Gesellschaft

Kampfzone Freibad

Viele Menschen verbringen einen sommerlich warmen Tag im Berliner Prinzenbad.
Auf ins Getümmel! © picture alliance / dpa / Fabian Sommer
Gedanken von Cantürk Kiran · 03.05.2024
Im Freibad wird im Kleinen durchgespielt, was in der Gesellschaft im Großen verhandelt wird, heißt es. Doch dann dürfte die zunehmende Militarisierung des Schwimmbads niemanden verwundern, meint DLF-Redakteur Cantürk Kiran.
Wer regelmäßig schwimmen geht, weiß: Freibäder sind regelrechte Kampfzonen. Alle gegen alle. Die einen wollen regelmäßig und vor allem ungestört ihre Bahnen ziehen und dabei auf zwei bis drei Kilometer kommen, die anderen höchstens 15 Minuten ihres mehrstündigen Aufenthalts im Wasser verbringen – und das mit Vorliebe am Beckenrand – und die ganz anderen wollen einfach nur mit Arschbomben vor ihren Freunden glänzen.
Dabei ist es ganz unerheblich, woher man kommt oder wie man aussieht. Es geht alleine darum, in welche der drei Brigaden man sich einreiht. Dann wird das eigene Programm durchgezogen – gnadenlos. Schwimmen hat mehr von Kampfsport, als man gemeinhin glaubt.

Mikrokosmos der Gesellschaft

Aus der Ferne ähneln die Schwimmbrillen Kampfbemalungen, und so manche Badekappe der Freizeitprofisportler ziert ein Totenkopf oder Panzer. Es wird ausladend geschwommen, beim Überholen geschnitten, getreten – und immer muss man auf der Hut sein vor einschlagenden menschlichen Granaten und Geisterschwimmern, die die Spur nicht halten können oder wollen.
Dabei war das Freibad schon immer ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Alle aktuellen Diskurse werden hier verhandelt: Migration, Sexualmoral und damit einhergehende Diskriminierungen. Und seit über zwei Jahren, seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der darauffolgenden Energiekrise, finden diese Aushandlungsprozesse bei kühlen 22 Grad Wassertemperatur statt. Vor der Energiekrise waren es im Schnitt 26 Grad.
Unsere Freiheit wird nun mal auch in deutschen Badelandschaften verteidigt, hat man das Gefühl – auch beim Nackt- oder Mitbadehoseduschen, beim Thema Burkini oder der Befreiung weiblicher Brüste vom Textilzwang.
Man könnte meinen, ein kaltes Becken würde die erhitzten Gemüter abkühlen. Doch falsch gedacht. In der letzten Saison – das war das zweite Jahr der Großen Abkühlung – war es sogar so, dass man sich an den Eingängen mit einem offiziellen Dokument ausweisen musste. Die Politik hatte entschieden, die Freibäder zu befrieden. Ohne Ausweis also kein Einlass. So manchen Spontanbesuch im Freibad musste ich deswegen abbrechen.
Es traf aber auch 80-jährige Damen mit Rollator. Auch deren offiziell beurkundete Namen wurden mit einer Liste – von ja, was eigentlich: potenziellen Freibad-Gefährdern? – abgeglichen. Schließlich sind Regeln Regeln und das ist oft ihr ganzer Sinn. Auch eine gehbehinderte Seniorin hätte im Eifer des Gefechts ihren Rollator als Tatwaffe einsetzen können – und da hätten auch die in Mannschaftsstärke vor einigen Berliner Bädern postierten Polizisten nicht viel ausrichten können. Übrigens: Die Ausweispflicht gilt immer noch.

Gut gerüstet für die Wasserschlacht

Da hilft es auch nicht, dass die Temperatur im Berliner Prinzenbad zum Start der aktuellen Freibadsaison sogar auf 20 Grad heruntergekühlt oder je nachdem, wo im klimabewussten Spektrum man sich verortet, hocherhitzt wurde. Wer oft schwimmen geht, weiß, das ist sehr kalt – und mir persönlich zu kalt.
Seit der Großen Abkühlung sieht man immer öfter Menschen in Neoprenanzügen. Für mich sehen sie aus wie Kampfschwimmer. Ich selber hätte Schwierigkeiten, meinen mir scheinbar zugeflogenen Rettungsring da hineinzuquetschen. Aber wenigstens habe ich immer einen dabei, sollte eine größere Wasserschlacht ausbrechen und ich mich irgendwo festhalten müssen. Am Ende muss man doch alles immer selbst machen. 
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