Kampf um die Deutungshoheit
Seit rund 75 Jahren tobt ein Streit zwischen sogenannten Kreationisten und Darwinisten darüber, ob die Bibel oder die Evolutionstheorie Recht hat. Beiden Lager Einhalt zu gebieten, darum geht es Hansjörg Hemminger mit seinem Buch "Und Gott schuf Darwins Welt".
Irgendwann in den 200 Jahren seit Charles Darwins Geburt muss es passiert sein: Naturwissenschaftler erklärten, die nunmehr bewiesene "Entstehung der Arten" widerlege den Glauben an Gott als sinnstiftenden Ausgangs- und Zielpunkt menschlicher Existenz. Und Bibelleser erklärten, der Glaube an Gott hinge von naturwissenschaftlichen Belegen für die wortwörtliche "Richtigkeit" der biblischen Schöpfungstexte ab.
Das eine war erkenntnistheoretischer Unsinn, das andere war theologisch dummes Zeug und obwohl schon der erste Gedankenknopf falsch eingelocht wurde, knöpft man das Hemd unverdrossen weiter. In Schulen, an Universitäten, auf dem Buchmarkt.
Aber muss es die Gesamtgesellschaft überhaupt interessieren, wenn Darwins Evolutionstheorie von Atheisten zu einer materialistischen Welterklärungsformel hochstilisiert und für gehässige Religionskritik vereinnahmt wird? Geht es uns was an, dass am rechten Rand der christlichen Kirchen fromme Kreationisten die biblische Genesisgeschichte als wissenschaftliche Schöpfungs-"lehre" etablieren wollen und christliche Glaubenszeugnisse in Forschungsfeindlichkeit ummünzen?
Ja, meint der Professor für Verhaltensbiologie, der Psychologe und Weltanschauungsbeauftragte Dr. Hansjörg Hemminger aus Stuttgart, ja, das geht alle an: Dem Treiben beider Lager muss Einhalt geboten werden, denn ideologische Darwinisten gefährden die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sind religiös intolerant und träumen von ihrer alleinherrschenden Deutungshoheit über die Kultur. Ideologische Kreationisten gefährden die Unterscheidung von Glaube und Vernunft, verwechseln dauernd religiöses Bekenntnis und wissenschaftliche Erkenntnis und träumen von der Alleinherrschaft ihres Wertekanons über die Kultur.
Wenn einerseits der Straßburger Europarat 2007 in Resolution Nr. 1580 vor den "Gefahren des Kreationismus im Erziehungswesen" warnt, andererseits aber in hunderten christlicher Privatschulen eben dieser Kreationismus gelehrt wird, wenn einerseits die Evangelische Kirche Deutschlands und die Deutsche katholische Bischofskonferenz klipp und klar die Anerkennung der Evolutionstheorie mit dem Glauben an das göttliche Geschaffensein des Menschen für vereinbar hält, andrerseits aber die Giordano-Bruno-Stiftung, der Bund-der-Konfessionslosen und die Rosa-Luxemburg-Stiftung davon ungerührt die Dümmlichkeit aller Christen verspotten – dann wird es Zeit für sachliche Präzisionen.
Hansjörg Hemminger liefert sie. Kenntnisreich, faktengesättigt, bisweilen allzu detailversessen, immer aber laienverständlich und flüssig lesbar. Erstaunt liest man, dass die ersten Blätter der Bibel zur Zeit ihrer Entstehung eine sehr "moderne" Weltentstehungserzählung lieferten im Vergleich zu den Mythen anderer antiken Kulturen: Kein innerweltliches Wesen wird übernatürlich tätig, die dergestalt "entzauberte" Natur entfaltet sich schritt- und stufenweise. Erstaunt liest man, dass von Martin Luther im 16. Jahrhundert bis zum Theologen und Naturforscher Karl Heim im 20.Jahrhundert der Bibel nie ein "naturwissenschaftlicher" Wahrheitsbegriff übergestülpt wurde, sondern ihre "Richtigkeit" und Zuverlässigkeit an ihrer Kernaussage, ihrer theologischen Mitte, gemessen wurde: an der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dessen erfahrbarer, spiritueller Unmittelbarkeit.
Hemminger findet, die "lebendige Stimme" des Auferstandenen und seiner Gemeinde durch zwei Jahrtausende dürfe nicht auf einen "widerspruchsfreien, irrtumslosen Papierpapst namens Bibel" reduziert werden, wie das fromme Kreationisten und atheistische Darwinisten in seltsamer Übereinstimmung tun. Dass weder Gott noch die Kirche den forschenden Verstand des Menschen und seine Erkenntnisse fürchten müssen, sondern im Gegenteil, wissenschaftlicher Fortschritt als Gabe und Aufgabe verstanden wird – dafür plädiert der Autor mit klugen Argumenten und nachvollziehbarer Leidenschaft. Pikant an diesem Buch sind sein Verlag und der Erscheinungsort: Bei "Brunnen" in "Gießen" wird traditionell die theologisch konservative protestantische Leserschaft bedient. Ein Beispiel für Verlegermut ist es insofern obendrein.
