Ein Sozialdemokrat aus dem Bilderbuch
Fußballer, Buchhändler, Bürgermeister, EU-Parlamentspräsident - und bald Bundeskanzler? Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist ein Bilderbuch-Sozialdemokrat. Er hat sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet und kämpft bis heute unermüdlich für die europäische Idee.
Auf dem Fußballplatz:
"Auf die Linie!"
Schulz: "Da ist ja überhaupt keine Luft drin in dem Ball!"
Schulz: "Da ist ja überhaupt keine Luft drin in dem Ball!"
Wenn Martin Schulz einen Ball sieht, gibt es für den kleinen Mann mit der runden Brille kein Halten. Jackett auf den Rasen, und los aufs Tor.
"Und jetzt! Hau ihn!"
Knapp daneben. Schulz am Betzenberg in Kaiserslautern. Er trifft Horst Eckel, fast 85, Mitglied der Weltmeisterelf von 1954, für den glühenden FC-Köln-Fan Schulz ein Idol.
Horst Eckel: "Nein, nein, nein. Das war nit er! Das ist der Ball! Da ist ja kei Luft drin, das geht ga nit!"
Vom Meniskus ausgebremst
Martin Schulz wollte eigentlich Profi-Fußballer werden, kennt nur seine Schwarzen Teufel vom SV Rhenania. Selbst aufs Abitur verzichtet er für den Traum. Vergeblich: Der Meniskus macht alles zunichte. Mit Alkohol ertränkt er den Frust. Schulz ganz unten.
Doch der junge Mann, aufgewachsen in Würselen, fängt sich. Macht eine Lehre als Buchhändler. Danach geht es bergauf. Mit 31 wird er Bürgermeister, der jüngste in Nordrhein-Westfalen.
"Die Menschen hier sind unabhängig von der Parteizugehörigkeit richtig stolz, dass einer von uns diesen Weg gemacht hat!"
Sagt Arno Nelles, heute Oberhaupt der Kleinstadt bei Aachen. Schulz, ein Sozialdemokrat aus dem Bilderbuch. Fußballer, Schulabbrecher, vom Buchhändler zum EU-Präsidenten, zum Bundeskanzler? Der 61-Jährige verkörpert das, was Sozialdemokraten ausmacht wie kaum ein anderer. Die Sucht nach Alkohol hat er überwunden, seit 30 Jahren keinen Tropfen mehr. Ich kann auch anders lustig sein. Französische Chansons sind neben dem Fußball seine Leidenschaft. Er singt sogar selbst ganz gern.
Aus kleinen Verhältnissen weit gekommen
Martin Schulz, ein Mann aus kleinen Verhältnissen, der es so weit gebracht hat. Das verlangt Respekt: Auch vom politischen Gegner:
"Also er ist jemand, der ist politisch erst mal ballerig auf Draht!",
urteilt Christdemokrat Elmar Brok, langjähriger Weggefährte im EU-Parlament.
"Im persönlichen Gespräch aber ist das ein sehr nachdenklicher Mann, der zuhören kann und der auch Handschlagsqualität hat!"
Die stellt er auf Europas Bühne oft unter Beweis. 1994 zieht er ins EU-Parlament, 2012 wird er dessen Präsident. Ein einflussreicher. Er ist immer dabei. Trifft sich mit den Mächtigen Europas. Fünf Sprachen spricht er fließend. Das hilft.
Jean-Claude Juncker: "Wann immer wir zusammensitzen, versuche ich Luxemburgisch zu sprechen mit meinen Mitarbeitern, damit er nicht versteht, aber er versteht alle wichtigen Sprachen der Welt."
Er ist ein Freund, sagt Jean-Claude Juncker, der EU-Kommissionspräsident, gegen den Schulz bei der Europawahl 2014 verliert. Schulz, der unermüdliche Kämpfer für die europäische Idee.
Beliebt dank Berlusconi
Der Deutsche, der vom Italiener Berlusconi als KZ-Aufseher beschimpft wurde. Was ihm noch mehr Sympathien einbrachte.
Martin Schulz: "Ich mache oft die Erfahrung, dass in anderen Ländern der Europäischen Union, da, wo mich die Leute kennen und erkennen, schon sehen, dass ich in erster Linie ein europäischer Deutscher bin."
Als solcher tritt er nun gegen Merkel an. Wer, wenn nicht er, sollte wieder für Europa begeistern können? Meint die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig:
"Der Unterschied zwischen Martin Schulz und der Kanzlerin ist, dass Martin Schulz erklären kann, warum brauchen wir Europa, dass er auch begeistern kann."
Gerechtigkeit als innenpolitisches Thema
Schulz, der Europäer, innenpolitisch aber ist er für viele ein unbeschriebenes Blatt. Gerechtigkeit will er zum Thema machen. Heute und morgen wird er auf der Parteiklausur über das Wahlprogramm diskutieren.
"Da muss natürlich auch mehr getan werden für den sogenannten Mittelstand",
fordert die konservative Abgeordnete Petra Ernstberger.
Und Mathias Miersch, Sprecher des linken Flügels drängt auf Umverteilung in der Steuerpolitik:
"Wenn es Steuererhöhungen für einige gibt, wie beispielsweise die Einführung der Vermögenssteuer, dass es auch eine Entlastungsdiskussion für andere Bevölkerungsteile gibt, gerade bei den Sozialausgaben."
Viele Baustellen für den Kanzlerkandidaten. Von heute an wird sich sein Leben noch einmal verändern. Allzu oft dürften seine Frau Inge und die beiden erwachsenen Kinder ihn in Würselen erst mal nicht mehr zu sehen bekommen.