Kantaten auf dem Kiez
Hamburg St. Pauli steht für Rotlicht-Milieu, Hafen und Touristen. Mittendrin ist der Chor Friedenskirche. Zusammen mit dem Kammerorchester St. Pauli versuchen die 60 Sängerinnen und Sänger, dem Viertel christliche Chormusik näher zu bringen. Mit Erfolg: Zum Konzert ist die Kirche immer proppenvoll.
Keine Frage, Mateo, jüngstes Mitglied im Chor Friedenskirche auf Hamburg St. Pauli. Mia Drews:
"Elf Wochen alt, mein kleiner Sohn."
Mateo hat schon einen gewissen musikalischen Grundrhythmus. Kein Wunder, die 32-jährige Alt-Sängerin Mia Drews nahm Mateo schon im Mutterleib mit zu Singen:
"Ich habe angefangen, kurz bevor ich schwanger geworden bin, im Chor zu singen und habe dann die ganze Schwangerschaft über im Chor gesungen und fand das einfach sehr schön und habe jetzt gedacht bringe ihn einfach mal mit. Mal gucken, ob das geht. Er ist auch ganz ruhig, er weint nie eigentlich bei den Proben oder so."
Der Chor probt getrennt von "seinem" Orchester, beide geleitet vom 35-jährigen Fernando Swiech, Kirchenmusiker, gebürtiger Brasilianer und seit 13 Jahren in Deutschland. Für das Konzert Anfang Juni mit der Paukenmesse von Haydn findet heute die erste gemeinsame Probe statt. Ein Sprung ins kalte Wasser in dieser leeren Kirche, das wissen alle. Fernando Swiech:
"Die müssen sich aufeinander einstimmen. Und in so einer Kirchenakustik ohne Publikum mit einem Hall von drei, vier Sekunden zusammen zu spielen und zusammen sauber zu spielen und zu singen, ist nicht ganz ohne."
Vorne das 35-köpfige Kammerorchester St. Pauli, dahinter die rund 60 Sängerinnen und Sänger des Chores. Fernando Swiech bittet um einen Ton:
"Susan, kannst du ein C bitte spielen! C! Das ist für euch der Ton da hinten. Glo.....!"
Seit Anfang Januar probt der Chor die "Paukenmesse"; der erste Eindruck der ersten gemeinsamen Probe? Fernando Swiech gibt sich diplomatisch:
"Man muss damit leben, es ist nie gut genug."
Vor drei Jahren hatte die Friedenskirche keinen Chor mehr. Bis der Kirchenmusiker Swiech einen noch existierenden Singkreis langsam zum Chor aufbaute, der auf St. Pauli, also im traditionellen Touristen-, Musical-, Hafen- und Rotlicht-Viertel Hamburgs, klassische Kirchenmusik machte. Das Repertoire: Haydn, Bach, Mendelssohn-Bartholdy, aber auch Kompositionen des brasilianischen Musikers Heitor Villa-Lobos. Inzwischen hat das Projekt große Resonanz im Stadtteil. Fernando Swiech:
"Chor sehr gut. Frauenchor: Eeeeeht iiinternaaaaam! Sprecht es ordentlich aus."
Der "Chor Friedenskirche" - ein Laienchor. Allerdings einer mit hohem künstlerischen Anspruch und Disziplin.
Gut, nicht immer, wenn ´s um nicht abgeschaltete Handys geht. Fernando Swiech:
"Fünfzig Cent. Das ist billig, nicht!"
Kleiner Scherz, das mit den 50 Cent. Ernster wird es, meint Chorleiter Swiech, bei der Teilnahme an Konzerten:
"Also, wenn man im Konzert mitspielen beziehungsweise mitsingen möchte, muss man drei Viertel der Proben mitgemacht haben. Aber wer nicht mitprobt, darf dann nicht mitsingen. Und das wissen alle, sie sind erwachsen; und das klappt gut."
"Tenöre da hinten, bitte mit den Stühlen eine Reihe bilden. Die Tenöre."
Wie es sich für den Hamburger Stadtteil St. Pauli ziemt, bietet der Chor Friedenskirche…
"Sopran, Alt, Tenor, Baaaahass!"
