Kanae Minato: "Geständnisse"
Roman. Aus dem Englischen von Sabine Lohmann.
C. Bertelsmann, München 2017
269 Seiten, 16,99 Euro
Blutiger Krimi über die Albträume Japans
Ein junge Lehrerin als Rachegöttin: Mit ihrem Debüt "Geständnisse" hat Kanae Minato ein vertracktes Schuld-und-Sühne-Drama vorgelegt. Die überzeichneten Unappetitlichkeiten lassen einen beim Lesen erschauern – ganz im Sinn des neuen japanischen Krimi-Genres "Iyamisu".
In Japan kursiert eine neue Genrebezeichnung. "Iyamisu", so werden in Japan Kriminalromane genannt, die einen besonders unappetitlichen Inhalt haben. Als Königin dieser Disziplin gilt Kanae Minato, ihr Debüt "Geständnisse", das jetzt auch Deutsch erschienen ist, beginnt allerdings zunächst eher traurig: Yūko Morichi, eine junge Lehrerin, hat ihre kleine Tochter bei einem tragischen Unfall auf dem Schulgelände verloren.
Dann wird es tatsächlich sofort ziemlich krass: Während die Yūko Morichi die Milchkartons für die Frühstückpause austeilt, erklärt sie ihrer Klasse, dass Naoki und Shūya, zwei der Schüler, die vor ihr im Raum sitzen, ihre Tochter umgebracht haben: "Offenbar habt ihr ja alle eure Milch ausgetrunken, aber habt ihr auch einen Beigeschmack bemerkt? Vielleicht einen Hauch von Eisen?"
Yūko Morichi hat den Kartons der beiden Schüler, die sie für die Täter hält, das Blut eines Aidskranken beigemischt: "Die Inkubationszeit für das HI-Virus beträgt meist fünf bis zehn Jahre, Zeit genug für euch, über den Wert des Lebens nachzudenken."
Neues Kapitel, neue Perspektive
Das ist nur der Anfang. Kanae Minato – Jahrgang 1973, sie war selbst Lehrerin, bevor sie zur Bestsellerautorin wurde – wechselt von Kapitel zu Kapitel die Perspektive. Auf den grausamen Monolog der Lehrerin folgt ein langer Brief, in dem eine Mitschülerin erzählt, wie Shūya von der Klasse gemobbt wird, während Naoki sich in monatelang zu Hause in seinem Zimmer einschließt.
Naokis Mutter kommt zu Wort, in einem Tagebuch, das schließlich abbricht, weil sie von ihrem Sohn angegriffen wird, und zuletzt ist man live dabei, als Shūya, der kaltblütigere der beiden Teenager, ein Massaker an der Schule plant und auf seiner Website ankündigt: "Ich hoffe, ihr schaut zu, wenn ich eine Katastrophe auslöse, die in die Annalen der Jugendkriminalität eingehen wird."
Und das ist noch nicht einmal das Ende. Zuletzt schlägt die Rachegöttin Yūko Morichi noch einmal zu: Kanae Minato hat ein vertracktes Schuld-und-Sühne-Drama nach dem Vorbild der griechischen Antike geschrieben.
Ausgesprochen japanischer Tonfall
Der Tonfall – höflich distanziert, selbst wenn es richtig unangenehm wird – ist allerdings ausgesprochen japanisch. Die Themen sind es erst einmal auch: In den 90er-Jahren gab es eine ganze Reihe von brutalen Gewalttaten unter Teenagern, darunter die Enthauptung eines 11-jährigen Schülers in Kobe, die in diesem Roman bereits zu einer Art urbaner Folklore geworden ist.
Mobbing ist ein echtes Problem an den Schulen in Japan und gehört genau wie die gestörten Beziehungen zwischen Eltern und Kindern oder Lehrern und Schülern – die in diesem Roman im blutigen Stil des "Iyamisu" grotesk überzeichnet werden – zu den Folgen der großen Erschütterungen, die die ehemals autoritär organisierte Gesellschaft zwischen dem Ende des Wirtschaftsbooms und Fukushima erlebt hat.
"Geständnisse" ist ein Buch über die Albträume eines ganzen Landes. Und selbst aus einer Entfernung von knapp 10.000 Kilometern Luftlinie läuft es einem bei der Lektüre kalt den Rücken herunter. (hum)