Kapitäne im Mannschaftssport

Binde und Bürde

Lia Wälti, Kapitänin bei dem 1. FFC Turbine Potsdam im Frauen-Bundesligaspiel gegen den SC Sand in der Saison 2016/2017
Lia Wälti, Kapitänin bei dem 1. FFC Turbine Potsdam © picture alliance / Carlotta Erler
Von Thilo Schmidt · 09.09.2018
Was machen eigentlich Mannschaftskapitäne, außer nach dem Münzwurf durch den Schiedsrichter die Seitenwahl zu entscheiden? Sind sie Klassensprecher, der verlängerte Arm des Trainers, Vertrauensperson? Ein bisschen was von allem und noch viel mehr.
"Alle Kapitäninnen sind verschieden. Es gibt Kapitäninnen, die schreien rum auf dem Platz, die machen sich bemerkbar durch lautstarke Kommunikation, es gibt Kapitäninnen, die sind total in sich gekehrt und regeln alles in Ruhe, und dann gibt es die, die auf dem Platz überhaupt nicht als Kapitänin erkannt werden. Weil die vielleicht neben dem Platz für die Mannschaft eine viel wichtigere Rolle spielen."
Vergangene Saison. Turbine Potsdam empfängt daheim, im Karl-Liebknecht-Stadion, den SC Freiburg. Es geht um viel – immerhin um einen Champions-League-Platz. Turbine-Kapitänin Lia Wälti und die Mannschaftsführerin der Freiburger Gäste haben vor dem Spiel der Schiedsrichterin die Hand gegeben. Dann wurde die Platzwahl per Münzwurf entschieden. Die üblichen Rituale. Mehr bekommt man von außen nicht mit. Nur dass Spielführer- und Führerinnen Armbinden tragen. Wozu braucht eine Mannschaft einen Kapitän?
"Ich glaube die Ausgeglichenheit einer Person kann einer Mannschaft ganz guttun, so in jeglicher Hinsicht eigentlich. Dass man sich mit jedem versteht. Das ist immer so gut gesagt, aber dass man sich mit jedem unterhalten kann, gewisse Dinge ansprechen kann, ob's mit älteren oder jüngeren Spielern ist, ob mit dem Trainerteam, mit Sponsoren oder mit irgendwelchen Journalisten. Also dass man da so ein bisschen die Ausgeglichenheit hat. Das ist sicherlich wichtig."
Was ist ein Kapitän oder eine Kapitänin? Klassensprecher? Trainerassistentin? Seelsorger? Und wer wird Kapitän? Der Loyalste dem Trainer gegenüber? Die Ausgeglichenste? Der beste Spieler? Die zentralste Spielerin? Dass Lia Wälti, die auch schweizerische Nationalspielerin ist, Kapitänin bei Turbine Potsdam wurde, hat auch mit ihrer Position im zentralen Mittelfeld zu tun.
"Dadurch, dass ich aber mal 'ne sehr zentrale Position spiele und eigentlich alle Spielerinnen um mich herum hab, ist es schon so, dass viele Entscheide auch von mir und der zentralen Kette, sag ich mal, gefällt werden. Wie zum Beispiel: Wann pressen wir an, wann nicht, wann ziehen wir die Stürmer zurück. Und das sind so Entscheide, wo der Trainer dann vor dem Spiel auch sagt, wer die zu treffen hat, und das betrifft dann meistens halt mich jetzt als zentrale Spielerin und vorne noch 'ne Stürmerin und 'ne Innenverteidigerin, und das sieht man vielleicht als Zuschauer gar nicht wirklich. Das sind viele Kommunikationen, die man untereinander auf dem Spielfeld kurz wahrnimmt."

