Kant-Garagen in Berlin

Neues Leben in einer Bau-Ikone

Innenansicht der Kant-Garagen in Berlin
Noch deutet nichts darauf hin, aber in den Kant-Garagen soll ein Ort für Kunst, Kultur und Wissenschaft entstehen. © picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken
Von Wolf-Sören Treusch |
In den 1930er-Jahren galten die vierstöckigen Kant-Garagen in Berlin-Charlottenburg als eine architektonische Sensation. Auch heute hat das Gebäude, für das es eine neue Nutzung geben soll, seinen Charme nicht verloren.
Die Fassade der vierstöckigen Hochgarage ist dunkelgrau und heruntergekommen, an vielen Stellen mit Graffitis bemalt. Ein Netz hängt davor, es soll Passanten vor herunterfallenden Glas-Teilen schützen. Auf der Baustelle selbst ist schon lange nichts mehr passiert.
Gädeke: "Was ist das denn für ein Käse hier?"
Schultz: "Das Problem ist, dass diese Tür …"
Gädeke: "… hängt."
Schultz: "Hängt so runter."
Gädeke: "Ja, ja, hat sich verzogen."
Eigentümer Dirk Gädeke, der in Berlin schon manches Bauprojekt verwirklicht hat, ist jedoch überzeugt: Wenn der Winter vorbei ist, werden die Baufirmen endlich loslegen können.
Schultz: "Ah, das ist es."
Gädeke: "Runter drücken."
Schultz: "Ah ja, so."

"Es war immer eine ganz besondere Immobilie"

Zusammen mit seinem Freund, dem Galeristen Michael Schultz, hat er einiges vor. Er will die Hochgarage wieder zum Leben erwecken, will aus ihr einen Ort für Kunst, Kultur und Wissenschaft machen. Noch deutet nichts darauf hin. Drinnen ist es dämmrig, fahles Licht fällt von der Seite herein. Tankstelle und Werkstatt, die hier im Erdgeschoss waren, sind längst zurückgebaut. Trotzdem riecht es nach Benzin und Motoröl. Die Kant-Garagen zu sanieren und einer neuen Nutzung zuzuführen, ist seit langem Dirk Gädekes Herzensprojekt.
"Als Student bin ich hier hochgefahren, da war oben ’ne Autofirma drin: British Leyland. Ich hatte ’nen Mini, da bin ich immer diese Rampe rauf. Ich habe dieses Parkhaus geliebt. Es war immer erkennbar Bauhaus, es war immer eine ganz besondere Immobilie, ich kenne es seit 40 Jahren und fand es eben einfach rettenswert. Erhaltenswert. Das ist wunderbar, und deshalb habe ich das gemacht."


2016 hat der 74-jährige Unternehmer das Gebäude gekauft. Der Vorbesitzer wollte die Hochgarage abreißen lassen, scheiterte jedoch am Denkmalschutz und gab auf. Nun also musste sich Dirk Gädeke dem Gerangel mit den Behörden stellen. Er sicherte ihnen zu, viele der noch im Original vorhandenen Ausstattungselemente aus der Zeit der klassischen Moderne zu erhalten. Zum Beispiel etliche Parkboxen und die stark ramponierte gläserne Vorhangfassade, die als weltweit einmalig gilt. Im vergangenen Jahr erteilte ihm der Bezirk schließlich die Baugenehmigung.
"Die Fassade bleibt komplett erhalten, also die Scheiben, die Sie jetzt sehen, werden rausgenommen, aber es wird wieder ein profiliertes Drahtglas rein kommen. Sie wird demontiert in Teilen, wird dann in den Werkstätten aufbereitet, wird neu verglast und sieht dann aus wie sie 1938 aussah."
Dirk Gädeke, Eigentümer der Kant-Garage
Dirk Gädeke, Eigentümer der Kant-Garage© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch

Eine architektonische Sensation

Bei ihrer Eröffnung 1930 galten die Kant-Garagen als architektonische Sensation. Für Aufsehen sorgte die einzigartige Doppelhelix, zwei gegenläufige Rampen, auf denen sich die Autofahrer beim Rauf- und Runterfahren in der Park-Garage nicht begegneten.
"Also richtig erkennen kann man es überhaupt erst im Modell. Ansonsten: Sie können sich hier glatt verfahren, weil Sie gar nicht mehr wissen, wo sind Sie rein gefahren, wo kommen Sie raus unten? Ist wirklich toll. Genial."
Vor dem Zweiten Weltkrieg erfüllte der Kant-Garagenpalast höchste Ansprüche. Bis zu 300 Autos fanden in ihm Platz. Es gab nicht nur Tankstelle und Werkstatt, sondern auch Waschplätze und eine hydraulische Hebebühne für den Schmierdienst. Das gesamte Gebäude inklusive der Garagenboxen war mit einer Zentralheizung ausgestattet. Sie schützte die Holz-Karosserien vor Feuchtigkeit.


Nach dem Zweiten Weltkrieg investierten die verschiedenen Eigentümer nichts mehr in den Erhalt des Gebäudes. Als Parkhaus und Tankstelle diente es noch bis 2017. Nun endlich können die Sanierungs- und Umbauarbeiten beginnen. Wenn sie abgeschlossen sind, Dirk Gädeke rechnet mit 2020, soll das Berliner Baudenkmal frei zugänglich sein.
Ins Erdgeschoss kommt hochwertige Gastronomie, eine Art "Markthalle" mit Restaurant und Feinkostläden. In den ersten Stock zieht der Galerist Michael Schultz, ein enger Freund Gädekes.
"Sie glauben gar nicht, wie das in der Szene, also in meiner Galerien- und Künstlerszene, wie das im Gespräch ist. Alle warten darauf, dass eröffnet wird, ich werde ständig gefragt, ich war jetzt in Miami, sogar dort werde ich auf die Kantstraße angesprochen."
Kant-Garage in Berlin-Charlottenburg
Kant-Garage in Berlin-Charlottenburg© imago/Jürgen Ritter

Ein perfekter Ort mit vielen Nutzungsmöglichkeiten

Bauhaus zieht auch international. Klare Linien und neue Sachlichkeit begeistern eben nicht nur deutsche Galeristen. Die Hoch-Garage mit ihren ehemaligen Parkboxen sei ein perfekter Ort mit vielen Nutzungsmöglichkeiten, meint Michael Schultz.
"Wir können sozusagen hier Ausstellungen machen und zeigen und haben ein offenes Lager dazu. Verstehen Sie? Also wenn wir jetzt zum Beispiel Kunden haben, die nach irgendwelchen Kunstwerken von Künstlern fragen, wir haben drei verschiedene Läger hier in der Stadt und außerhalb, dann müssen wir die Bilder erst ranholen, aber hier können wir mit einem offenen Lager arbeiten, wir haben da hinten Möglichkeiten, auch in die Garagen-Elemente reinzugehen, mit Rollschienen, das haben wir alles da, und so ist unser Geschäft viel einfacher."


Nebenan auf dem Areal, auf dem einmal die Werkstatthalle stand, will Dirk Gädeke ein Hotel bauen lassen mit 62 Zimmern. Selbstverständlich mit vielen Bezügen darin zum Thema Hochgarage und Mobilität.
"Wir werden Pläne ausstellen, wir werden eine Plastik ausstellen von Vostell, das ist ein Klavier spielendes Motorrad, also alles auf Verkehr bezogen, wir werden alles auch in Sachen Kunst, was mit Verkehr zu tun hat, hier reinbringen, aber insbesondere die ganze Geschichte des Kant-Garagenpalastes erzählen. Es gibt alte Fotos, es gibt also ganz viel davon, und das muss man ja irgendwo erzählen."
2017 zeigte die "Enter Art Foundation" in Teilen des Gebäudes 250 Werke von aufstrebenden Künstler*innen.
2017 zeigte die "Enter Art Foundation" in Teilen des Gebäudes 250 Werke von aufstrebenden Künstler*innen.© picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken

Start-ups sollen einziehen und forschen

Im zweiten und dritten Stock der Hochgarage sollen Büro- und Konferenzräume entstehen. Auch hier wird es um Verkehr gehen, um ein Zukunftsprojekt mit dem allgemeinen Titel "Neue Mobilität". Junge Start-ups sollen einziehen und dazu forschen.
Einer, der das Projekt mit vorantreibt, ist der Baustadtrat des zuständigen Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf: Oliver Schruoffeneger von Bündnis 90/Die Grünen. Er schlägt sogar vor, dass sich auch der Bezirk daran beteiligt.
"Die Idee für die Kant-Garagen ist im Moment, dass wir das über eine GRW-Finanzierung des so genannten Innovationsclusters machen, GRW, Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsförderung. Das heißt, da müsste dann eine Vereinsstruktur als Träger auftreten, in der mindestens sieben Betriebe diesen Verein tragen, und davon muss ein Forschungsinstitut sein und ein Großunternehmen, und der Rest kleinere Unternehmen, und wir als Bezirk würden halt als einer von sieben da mit reingehen."

Und auch ein Büro in den Kant-Garagen beziehen. Denn was liege näher, so der Baustadtrat, als das Know-how von Stadt- und Verkehrsplanern zu verknüpfen mit dem Wissen derjenigen, die zu den Themen der Zukunft forschen und entwickeln: Car-Sharing, Verkehrs-Apps, alternative Antriebssysteme.
"Allein: Wie werden heute Ladesäulen für E-Mobilität genehmigt. Sie schaffen sich ein Auto an, dann stellen Sie den Antrag auf eine Säule, und dann warten Sie neun Monate, bis die Säule kommt, und in der Zeit können Sie ihr Auto nicht benutzen. Das heißt auch da, wenn wir E-Mobilität fördern wollen, brauchen wir eine völlig andere Verwaltungsstruktur. Da ist der enge Austausch, der enge Dialog zwischen den Entwicklern und denen, die es verwaltungstechnisch umsetzen müssen, unabdingbar, und das wollen wir dann natürlich auch an diesem Ort haben."


Doch zunächst einmal geht es jetzt darum, die alte Mobilität wieder herzustellen. Wie beispielsweise die Parkboxen mit ihren auf Rollschienen laufenden Metalltoren.
"… also die Zusicherung für den Denkmalpfleger war: Die hinteren drei Doppelkojen auf beiden Seiten werden erhalten."
Insgesamt 36 Parkboxen werden originalgetreu wieder hergestellt und zu Lager-, Büro- oder Konferenzräumen umfunktioniert. In den vierten Stock zieht Dirk Gädeke mit seinem Unternehmen ein. Und aufs Dach kommt ein Penthouse. Sanierung und Umbau der Hochgarage, Hotelneubau: Das alles wird viel Geld kosten. Die Kant-Garagen anschließend mit hoher Rendite weiterzuverkaufen, kommt für den 74-jährigen Unternehmer trotzdem nicht in Frage.
"Und ich habe Gott sei Dank ’ne Familie, die alle so denken: Drei Söhne, eine Tochter, alle sagen, das ist es, wird nicht verkauft, behalten wir, und da engagieren wir uns auch."
Der Investor scheint es ernst zu meinen. Wenn alles gut geht, wird bald wieder Leben sein in den Kant-Garagen, jener Mobilitätsikone der 1930er-Jahre. Ein gutes Zeichen im Jahr des Bauhaus-Jubiläums.
Die Kant-Garage ist die älteste erhaltene Hochgarage Europas.
Die Kant-Garage ist die älteste erhaltene Hochgarage Europas.© picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken