanzen, die Schatten werfen. Aber man weiß ja nicht, wie das Klima noch wird."
So wie viele Kaffeebauern hat auch er schon einen Zweitjob angenommen. Vom Kaffeeanbau allein könne man inzwischen nicht mehr leben, sagt er. Und wegen dieser schlechten Aussichten ziehe die Jugend weg vom Land in die Städte. Kolumbien selbst hat keine besonders entwickelte Kaffee-Genusskultur. Im Schnitt trinken die Kolumbianer nur eine Tasse Kaffee pro Tag. Zum Vergleich: in Deutschland sind es 3,8 Tassen, im Norden zum Teil sogar mehr als vier Tassen pro Tag. Und der Kaffee, den die Kolumbianer selbst trinken, ist meistens auch noch ziemlich schlecht – hier landen meist Ausschuss und Erntereste in der Kaffeemaschine.
"Unser Inlandskonsum ist miserabel"
Edier Ramos möchte das ändern. Im Zentrum von Santuario hat er ein kleines Kaffeelabor aufgebaut. Lärmend dreht sich die Trommel des Röstofens. Die Röstung gleich hier vor Ort dient zum einen der Qualitätskontrolle, zum anderen will er seinen Landsleuten zeigen, wie fantastisch ihr Kaffee schmecken kann.
"Unser Inlandskonsum ist miserabel. Das heißt, wir müssen unseren Leuten erst einmal beibringen, guten Kaffee zu trinken. Langsam geröstet, den man ohne Zucker trinken kann. Sie sollten lernen, einen guten milden kolumbianischen Kaffee zu schätzen."
Ramos hat eine Kooperative mit aufgebaut, die die allerbesten Bohnen bei den Kaffeebauern aufkauft und dann direkt an Röstereien im Ausland weiter vertreibt.
Köstlicher Duft des frisch gerösteten Kaffees zieht durch das Labor der kleinen Kooperative. Immer mehr Röstereien und Kaffeehausketten sind bereit, für den milden Spitzenkaffee einen höheren Preis zu zahlen.
"Heute wird Qualität nicht hoch geschätzt. Aber die gute Nachricht ist, dass sich das nach und nach ändert. Es liegt voll im Trend, dass der Kunde auch soziale Verantwortung verlangt, dass er die Kaffeebauern unterstützen will und dass er auch auf seine Gesundheit achtet."
Und die Cafeteros, die Kaffeebauern, können nur hoffen, dass dieser Trend zum edlen Aufguss letztlich stärker ist, als der Preiskampf um die billigste Bohne.