Kapitäne sind meistens Mittelfeldspieler

Auch die Kapitäne der Fußball-Nationalmannschaft – der Herren – waren tatsächlich meistens Mittelfeldspieler, seltener Stürmer oder Verteidiger. Torwarte wie Oliver Kahn oder Manuel Neuer waren bzw. sind eher die Ausnahme. Denn: Kapitäne stehen idealerweise 90 Minuten in Kontakt mit Trainer und Mitspielern.
Turbine-Trainer Matthias Rudolph.
"Wenn ich als Trainer was rein rufe, dann geht das manchmal direkt zu den Spielern, aber größere Sachen, beispielsweise wir stellen das System um, das läuft meistens dann über die Kapitänin. Da würde ich von draußen das kurz kommunizieren, würde sie vielleicht kurz ran holen. Und dadurch, dass wir ja viele Sachen auch im Training einstudiert haben und geübt haben, kann sie dann sofort alle Spieler auch noch mal umschieben, so wie ich das möchte, und dann ist da schon so eine Funktion ganz wichtig."
Und Lia Wälti sei, sagt Matthias Rudolph, der im Hauptberuf Gymnasiallehrer ist, eine der besten Spielerinnen Europas.
"Das sieht man in jedem Training, dass sie 'ne unwahrscheinlich hohe Qualität hat, und auch in vielen Spielen, dass sie mit einer hohen Konstanz ihre Leistung bringt, und dementsprechend auch aufgrund ihrer Leistung in der Mannschaft vorangeht und deshalb auch zurecht Kapitänin ist, und die andere Seite ist natürlich auch noch die menschliche oder die persönliche Seite, sie ist eben auch für mich als Trainer eine wichtige Bezugsperson in die Mannschaft hinein, und sie hat eben einen hervorragenden Charakter auch mit allen Spielerinnen umzugehen, weil sie einfach sehr sozial ist und ein großes Empathie-Verständnis hat. Und dementsprechend auch viele Sachen auch noch mal vermitteln kann. Vielleicht auch noch mal als Frau einer Frau vermitteln kann, weil ich ja ein Mann bin."
Für was ist der Kapitän erfunden worden? Für den Platz? Für die Kabine? Ist er oder sie die Stimme der Mannschaft? Oder des Trainers? Für Matthias Rudolph nimmt seine Kapitänin erst einmal eine hohe Position in der Hierarchie des Teams ein.
"Da steht an oberster Spitze die Kapitänin, also Lia Wälti bei uns, dass auf diese Spielerinnen gehört wird, was im Spiel passiert, was während des Spiels passiert. Weil da kann's ja nicht jetzt so sein, dass elf da ne verschiedene Meinung haben und elf was anderes machen, sondern da müssen ja alle an einem Strang ziehen. Und da ist es schon wichtig, dass es einzelne Spielerinnen gibt, die da das Kommando geben, und das oberste Kommando hat aus meiner Sicht die Kapitänin dann. Man unterhält sich mit der Kapitänin dann doch manchmal ein bisschen intensiver über verschiedene taktische Ausrichtungen, was vielleicht für unsere Mannschaft am besten passt, bei den Spielertypen die man hat, und dementsprechend verwurzelt oder tiefgründig ist dann auch das Verhältnis, weil man sich ja auch in vielen Gesprächen ausgetauscht hat. Und deshalb ist man sich auch relativ einig, wenn man dann auf dem Platz das Kommando gibt, wir stellen mal zu dem und dem System um, sie weiß dann meistens zu 100 Prozent Bescheid, weil wir das ja in vielen Gesprächen schon erörtert haben."