…eine sehr bunte soziale wie spirituell-religiöse Zusammensetzung, wie Rainer Finke, 37, Tenor, und seine Sopran-Kollegin Tonia Robert, 35, meinen:
Rainer Finke: "Wir haben alle möglichen Berufsgruppen drin, und wir haben doch sehr viele, sehr sozial engagierte Menschen und auch viele Leute, denen vordringlich gar nicht das so wichtig ist, dass das ein Kirchenchor ist oder dass das christlich ist. Das ist der Raum, in dem das stattfindet, aber für mich ist es das Singen, das das Glück ausmacht."
Tonia Robert: ""Mir geht es ums Singen. Ich bin seit einem dreiviertel Jahr ungefähr dabei. Es ist auch für mich eine Art Gemeinschaft. Da ist es egal, ob es christlich ist oder ob es hier in der Kirche stattfindet. Das ist wie gesagt der Rahmen, und der wirkt bestimmt auch auf eine gewisse Art und Weise. Aber im Grunde genommen ist es egal."
Ist es tatsächlich egal? Für die einen ja, für die anderen durchaus nicht. Dass die "Weltlichen" wie die "Spirituell-Religiösen" sich hier trotzdem zusammen die Seele aus dem Leib singen, macht den Reiz dieses Chores aus. Fernando Swiech jedenfalls geht davon aus, dass der Kirchenraum einen wichtigen Einfluss auf Musik hat. Fernando Swiech:
"Also, der Raum ist schon sehr magisch."
Und Hartmut Cyriacks, Bass, 56 Jahre alt, meint, dass zwar nach der ersten gemeinsamen Probe von Chor und Orchester:
"Die Musik spricht ja den Text."
… noch gerne nachgearbeitet werden darf…
Fernando Swiech
"Chor: Ihr merkt, ihr seid mit dem Orchester zusammen, und dann fangt ihr an zu träumen."
… doch dann kommt Hartmut Cyriacks ins Schwärmen, wenn nämlich alles anfängt zu stimmen:
"Wenn wir mit bis zu 100 Leuten Musik machen."
… dann würden die metaphysischen Aspekte dieser Kirchenmusik wirksam:
"Innerhalb dieses Klangraums Kirche eben auch."
Das sind die Momente, sagt Hartmut Cyriacks, wenn man Teil eines Klangkörpers wird:
"Wenn wir mit bis zu 100 Leuten Musik machen, ist das wirklich ein Aufgehen innerhalb der Musik, was einen für viel Arbeit dann auch belohnt."
Was dann passieren kann, sagt der Bass-Sänger aus dem Chor Friedenskirche, ist nicht mehr zu fassen:
"Das ist eine Musik, die kommt eigentlich irgendwo anders her."
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
"Elf Wochen alt, mein kleiner Sohn."
Mateo hat schon einen gewissen musikalischen Grundrhythmus. Kein Wunder, die 32-jährige Alt-Sängerin Mia Drews nahm Mateo schon im Mutterleib mit zu Singen:
"Ich habe angefangen, kurz bevor ich schwanger geworden bin, im Chor zu singen und habe dann die ganze Schwangerschaft über im Chor gesungen und fand das einfach sehr schön und habe jetzt gedacht bringe ihn einfach mal mit. Mal gucken, ob das geht. Er ist auch ganz ruhig, er weint nie eigentlich bei den Proben oder so."
Der Chor probt getrennt von "seinem" Orchester, beide geleitet vom 35-jährigen Fernando Swiech, Kirchenmusiker, gebürtiger Brasilianer und seit 13 Jahren in Deutschland. Für das Konzert Anfang Juni mit der Paukenmesse von Haydn findet heute die erste gemeinsame Probe statt. Ein Sprung ins kalte Wasser in dieser leeren Kirche, das wissen alle. Fernando Swiech:
"Die müssen sich aufeinander einstimmen. Und in so einer Kirchenakustik ohne Publikum mit einem Hall von drei, vier Sekunden zusammen zu spielen und zusammen sauber zu spielen und zu singen, ist nicht ganz ohne."
Vorne das 35-köpfige Kammerorchester St. Pauli, dahinter die rund 60 Sängerinnen und Sänger des Chores. Fernando Swiech bittet um einen Ton:
"Susan, kannst du ein C bitte spielen! C! Das ist für euch der Ton da hinten. Glo.....!"
Seit Anfang Januar probt der Chor die "Paukenmesse"; der erste Eindruck der ersten gemeinsamen Probe? Fernando Swiech gibt sich diplomatisch:
"Man muss damit leben, es ist nie gut genug."
