1. Den Palästinensern klarmachen, dass sie heute, 74 Jahre nach Gründung des Staates Israel, keine Flüchtlinge mehr sind.
2. Die UNWRA schließen und der Palästinensischen Autonomiebehörde die Aufgaben der UNWRA (Nahrungsmittelversorgung, Gesundheitssorge und Bildung) übertragen.
3. Das sogenannte „Recht auf Rückkehr“ ausheben.
Adi Schwartz und Einat Wilf: "Der Kampf um Rückkehr"
© Hentrich & Hentrich
An der Wurzel des Konflikts
11:18 Minuten
Adi Schwartz und Einat Wilf
Aus dem Englischen von Michael Pietrucha
Der Kampf um RückkehrVerlag Hentrich & Hentrich, Leipzig 2022302 Seiten
24,90 Euro
Ist Frieden im Nahen Osten möglich? Und wenn ja: wie? Die israelische Politikberaterin und frühere Knesset-Abgeordnete Einat Wilf und der Politikwissenschaftler Adi Schwartz schauen auf die Grundlagen des Konflikts.
Der israelisch-palästinensische Konflikt gilt als einer der komplexesten und komplizierten Konflikte der Welt. Und er ist einer der am meisten untersuchten und diskutierten Konflikte der Welt.
Die Grundannahme der beiden Autoren ist, dass der Konflikt nicht kompliziert ist. Er ist einfach zu erklären, wenn man bereit ist, die Dinge beim Namen zu nennen: Hier ist das Land. Die Juden haben einen historisch gewachsenen Bezug zum Land und ihr Anspruch auf das Land ist legitim. Die Palästinenser haben ebenfalls einen historisch gewachsenen Bezug zum Land und auch ihr Anspruch auf das Land ist legitim.
Die Juden waren immer wieder bereit, das Land entsprechend der UN-Teilungserklärung von 1947 zu teilen. Die Palästinenser waren nie bereit, das Land zu teilen und hielten – auch wenn sie immer wieder vorgaben, zu Verhandlungen und zu einer Friedenslösung bereit zu sein – in Wahrheit durchgehend an ihrer Forderung fest, das ganze Land haben zu wollen.
Wilf und Schwartz sehen die Wurzel des Konflikts darin, dass die Palästinenser das Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung grundsätzlich ablehnen und führen in ihrem Buch eine Fülle von Quellen an, die das belegen sollen. Anhand historischer arabischer Quellen weisen sie nach, dass die Forderung nach einem Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge eine Chiffre ist für die Forderung nach der Auflösung des jüdischen souveränen Staates.
Eine Frage der Selbstbestimmung
Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Palästinenser, die zwischen 1947 und 1949 das Land (zuerst Mandatsgebiet Palästina, ab 1948 Israel) verlassen haben, auf zwischen 500.000 und 900.000. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte. 1949 schätzte die UN Economic Survey Mission for the Middle East die Zahl auf 726.000.
Ein Drittel der Flüchtlinge blieb innerhalb der Grenzen des Mandatsgebiets Palästina und später Israels, entweder im von Jordanien besetzten Westjordanland oder im von Ägypten besetzten Gazastreifen. Ein Drittel der Menschen siedelte sich in den arabischen Nachbarländern Libanon, Syrien, Transjordanien und Ägypten an. Ein weiteres Drittel verließ die Region und ging nach Europa und in die USA.
Heute beanspruchen auch die Nachfahren derjenigen, die damals das Land verlassen haben, den Flüchtlingsstatus für sich. Und so kommt es, dass sich heute weltweit insgesamt mehr als sieben Millionen Menschen als palästinensische Flüchtlinge definieren. Bei der UNWRA registriert sind allerdings nur 4,3 Millionen.
Dennoch: Wenn sieben Millionen Palästinenser oder auch „nur“ 4,3 Millionen tatsächlich nach Israel kommen würden – von einer Rückkehr kann man bei den meisten nicht sprechen, – dann würde das allein quantitativ das Ende der jüdischen Selbstbestimmung in Israel bedeuten.
Das jüdische Recht auf Selbstbestimmung
Die klar strukturierte Argumentation der Autoren setzt bei einer genauen Betrachtung des Unabhängigkeitskriegs von 1947 bis 1949 ein, in dem die Streitkräfte des jüdischen Jischuv, aus denen im März 1948 die Israel Defense Forces (IDF) wurden, gegen palästinensische Milizen und Banden arabischer Freiwilliger aus den Nachbarstaaten kämpften. Ab der Unabhängigkeitserklärung Israels am 15. Mai 1948 marschierten arabische Armeen in Israel ein und kämpften gegen die IDF.