Kapitänin als eine Art Klassensprecherin

Friederike Mehring, einst selbst Fußballerin in Potsdam und andernorts, führt durch die Geschäftsstelle des FFC.
"Also hier ist unsere Kabine, da haben die Mädels ihre kompletten Fußballschuhe, jeder hat hier sein eigenes Fach mit mehr oder weniger allen Schuhen die es so gibt, im Fußball, dann gibt es hier ganz normal Toilette, Spiegel zum Fertigmachen, hier hängen dann auch immer die wichtigsten Termine aus."
"Spiegel? Für ein Fußballspiel?"
"Na klar. Der ist hier immer voll besetzt. Der ist eigentlich noch zu klein. Für 25 Mädchen."
Lockeres Miteinander in der Kabine. Der Kader von Turbine Potsdam ist etwa so groß wie eine Schulklasse. Und vermutlich gibt es die gleichen gruppendynamischen Effekte.
"Hier ist so ein Strafenkatalog, wer was bezahlen muss."
Eine Schulklasse, mit Klassensprecherin, wenn man die Kapitänin hier mal so nennen darf – und sozialen Regeln, bei deren Nichtbeachtung Strafe gezahlt werden muss. Angeschlagen ist der Katalog an der Kabinentür: Von zu spät kommen, 10 Euro, bis rote Karte für unsportliches Verhalten – 150 Euro.
"Ja, definitiv, wir haben ja 25 Spielerinnen, die müssen ja alle irgendwie geleitet werden, oder auch Absprachen getroffen werden, und es gibt gewisse Spielregeln, wie überall, in der Schule, beim Job. Dass alle Materialien da sind, das alle pünktlich sind, und klar, das ist dann halt so ein kleiner Ansporn, dass es dann halt so einen Strafen-Katalog gibt, damit man weiß: OK, das ist die Spielregel, das ist die Konsequenz, dann müssen sie sich hier nicht gegenseitig immer anmaulen, weil jeder weiß, wies läuft. Und es sind jetzt auch keine Horrorgeschichten, die hier aufgetischt werden, das ist hier nur Pünktlichkeit, dass man irgendwie wegen Unsportlichkeit oder wegen unnötigen Sachen hier mal ein bisschen einen auf den Deckel bekommt. Viele Sachen sind halt auch witzig, und letztendlich geht das alles ja auch an die Mannschaft zurück. Also die Mädels verwenden das irgendwann mal für einen Mannschaftsabend oder solche Sachen."