Vor drei Jahren hatte die Friedenskirche keinen Chor mehr. Bis der Kirchenmusiker Swiech einen noch existierenden Singkreis langsam zum Chor aufbaute, der auf St. Pauli, also im traditionellen Touristen-, Musical-, Hafen- und Rotlicht-Viertel Hamburgs, klassische Kirchenmusik machte. Das Repertoire: Haydn, Bach, Mendelssohn-Bartholdy, aber auch Kompositionen des brasilianischen Musikers Heitor Villa-Lobos. Inzwischen hat das Projekt große Resonanz im Stadtteil. Fernando Swiech:
"Chor sehr gut. Frauenchor: Eeeeeht iiinternaaaaam! Sprecht es ordentlich aus."
Der "Chor Friedenskirche" - ein Laienchor. Allerdings einer mit hohem künstlerischen Anspruch und Disziplin.
Gut, nicht immer, wenn ´s um nicht abgeschaltete Handys geht. Fernando Swiech:
"Fünfzig Cent. Das ist billig, nicht!"
Kleiner Scherz, das mit den 50 Cent. Ernster wird es, meint Chorleiter Swiech, bei der Teilnahme an Konzerten:
"Also, wenn man im Konzert mitspielen beziehungsweise mitsingen möchte, muss man drei Viertel der Proben mitgemacht haben. Aber wer nicht mitprobt, darf dann nicht mitsingen. Und das wissen alle, sie sind erwachsen; und das klappt gut."
"Tenöre da hinten, bitte mit den Stühlen eine Reihe bilden. Die Tenöre."
Wie es sich für den Hamburger Stadtteil St. Pauli ziemt, bietet der Chor Friedenskirche…
"Sopran, Alt, Tenor, Baaaahass!"
…eine sehr bunte soziale wie spirituell-religiöse Zusammensetzung, wie Rainer Finke, 37, Tenor, und seine Sopran-Kollegin Tonia Robert, 35, meinen:
Rainer Finke: "Wir haben alle möglichen Berufsgruppen drin, und wir haben doch sehr viele, sehr sozial engagierte Menschen und auch viele Leute, denen vordringlich gar nicht das so wichtig ist, dass das ein Kirchenchor ist oder dass das christlich ist. Das ist der Raum, in dem das stattfindet, aber für mich ist es das Singen, das das Glück ausmacht."
Tonia Robert: ""Mir geht es ums Singen. Ich bin seit einem dreiviertel Jahr ungefähr dabei. Es ist auch für mich eine Art Gemeinschaft. Da ist es egal, ob es christlich ist oder ob es hier in der Kirche stattfindet. Das ist wie gesagt der Rahmen, und der wirkt bestimmt auch auf eine gewisse Art und Weise. Aber im Grunde genommen ist es egal."
Ist es tatsächlich egal? Für die einen ja, für die anderen durchaus nicht. Dass die "Weltlichen" wie die "Spirituell-Religiösen" sich hier trotzdem zusammen die Seele aus dem Leib singen, macht den Reiz dieses Chores aus. Fernando Swiech jedenfalls geht davon aus, dass der Kirchenraum einen wichtigen Einfluss auf Musik hat. Fernando Swiech:
"Also, der Raum ist schon sehr magisch."
Und Hartmut Cyriacks, Bass, 56 Jahre alt, meint, dass zwar nach der ersten gemeinsamen Probe von Chor und Orchester:
"Die Musik spricht ja den Text."
… noch gerne nachgearbeitet werden darf…
Fernando Swiech
"Chor: Ihr merkt, ihr seid mit dem Orchester zusammen, und dann fangt ihr an zu träumen."
… doch dann kommt Hartmut Cyriacks ins Schwärmen, wenn nämlich alles anfängt zu stimmen:
"Wenn wir mit bis zu 100 Leuten Musik machen."
… dann würden die metaphysischen Aspekte dieser Kirchenmusik wirksam:
"Innerhalb dieses Klangraums Kirche eben auch."
Das sind die Momente, sagt Hartmut Cyriacks, wenn man Teil eines Klangkörpers wird:
"Wenn wir mit bis zu 100 Leuten Musik machen, ist das wirklich ein Aufgehen innerhalb der Musik, was einen für viel Arbeit dann auch belohnt."
Was dann passieren kann, sagt der Bass-Sänger aus dem Chor Friedenskirche, ist nicht mehr zu fassen:
"Das ist eine Musik, die kommt eigentlich irgendwo anders her."
Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.