Rezensiert von Andreas Malessa
Hansjörg Hemminger: Und Gott schuf Darwins Welt. Der Streit um Kreationismus, Evolution und Intelligentes Design
Brunnen-Verlag, Gießen 2009
227 Seiten, 12,95 Euro
Das eine war erkenntnistheoretischer Unsinn, das andere war theologisch dummes Zeug und obwohl schon der erste Gedankenknopf falsch eingelocht wurde, knöpft man das Hemd unverdrossen weiter. In Schulen, an Universitäten, auf dem Buchmarkt.
Aber muss es die Gesamtgesellschaft überhaupt interessieren, wenn Darwins Evolutionstheorie von Atheisten zu einer materialistischen Welterklärungsformel hochstilisiert und für gehässige Religionskritik vereinnahmt wird? Geht es uns was an, dass am rechten Rand der christlichen Kirchen fromme Kreationisten die biblische Genesisgeschichte als wissenschaftliche Schöpfungs-"lehre" etablieren wollen und christliche Glaubenszeugnisse in Forschungsfeindlichkeit ummünzen?
Ja, meint der Professor für Verhaltensbiologie, der Psychologe und Weltanschauungsbeauftragte Dr. Hansjörg Hemminger aus Stuttgart, ja, das geht alle an: Dem Treiben beider Lager muss Einhalt geboten werden, denn ideologische Darwinisten gefährden die Glaubens- und Gewissensfreiheit, sind religiös intolerant und träumen von ihrer alleinherrschenden Deutungshoheit über die Kultur. Ideologische Kreationisten gefährden die Unterscheidung von Glaube und Vernunft, verwechseln dauernd religiöses Bekenntnis und wissenschaftliche Erkenntnis und träumen von der Alleinherrschaft ihres Wertekanons über die Kultur.
Wenn einerseits der Straßburger Europarat 2007 in Resolution Nr. 1580 vor den "Gefahren des Kreationismus im Erziehungswesen" warnt, andererseits aber in hunderten christlicher Privatschulen eben dieser Kreationismus gelehrt wird, wenn einerseits die Evangelische Kirche Deutschlands und die Deutsche katholische Bischofskonferenz klipp und klar die Anerkennung der Evolutionstheorie mit dem Glauben an das göttliche Geschaffensein des Menschen für vereinbar hält, andrerseits aber die Giordano-Bruno-Stiftung, der Bund-der-Konfessionslosen und die Rosa-Luxemburg-Stiftung davon ungerührt die Dümmlichkeit aller Christen verspotten – dann wird es Zeit für sachliche Präzisionen.
Hansjörg Hemminger liefert sie. Kenntnisreich, faktengesättigt, bisweilen allzu detailversessen, immer aber laienverständlich und flüssig lesbar. Erstaunt liest man, dass die ersten Blätter der Bibel zur Zeit ihrer Entstehung eine sehr "moderne" Weltentstehungserzählung lieferten im Vergleich zu den Mythen anderer antiken Kulturen: Kein innerweltliches Wesen wird übernatürlich tätig, die dergestalt "entzauberte" Natur entfaltet sich schritt- und stufenweise. Erstaunt liest man, dass von Martin Luther im 16. Jahrhundert bis zum Theologen und Naturforscher Karl Heim im 20.Jahrhundert der Bibel nie ein "naturwissenschaftlicher" Wahrheitsbegriff übergestülpt wurde, sondern ihre "Richtigkeit" und Zuverlässigkeit an ihrer Kernaussage, ihrer theologischen Mitte, gemessen wurde: an der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dessen erfahrbarer, spiritueller Unmittelbarkeit.
Hemminger findet, die "lebendige Stimme" des Auferstandenen und seiner Gemeinde durch zwei Jahrtausende dürfe nicht auf einen "widerspruchsfreien, irrtumslosen Papierpapst namens Bibel" reduziert werden, wie das fromme Kreationisten und atheistische Darwinisten in seltsamer Übereinstimmung tun. Dass weder Gott noch die Kirche den forschenden Verstand des Menschen und seine Erkenntnisse fürchten müssen, sondern im Gegenteil, wissenschaftlicher Fortschritt als Gabe und Aufgabe verstanden wird – dafür plädiert der Autor mit klugen Argumenten und nachvollziehbarer Leidenschaft. Pikant an diesem Buch sind sein Verlag und der Erscheinungsort: Bei "Brunnen" in "Gießen" wird traditionell die theologisch konservative protestantische Leserschaft bedient. Ein Beispiel für Verlegermut ist es insofern obendrein.
Rezensiert von Andreas Malessa
Hansjörg Hemminger: Und Gott schuf Darwins Welt. Der Streit um Kreationismus, Evolution und Intelligentes Design
Brunnen-Verlag, Gießen 2009
227 Seiten, 12,95 Euro