Kapitäne im Eishockey tragen keine Binde, sondern ein "C" auf der Brust

40 Kilometer nordöstlicher und 20 Grad kälter. In der liebevoll "Wellblechpalast" genannten Eishalle trainieren die Eisbären Berlin. Die meisten Spiele tragen die Eisbären zwar mittlerweile in einer großen, nach einem Automobilkonzern benannten Arena aus, aber trainiert wird immer noch in Hohenschönhausen und auch das Herz der Fans schlägt immer noch hier. Die Kapitäne im Eishockey tragen keine Binde wie im Fußball, sondern ein "C" auf der Brust, und auch sonst gibt es einiges, wovon sich Stefan Ustorf gerne abgrenzt. Ustorf war 21 Jahre Profi, und lange Zeit selbst Kapitän. Jetzt leitet er im Management der Eisbären die Spielerentwicklung.
"Die Situation ist natürlich so, dass beim Fußball, vor allem in Deutschland, die Öffentlichkeitswahrnehmung sehr, sehr viel höher ist als beim Eishockey, aufgrund der Medien, aufgrund der Fans, allen diesen Dingen, ich muss dazu sagen, dass es in der Vergangenheit immer wieder Fußballkapitäne gab, die Sachen gemacht haben, wo ich sagen muss, die würden im Eishockey so nicht durchgehen. Die Art und Weise, über Mannschaftskameraden zu reden, in der Öffentlichkeit, oder zu kritisieren, auch die im Fußball anscheinend gang und gäbe sind, und die man auch von einem Kapitän im Fußball erwartet, die würden im Eishockey so nicht durchgehen."
Beispiel: Oliver Kahn 2003 nach einer Niederlage der Bayern auf Schalke.
Reporter: "Oliver Kahn, sie sind bekannt für ihre klaren Worte: Warum hat Bayern München hier heute 2:0 verloren?"
Kahn: "Weil wir kein Tor geschossen haben und weil wir nicht alles aus uns rausgeholt haben, was möglich ist." Reporter: "Können sie das ein bisschen konkretisieren? Was hat ihnen konkret gefehlt?"
Kahn: "Eier!"
Reporter: "Die Mannschaft hat sich nicht gewehrt, die Mannschaft hat nicht das gezeigt, was sie schon seit Wochen eingefordert haben, hab ich sie da richtig verstanden?"
Kahn: "Ich sag ja Eier, wir brauchen Eier! Sie wissen, was das heißt!"
Reporter: "Ich weiß, was das heißt. Wie wird es anders?"
Kahn: "Ich hab ja gerade `ne Antwort gegeben."
Reporter: "Welchen Einfluss haben sie als Kapitän, irgendwas zu machen? Sie sagen zwar, was fehlt, aber wie kann man denn was ändern?"
Kahn: "Was soll ich hier jedes Mal vor der Kamera stehen und hier diskutieren, was man ändern kann, das ist doch alles nur Alibi-Erklärungen. Ich denke, dass wir die Dinge intern besprechen werden, und dass die Spieler genau wissen, was sie verbessern müssen. Was soll ich hier jedes Mal in die Kamera reinquatschen, das ist doch völlig sinnlos!"
"Ja, ob es jetzt Oliver Kahn ist oder Stefan Effenberg, oder Kapitäne im Fußball allgemein, die ihre Mitspieler öffentlich hart kritisiert haben, um mehr Leistung aus ihnen herauszubringen, das sind Dinge, die würden bei uns nicht funktionieren. Da würde es extremen Ärger geben."
André Rankel von den Eisbären Berlin im Spiel gegen Grizzlys Wolfsburg in der Deutschen Eishockey Liga, aufgenommen am 05. November 2017 in der EisArena Wolfsburg
Fühlt sich auch für das Menschliche in der Kabine verantwortlich: André Rankel, Kapitän der Eisbären Berlin.© picture alliance / CITYPRESS 24
Andere Sportart, andere Aufgaben? Auch im Eishockey hat der Kapitän beide Funktionen. Eine sportliche – und damit auch eine Assistenzfunktion des Trainers – und eine soziale, als Vertrauensperson und Interessenvertreter der Mannschaft. André Rankel, der aktuelle Kapitän der Eisbären.
"Ja, es ist definitiv eine Mischung aus all dem Ganzen. Man kann nicht sagen, ich bin nur dafür zuständig, nur im sportlichen Bereich, sondern natürlich auch, was das Menschliche in der Kabine betrifft, was den Umgang miteinander anbetrifft, was die Kommunikation mit dem Trainer betrifft, die Bedürfnisse der Spieler zu hören und demensprechend dann mit dem Trainerteam zu kommunizieren und daraufhin dann Schlüsse zu ziehen, wie man was besser machen kann. Und aufm Eis, natürlich, willste ein Vorbild sein, willst du vorangehen, willst den Jungs den Weg zeigen und somit helfen, erfolgreich zu sein."
Führt das zu Loyalitätskonflikten?
"Nein, überhaupt gar nicht. Das sollte man jetzt auch nicht überbewerten. Dass ich jetzt nur dastehe und kritisiere. Das ist gar nicht der Fall. Es ist wichtig, dass du von den Jungs respektiert und anerkannt wirst, ansonsten macht das keinen Sinn, Kapitän der Mannschaft zu sein, und du musst da voll akzeptiert sein, und deswegen sehe ich da nicht das Problem. Also ich bin da für die Mannschaft, und wenn ich kritisiere, dann kritisiere ich mich gleichzeitig mit dazu, es ist halt immer wichtig, dass man drüber redet, dass man Dinge zur Sprache bringt, weil wenn man Dinge totschweigt, dann ist es schwer, weiterzukommen."
"Ein Kapitän, meiner Meinung nach ist eine Person, die zu 100 Prozent den Respekt der Mannschaft selber genießt, innerhalb der Kabine. Ich erwarte von meinem Kapitän, dass er sich vor die Mannschaft stellt, dass er mit Vorbildfunktion vorangeht, egal, was das ist, auf dem Eis, außerhalb vom Eis, die Art und Weise, wie er mit der Presse umgeht, ich erwarte vom Kapitän, dass er ein Bindeglied ist zwischen dem Trainerstab und den Spielern selber, ich erwarte von meinem Kapitän, dass er sich um die Mannschaft innerhalb der Kabine kümmert. Was ich von meinem Kapitän nie erwarten würde und auch nie gutheißen würde, ist, dass er seine Mitspieler öffentlich kritisiert."
Spielordnung des Deutschen Eishockey-Bundes. Artikel 48. Sportgruß.
"Die Kapitäne beider Mannschaften haben sich vor jedem Spiel den Schiedsrichtern auf dem Eis mit Handschlag vorzustellen und haben sich nach dem Spiel mit Handschlag von ihnen zu verabschieden."

