Klimakrise und Kapitalismus
Kapitalistisches Wachstum führe weiter in die Katastrophe, sagt Ulrike Herrmann. Jens Spahn sagt, es gehe um Wachstum, das mit der Schöpfung vereinbar sei. © imago / Westlight
„Dummerweise geht es hier ums Überleben“
34:29 Minuten
Wie bewältigen wir die Klimakrise? Geordnet aus dem Kapitalismus aussteigen, empfiehlt Journalistin Ulrike Herrmann. Grünes Wachstum sei eine Illusion. Kein Kapitalismus sei auch keine Lösung, entgegnet Unions-Fraktionsvize Jens Spahn.
Wir befinden uns im Krisenmodus: Corona, Ukraine-Krieg und Klimawandel unterziehen die Gesellschaft einem enormen Stresstest. Bereits die Pandemie habe den Alltag der Deutschen „völlig auf den Kopf gestellt“, sagt der frühere CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn. Allerdings sei es gelungen – im Unterschied zur jetzigen Energiekrise – „sozioökonomisch und wirtschaftlich“ Brücken zu bauen.
Vor allem hätten Industrie und Wirtschaft „durchproduziert“, so der heutige Unions-Fraktionsvize. „Der Kern unserer Wirtschaft, unseres Wohlstandes hat weitergemacht.“
Jetzt hingegen stellten sich existentielle Fragen wie die nach der Bezahlbarkeit der Stromrechung.
Klassische kapitalistische Lösungen
Mit den Hilfsmaßnahmen habe der Staat in der Coronakrise, aber auch in der aktuellen Ukraine-Krise gezeigt, dass er als starker Akteur eingreifen könne, sagt die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann von der "taz".
Allerdings würden beide Krisen „klassisch kapitalistisch“ gelöst: So habe man mit den 500 Milliarden Euro teuren staatlichen Investitionen in der Pandemie „weiteres Wachstum“ erreichen wollen.
Das wolle sie nicht kritisieren, wie sie betont: „Es bringt überhaupt nichts, die Wirtschaft chaotisch in eine Rezession schlittern zu lassen und dann sind alle arbeitslos, verzweifelt und wählen im Zweifel rechtsradikale Diktatoren“, sagt sie. „Man muss den Ausstieg aus dem Kapitalismus geordnet organisieren, das kann man nicht einfach dem Zufall und dem Chaos überlassen.“
Kein unendliches Wachstum
Dass ein solcher Ausstieg kommen muss, steht für Herrmann freilich mit Blick auf die Klimakrise fest.
Sie sei zwar grundsätzlich „begeistert vom Kapitalismus“, weil er Wohlstand und Wachstum erzeugt habe. „Aber man kann nicht drei Planeten verbrauchen, wenn man nur eine Erde hat“, betont sie. „Dummerweise geht es hier ums Überleben.“ Man könne nicht „unendlich wachsen in einer endlichen Welt“.
Grünes Wachstum könne es aber nicht geben, so Herrmann. Entsprechende Technologien, um beispielsweise CO2 aus der Luft zu holen, würden „Billionen Dollar“ kosten und seien damit unbezahlbar.
Es müsse stattdessen ein „grünes Schrumpfen“ geben, so die Journalistin, eine um 50 Prozent geschrumpfte Wirtschaftsleistung. Das würde dem Stand des Jahres 1978 entsprechen.
Wachsen im Einklang mit der Schöpfung
„Uns wird keiner folgen auf diesem Weg“, widerspricht CDU-Politiker Spahn. Ohne Wachstum gebe es keine Perspektive für die Menschheit und auch keine für den Einzelnen.
„Ich kann uns nur empfehlen, den Kurs von Wachstum auch fortzuführen in den nächsten Jahren. Das ist auch möglich", meint Spahn. "Das ist auch das, wonach der Mensch strebt in sich und aus sich heraus: neue Dinge entdecken, das Leben angenehmer machen. Die einzige Frage ist, wie wir Wachstum schaffen, das vereinbar ist mit der Schöpfung und wie wir möglichst klimaneutral Energie erzeugen können.“
Er sehe dafür technologische Möglichkeiten, unterstreicht Spahn. Jeder, der wolle, könne sich beschränken, so der Ex-Minister im Kabinett von Angela Merkel.
In einem Staat, der vorgebe, wieviel produziert werde und wer noch Auto fahren dürfe, wolle er nicht leben.
Mit Blick auf die Pandemie-Politik der Großen Koalition sagt Spahn: "Wenig hat so geschmerzt wie diese größten Freiheitseinschränkungen in der Geschichte unseres Landes."
(bth)