Kampf um das Recht auf Fantasie
Miguel de Cervantes Schelmenroman avancierte schnell zu einem der großen Erfolge der Weltliteratur. Die preisgekrönte Philologin Susanne Lange hat ihn 2008 neu übersetzt. Auf dieser Grundlage erschien "Don Quijote" jetzt als Hörbuch.
Ein dünner Ritter von trauriger Gestalt, sein klappriger Gaul und ein kleiner dicker Knecht auf einem Esel: So haben sich Don Quijote von der Mancha, Rosinante und Sancho Pansan in unser Gedächtnis eingegraben. Jetzt is "Don Quijote" als Hörbuch erschienen, auf Grundlage einer neuen Übersetzung.
"Ooooh Dulcinea von Toboso! Tag meiner Nacht! Licht meines Leids! Leitstern meiner Wege! Fixstern meines Glücks!"
Wie ja bekannt ist, zieht Don Quijote eines heißen Tages aus, die übermäßige Lektüre von Ritterromanen, denen er verfallen ist, in die Tat umzusetzen, um das Herz der holden Dulcinea zu erringen. Dass die Angebetete in Wahrheit ein dralles Dorfmädchen ist: einerlei. Unser ebenso komischer wie tragischer Held ist fest entschlossen, die Realität immer wieder neu zu erfinden. Das muss auch sein treuer Knappe Sancho Pansa erfahren:
'Aus dem Weg Sancho! Man merkt sofort, dass Du in Abenteuern nicht bewandert bist.' - Er gab seinem Pferd Rocinante die Sporen. Ohne auf die Rufe zu achten, die ihm sein Knappe als Warnung hinterher schickte, dass er gewiss gegen Windmühlen und nicht gegen Riesen stürme. - 'Hü! Für Dulcinea!' - 'Allmächtiger!'"
Unbescheidene 1600 Seiten dick ist Miguel de Cervantes Schelmenroman "Don Quijote"– der schnell zu einem der großen Erfolge der Weltliteratur avancierte. Die vielfach preisgekrönte Philologin Susanne Lange hat den barocken Schmöker, der als der erste moderne Roman gilt, für den Hanser Verlag 2008 neu übersetzt und entstaubt. So treten Cervantes eleganter Rhythmus und feine Ironie mehr hervor. Eine wichtige Voraussetzung für Regisseur Klaus Buhlert, den "Don Quijote" erst einmal selbst zu entdecken, bevor er ihn im Auftrag von Deutschlandfunk und Hessischem Rundfunk als originelle Mischung zwischen szenischer Lesung und Hörspiel inszenierte.
"Ich hab den Versuch gemacht, genauso wie das Susanne Lange getan hat, den Don Quijote aus der historisierenden Perspektive nach heute zu bringen und zu sagen, was sind denn eigentlich unsere Utopien? Wofür setzen wir uns denn ins Auto oder wofür kämpfen wir denn? Warum gehen wir auf die Straße?"
"Don Quijote" kämpft vordergründig stets für seine Dulcinea und Buhlert nimmt bei allem Witz seinen Helden als romantisch Liebenden ernst. Denn der streitet in Wahrheit für den Sieg der Poesie über den Alltag und zieht für sein Recht auf Fantasie ins Feld. Auf der Suche nach Kontrast hat die Regie dem scheint's unvermeidlichen Rufus Beck als Don Quijote die knarzige Stimme von Thomas Thieme an die Seite gestellt. Anna Thalbach übernimmt alle weiblichen Rollen. Während Beck sich routiniert auch stimmlich in die Höhen des Rittertums schraubt, dröhnt Thiemes Sancho Pansa erdverbunden wie vom Grunde eines selbst geleerten Rioja-Fasses.
"'Heilige Muttergottes’ rief Sancho aus. 'Ist es möglich, dass Ihr so schwer von Begriff und so weich im Hirn seid?'"