"Das ist ein stärkerer Charakter"

"Es ist der Kopf der Mannschaft, …"
Lasse Koslowski, Fußballschiedsrichter in Regionalliga, Dritter Liga und Zweiter Bundesliga.
"… es ist derjenige, der auch am meisten zu sagen haben wird, und das macht sich dann eben auch bemerkbar. Er pusht die Spieler, er motiviert, er erteilt Anweisungen, und das kriegt man dann natürlich auch mit als Schiedsrichter. Und da wissen wir dann eben auch: Das ist ein stärkerer Charakter."
Dass die Kapitäne dem Schiedsrichter vor dem Spiel die Hand geben, ist üblich. Ein Zeichen für Wertschätzung und Fairplay. Nach dem Spiel ist es nicht immer die Regel, und manchmal eine Frage des Charakters, sagt Lasse Koslowski. Überhaupt, vieles hänge von den beteiligten Charakteren ab. Lia Wälti – die Potsdam inzwischen verlassen hat und bei Arsenal London spielt.
"Auch da ist es unterschiedlich, mit welchen Schiedsrichterinnen man zusammenarbeitet, sag ich mal, weil es gibt solche, die sind sehr kommunikativ, auch auf dem Platz, wenn das Spiel läuft, dass sie dann immer mit einem mitreden, auch mal mitdiskutieren oder auch mal dir 'ne Begründung geben, warum sie was gepfiffen hat, und es gibt Schiedsrichterinnen, die kommentieren selten was. Da kann man auch mal was fragen und dann kommt da nichts im Spiel. Und ich versuch da einfach, sehr ruhig zu bleiben, weil ich genau weiß, ne Kapitänin ist eigentlich die Spielerin im Team, die sich mit dem Schiedsrichter nicht anlegen darf."
Während des Spiels haben Kapitäne entgegen der landläufigen Meinung – beim Fußball – nicht mehr Rechte als jeder andere Spieler. Pflichten jedoch schon. So steht es in den "Fußball-Regeln" des DFB.
"Ein Spieler jeder Mannschaft ist der Spielführer, der Teamkapitän. Obwohl er für das Benehmen seiner Mannschaft verantwortlich ist, genießt er keine Sonderrechte."

In Stresssituationen späht der Unparteiische schon mal nach dem Kapitän

Für den Unparteiischen entsteht eine Stresssituation, wenn nach einer Entscheidung, die möglicherweise falsch war, ein Tumult entsteht und Trauben von Spielern auf den Schiedsrichter einstürmen. Im Ernstfall späht der dann nach den beiden Spielern mit der Armbinde.
"Ja, wenn man beide Kapitäne zusammenzieht, dann ist eine außerordentliche Situation, da geht es dann beispielsweise darum, dass man eine gelbe Karte einem falschen Spieler gegeben hat versehentlich, man wurde darauf hingewiesen und konnte dies noch korrigieren in der regulären Situation. Dann ist das unabdingbar, dass man beiden Kapitänen es mitteilt."
Lasse Koslowski erinnert sich an ein Spiel in der B-Junioren-Bundesliga.
"Da war es dann so: Ich hatte ganz, ganz viele gelbe Karten schon gegeben, und die Spieler haben sich gegenseitig aufgepuscht, und es war schon relativ hektisch. Und dann hab ich den Kapitän zur Seite genommen und hab gesagt: Pass auf: Du sorgst jetzt hier dafür, dass die Spieler sich dann wieder beruhigen, weil sonst endet das hier noch mal in so einem farbfrohen Kartenfestival, und da müssen dann wohl ein paar Spieler des Platzes verwiesen werden, ansonsten geht es so nicht weiter. Und da hab ich es gespürt, dass ich eben diesen Kapitän holen muss."
Und: Der Kapitän im Fußball kann nach den Regularien sogar dem Trainer Weisungen erteilen.
"Also was noch häufig praktiziert wird, ist, dass über den Kapitän ein Trainer des Innenraums verwiesen wird. Also einen Platzverweis für den Trainer. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, der Trainer wird direkt durch den Schiedsrichter des Innenraums verwiesen, das heißt: Der Schiedsrichter geht zum Trainer und zeigt per Geste und per Kommunikation an, dass er eben bitte raus muss. Und zweitens, der Weg über den Kapitän, das ist so sag ich mal lehrbuchmäßig, eigentlich, aber auch leicht veraltet. Das heißt der Schiedsrichter geht zum Kapitän und sagt, der Trainer soll des Innenraums verwiesen werden, und dann wird das eben so vollzogen."
Porträt von Stefan Ustorf, Sportlicher Leiter der Eisbären Berlin
"Er ist derjenige, dem laut Regelung nur erlaubt ist, mit dem Schiedsrichter zu sprechen", sagt Stefan Ustorf, Sportlicher Leiter der Eisbären Berlin, über die Kapitänsrolle.© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Anders als im Fußball hat der Kapitän einer Eishockeymannschaft durchaus mehr Rechte als seine Mitspieler. Laut Statut ist er der einzige, der überhaupt etwas reklamieren darf. Stefan Ustorf.
"Er ist derjenige, dem laut Regelung nur erlaubt ist, mit dem Schiedsrichter zu sprechen, was bei uns im Eishockey in Deutschland leider viel zu viel passiert, dass nach jeder Aktion beide Kapitäne beim Schiedsrichter stehen um zu diskutieren. Das ist `ne Sache, die meiner Meinung nach zu 100 Prozent gelöst werden muss, weil es das Spiel einfach viel zu lang macht und langweilig macht, weil eins ist auch klar: Es gibt gar keinen Kapitän auf der Welt, der einen Schiedsrichter schon mal dazu gebracht hat, seine Entscheidung zurückzunehmen. Und von daher ist das völlig nutzlos."
Eine Möglichkeit, effektiv Einfluss zu nehmen, hat der Eishockey-Kapitän dann doch. Da er der einzige Spieler ist, der reklamieren darf und weil es im Eishockey den Videobeweis gibt – allerdings nur, wenn es um die Frage Tor oder nicht Tor geht – kann er im Zweifel einfordern, dass der Schiedsrichter sich die Situation noch einmal anschaut. Eisbären-Kapitän André Rankel.
"Ja klar, ich kann hingehen und sagen: Ich glaub das war ein Tor, wenn ich sag: Guck dir die Situation noch mal genauer an, und dann überlegt er noch mal, und wenn er sich hundert Prozent sicher ist, dann geht er nicht, und wenn er Zweifel hat, dann guckt er noch mal. Aber bei uns in der Liga kommt das in den seltensten Fällen vor, dass du als Kapitän hingehst und sagst: Guck dir das bitte noch mal an: Weil die Schiedsrichter sind sowieso darauf angewiesen, wenn sie sich nicht hundertprozentig sicher sind, zum Videobeweis zu gehen."
In hitzigen Situationen die Ruhe bewahren, gutes Vorbild sein, für das "Benehmen" der Mannschaft zu sorgen, verlängerter Arm des Trainers, Vertrauensperson der Mannschaft. Ganz schön viel für eine Person. Wer kommt wie in ein solches Amt? In manchen Mannschaften wählen die Mitspieler ihren Kapitän, in anderen bestimmt der Trainer ihn per Dekret. Auch Lia Wälti wurde nicht gewählt, sondern von Rudolphs Vorgänger, dem Turbine-Urgestein Bernd Schröder ernannt – ungefragt. Und nicht nur das, sie erfuhr davon auch noch aus der Zeitung, so erzählt man es sich in Potsdam.
"Hier war das so, vor vier Jahren, dass ich eigentlich auch so ein bisschen überrumpelt wurde, weil ich auch überhaupt nicht damit gerechnet habe. Und auch erst 20 Jahre alt war, und dadurch in `ne Rolle geschlüpft bin, die ein bisschen über dem war, was ich mir vorgestellt hab, glaub ich, aber vielleicht war das auch so seine Absicht, ne Spielerin zu nehmen, die da ein bisschen reinwachsen muss, reinwachsen soll, ihr vielleicht auch das Vertrauen zu geben vom Verein, dass man vielleicht `ne Spielerin so auch über Jahre binden kann."