Wilf und Schwarz sehen einen ersten Schritt zu einem ernsthaften Friedensprozess darin, dass benannt wird, was der eigentliche Kern und die Wurzel des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern ist.
Nicht die Siedlungen, nicht die Besatzung, nicht Benjamin Netanjahu oder jetzt Itamar Ben-Gvir stehen ihrer Überzeugung nach einer friedlichen Einigung auf eine Teilung des Landes im Weg, sondern die fundamentale und prinzipielle Verneinung der Legitimität des Anspruchs des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung in jedwedem Territorium durch die Palästinenser.
"West-Plaining" als neuer Begriff
Ausdruck dieser grundsätzlichen Verneinung ist für sie die Forderung der Palästinenser nach einem Recht auf Rückkehr all der Menschen und ihrer Nachfahren 1947 und 1948.
Westliche Politiker, Diplomaten und Journalisten sind nicht bereit, das klar zu benennen. Wenn – wie kürzlich bei dem Besuch von Mahmud Abbas bei Olaf Scholz geschehen - die Palästinenser ihre Erzählung des Konflikts mit den Israelis offen und direkt formulieren (“50 Holocausts“), gibt es immer wieder westliche Politiker, Diplomaten und Journalisten, die die Palästinenser und ihre Sicht nicht ernst nehmen und erklären wollen, was die Palästinenser in Wahrheit meinen und denken.
Anat Wilf hat für dieses Phänomen ein neues Wort erfunden. Sie nennt dieses kommunikative Muster “West-Plaining“. Mit dieser Wortkreuzung aus den englischen Begriffen für Erklären und Westen bezeichnet sie diese ganz spezielle Form westlich-kolonialer Bevormundung der Palästinenser.
Was ist gut und richtig?
Die Autoren fordern den Westen auf, sich von diesem kommunikativen Muster zu verabschieden und den Kern des Problems zu benennen: Die Palästinenser hätten in den 74 Jahren des Bestehens des israelischen Staates und bei den vielen Friedensgesprächen, die in diesen Jahren geführt wurden, immer wieder vorgeführt, dass es ihnen weniger wichtiger ist, selbst einen souveränen Staat zu haben, als dass die jüdischen Israelis keinen Staat haben.
Die Lösungen, die gefunden werden müssen, müssen deshalb viel grundsätzlicher ansetzen. Es müsste den Palästinensern gesagt werden, dass sie ihre Identität nicht länger auf ihrem Flüchtlingsstatus von 1948 aufbauen können. Den Palästinensern müsste gesagt werden, dass der Unabhängigkeitskrieg von 1948 vorbei ist, dass es kein Rückkehrrecht der sogenannten Flüchtlinge gibt.
Die Europäer, sagte Wilf einmal in einem Interview, zögen es aber bisher vor, sich gut zu fühlen, als das Gute und Richtige zu tun.
Forderungen und Demografie
Wer wirklich Frieden ermöglichen möchte, muss sich dafür einsetzen, dass Faktoren, die den Frieden verhindern, ausgeräumt werden. In den Augen der Autoren – und sie begründen das sehr überzeugend – gibt es kein größeres Hindernis für den Frieden als die Forderung der Palästinenser nach Rückkehr all derer, die sich heute als palästinensische Flüchtlinge definieren.
Und die UNWRA (The United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East), das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, ist die Institution, die die destruktive Erzählung einer vermeintlich gerechten Forderung nach “Rückkehr“ von Menschen, die tatsächlich selbst nie im Land gelebt haben, nährt und am Leben erhält.
Daher sehen die Autoren die Voraussetzungen für ernsthafte Friedensverhandlungen in folgenden Punkten:
Die jüdischen Israelis sind eine kleine Minderheit in der Region. Als der Staat gegründet wurde, war das Zahlenverhältnis der 1:50 und heute, nach vielen Einwanderungswellen und bei hoher Geburtenrate in Israel, ist das Zahlenverhältnis der jüdischen Israelis zur arabischen Mehrheit in der Region 1:60. Die jüdischen Israelis werden auf immer eine kleine Minderheit bleiben und sind allein deshalb schon zu Kompromissen bereit, so die Autoren.
Ihre Botschaft: Während Shimon Peres, mit dem Einat Wilf jahrelang zusammengearbeitet hat, zu sagen pflegte, dass man Frieden ähnlich wie Liebe machen sollte, nämlich bei halb geschlossenen Augen, empfiehlt Einat Wilf heute, die Augen weit zu öffnen und klar zu analysieren, was das Gegenüber tut und was es beabsichtigt.