Ein feiner Kunstgriff: Beide sprechen abwechselnd auch den Part des Erzählers. Herr und Knecht, die beiden Freunde, ergänzen sich in einem schönen Hin und Her, einer ständigen Wechselrede, dem Disput über das Leben, die Liebe und die Literatur, der der Grundpfeiler des Romans ist. Nicht das Erlebnis an sich ist wichtig, sondern das Sprechen darüber: Das Geschichtenerzählen sah Cervantes - der ein Zeitgenosse Shakespeares war - als das wahre Abenteuer, ist Regisseur Klaus Buhlert überzeugt:
"Der Text wird durch einen auktorialen Erzähler in eine Höhe gehoben, vor der man knien muss. Ich wollte nicht vor diesem Text knien, ich wollte ihn hören. Und das hat natürlich Spaß gemacht zu sagen,'ich mach das nicht als Abenteuergeschichte, sondern als literarischen Roadmovie' und das versuche ich auch akustisch durchzuhalten."
Um Spanien akustisch in unseren Köpfen entstehen zu lassen, ohne in Folklore abzurutschen, komponierte der frühere Musiker Klaus Buhlert einen modernen Flamenco-Sound und griff eigenhändig zur Gitarre.
Buhlert hat schon Mammutwerke wie Homers "Ilias" im Radio auferstehen lassen. Überfrachtung vermeidend hält er sich klug zurück. Nur hie und da schreit Sanchos Esel, ein Schwert wird mit schöner Regelmäßigkeit gezogen, eine Fliege surrt:
Mit diesen immer wiederkehrenden augenzwinkernden Klangschnipseln schafft es die Regie, die Bilder in unserem kollektiven Gedächtnis von Kämpfen mit Schafherden und Weinschläuchen lebendig werden zu lassen. Weil die akustische Ausstattung des "Don Quijote" der Kargheit und Weite der Mancha entspricht, durch die er reitet.
Fürs Erste gibt es nur die beiden ersten Fahrten des Ritters in der rostigen Rüstung so kongenial als Hörstück. Bleibt zu hoffen, dass sie demnächst weitergehen, die Abenteuer des "Don Quijote von der Mancha" und seines treuen, bauernschlauen Knappen Sancho Pansa.
"Herr ich weiß nicht, wozu Ihr Euch in ein so schauerliches Abenteuer begeben wollt. Es ist finstere Nacht, keiner sieht uns, da können wir ebenso gut einen Bogen um die Gefahr machen! Wenn uns keiner sieht, kann uns keiner Memmen nennen."
Besprochen von Vanja Budde
Miguel de Cervantes: Don Quijote von der Mancha
Hörverlag, München 2010
6 CDs, 332 Minuten, 29,95 Euro
"Ooooh Dulcinea von Toboso! Tag meiner Nacht! Licht meines Leids! Leitstern meiner Wege! Fixstern meines Glücks!"
Wie ja bekannt ist, zieht Don Quijote eines heißen Tages aus, die übermäßige Lektüre von Ritterromanen, denen er verfallen ist, in die Tat umzusetzen, um das Herz der holden Dulcinea zu erringen. Dass die Angebetete in Wahrheit ein dralles Dorfmädchen ist: einerlei. Unser ebenso komischer wie tragischer Held ist fest entschlossen, die Realität immer wieder neu zu erfinden. Das muss auch sein treuer Knappe Sancho Pansa erfahren:
'Aus dem Weg Sancho! Man merkt sofort, dass Du in Abenteuern nicht bewandert bist.' - Er gab seinem Pferd Rocinante die Sporen. Ohne auf die Rufe zu achten, die ihm sein Knappe als Warnung hinterher schickte, dass er gewiss gegen Windmühlen und nicht gegen Riesen stürme. - 'Hü! Für Dulcinea!' - 'Allmächtiger!'"
Unbescheidene 1600 Seiten dick ist Miguel de Cervantes Schelmenroman "Don Quijote"– der schnell zu einem der großen Erfolge der Weltliteratur avancierte. Die vielfach preisgekrönte Philologin Susanne Lange hat den barocken Schmöker, der als der erste moderne Roman gilt, für den Hanser Verlag 2008 neu übersetzt und entstaubt. So treten Cervantes eleganter Rhythmus und feine Ironie mehr hervor. Eine wichtige Voraussetzung für Regisseur Klaus Buhlert, den "Don Quijote" erst einmal selbst zu entdecken, bevor er ihn im Auftrag von Deutschlandfunk und Hessischem Rundfunk als originelle Mischung zwischen szenischer Lesung und Hörspiel inszenierte.