Vom Trainer benannt, oder von der Mannschaft gewählt?

Bevor Wälti nach Potsdam kam, spielte sie bei – kein Scherz – "Young Boys Bern". Und war dort auch Kapitänin – wurde aber von der Mannschaft gewählt.
"Ja, es war definitiv anders, weil damals in Bern wusste ich noch, dass ich zu 100 Prozent von der Mannschaft als Kapitänin gesehen werde, sonst hätten sie mich nicht gewählt, und dann geht man die Sache schon ganz anders an. In der Mannschaft hatte ich auch `ne andere Rolle, da war ich mit 19 schon `ne Führungsspielerin, und hier her bin ich dann gekommen mit 19, und mit 20 hab ich dann die Kapitänsbinde gehabt, wo ich eigentlich damit völlig überfordert war, weil einerseits wurde ich nicht drauf vorbereitet, andererseits hatten wir Mitspielerinnen, die für mich viel eher 'ne Kapitänin waren als ich, und damit konnte ich am Anfang selbst halt nicht so richtig umgehen, und im Inneren, tief drin wusste ich: Mich hätte wahrscheinlich hier keiner gewählt zur Kapitänin."
Ein Kapitän, der gewählt wurde, wird ein anderer sein als ein Kapitän, der per Dekret bestimmt wurde. Dieser wird andere Schwerpunkte haben, sich vielleicht eher als loyaler, verlängerter Arm des Trainers empfinden. Während sich ein Kapitän, der gewählt wurde, auf den Rückhalt der Mannschaft verlassen kann. Was für Stefan Ustorf von den Eisbären das stärkere Argument ist.
"Es ist natürlich möglich, dass ein Kapitän in der Kabine anfänglich mehr Probleme hat, wenn er vom Trainer bestimmt wird, im Gegensatz zu dem, wenn er von der Mannschaft gewählt wird. Der von der Mannschaft gewählt wird, von dem weiß ich zu 100 Prozent, das ist derjenige, den die Truppe will. Das ist ihre Vertrauensperson. Also ich hab`s erst einmal erlebt in 21 Jahren, dass ein Trainer einen Kapitän bestimmt hat, den die Mannschaft einfach nicht ernst genommen hat. Ja, das gibt’s auch. Damals war es so, dass man diesen Spieler auf jeden Fall respektiert hat, war ein guter Kerl, alles klar, harter Arbeiter, aber eben von der Persönlichkeit nicht derjenige, der jetzt selber in der Kabine auch mal den Mund aufgemacht hätte, und dann hat man es halt innerhalb der Gruppe anders gelöst. Der war nur ein Jahr lang Kapitän. Und das ist auch nicht fair, ich glaube, das ist nicht fair, eine Person zu bestimmen zum Anfang der Saison, von dem ich jetzt sag: Du bist jetzt zuständig. Und wenn das alles in die Hose geht, ist es deine Schuld. So funktioniert das bei uns nicht."
Kapitän André Rankel spielt mittlerweile seine 16. Saison bei den Eisbären.
"Wenn irgendwas nicht funktioniert, dann bin ich natürlich auch immer derjenige, der dann das Wort ergreift, und sagt: So geht's nicht, so können wir's nicht machen, nicht nur, weil ich Kapitän bin, mach ich das, das hab ich vorher auch schon gemacht, das hab ich vorher auch getan."
Auch deshalb ist Rankel bei Fans und Mitspielern gleichermaßen beliebt.
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