"Ich hab den Versuch gemacht, genauso wie das Susanne Lange getan hat, den Don Quijote aus der historisierenden Perspektive nach heute zu bringen und zu sagen, was sind denn eigentlich unsere Utopien? Wofür setzen wir uns denn ins Auto oder wofür kämpfen wir denn? Warum gehen wir auf die Straße?"
"Don Quijote" kämpft vordergründig stets für seine Dulcinea und Buhlert nimmt bei allem Witz seinen Helden als romantisch Liebenden ernst. Denn der streitet in Wahrheit für den Sieg der Poesie über den Alltag und zieht für sein Recht auf Fantasie ins Feld. Auf der Suche nach Kontrast hat die Regie dem scheint's unvermeidlichen Rufus Beck als Don Quijote die knarzige Stimme von Thomas Thieme an die Seite gestellt. Anna Thalbach übernimmt alle weiblichen Rollen. Während Beck sich routiniert auch stimmlich in die Höhen des Rittertums schraubt, dröhnt Thiemes Sancho Pansa erdverbunden wie vom Grunde eines selbst geleerten Rioja-Fasses.
"'Heilige Muttergottes’ rief Sancho aus. 'Ist es möglich, dass Ihr so schwer von Begriff und so weich im Hirn seid?'"
Ein feiner Kunstgriff: Beide sprechen abwechselnd auch den Part des Erzählers. Herr und Knecht, die beiden Freunde, ergänzen sich in einem schönen Hin und Her, einer ständigen Wechselrede, dem Disput über das Leben, die Liebe und die Literatur, der der Grundpfeiler des Romans ist. Nicht das Erlebnis an sich ist wichtig, sondern das Sprechen darüber: Das Geschichtenerzählen sah Cervantes - der ein Zeitgenosse Shakespeares war - als das wahre Abenteuer, ist Regisseur Klaus Buhlert überzeugt:
"Der Text wird durch einen auktorialen Erzähler in eine Höhe gehoben, vor der man knien muss. Ich wollte nicht vor diesem Text knien, ich wollte ihn hören. Und das hat natürlich Spaß gemacht zu sagen,'ich mach das nicht als Abenteuergeschichte, sondern als literarischen Roadmovie' und das versuche ich auch akustisch durchzuhalten."
Um Spanien akustisch in unseren Köpfen entstehen zu lassen, ohne in Folklore abzurutschen, komponierte der frühere Musiker Klaus Buhlert einen modernen Flamenco-Sound und griff eigenhändig zur Gitarre.
Buhlert hat schon Mammutwerke wie Homers "Ilias" im Radio auferstehen lassen. Überfrachtung vermeidend hält er sich klug zurück. Nur hie und da schreit Sanchos Esel, ein Schwert wird mit schöner Regelmäßigkeit gezogen, eine Fliege surrt:
Mit diesen immer wiederkehrenden augenzwinkernden Klangschnipseln schafft es die Regie, die Bilder in unserem kollektiven Gedächtnis von Kämpfen mit Schafherden und Weinschläuchen lebendig werden zu lassen. Weil die akustische Ausstattung des "Don Quijote" der Kargheit und Weite der Mancha entspricht, durch die er reitet.
Fürs Erste gibt es nur die beiden ersten Fahrten des Ritters in der rostigen Rüstung so kongenial als Hörstück. Bleibt zu hoffen, dass sie demnächst weitergehen, die Abenteuer des "Don Quijote von der Mancha" und seines treuen, bauernschlauen Knappen Sancho Pansa.
"Herr ich weiß nicht, wozu Ihr Euch in ein so schauerliches Abenteuer begeben wollt. Es ist finstere Nacht, keiner sieht uns, da können wir ebenso gut einen Bogen um die Gefahr machen! Wenn uns keiner sieht, kann uns keiner Memmen nennen."
Besprochen von Vanja Budde
Miguel de Cervantes: Don Quijote von der Mancha
Hörverlag, München 2010
6 CDs, 332 Minuten, 29,95 Euro