Markus Ziener, Jahrgang 1960, ist Autor, Journalist und Hochschulprofessor in Berlin. Er war Korrespondent in Moskau und Washington und berichtete mehrere Jahre aus dem Mittleren Osten. Ab September 2020 geht er als Helmut-Schmidt-Fellow des German Marshall Funds und der Zeit-Stiftung in die USA.
Klimawandel und Klassenkampf
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Der Kampf um Produktionsmittel - für Karl Marx die Triebkraft jeder gesellschaftlichen Entwicklung. Doch in Zeiten von Klimawandel und Digitalisierung gilt das vielleicht bald nicht mehr, glaubt Markus Ziener. Weil Markt und Besitz an Bedeutung verlieren.
Text, Musik und Film waren die ersten Erzeugnisse, die digitalisiert wurden. Ein Buch muss heute nicht mehr gedruckt werden, um sich zu verbreiten, und es benötigt auch keinen Verleger. Das kann jeder über Plattformen selbst erledigen. Gleiches gilt für Musik, die ohne Plattenfirma angeboten werden kann, oder für Videos, die gestreamt werden. Das physische Produkt - das Buch, die CD, der Film - sind nicht mehr nötig. Und damit verlieren auch die Produktionsmittelbesitzer an Marktmacht.
Der Zukunftsforscher Jeremy Rifkin glaubt, dass sich das kapitalistische System durch die Digitalisierung selbst überflüssig macht. Die Menschen werden zu Produzenten und Konsumenten in einer Person, so genannten "Prosumern". Für Rifkin geht diese Entwicklung weit über Digitalisierbares hinaus. Mit dem 3D-Drucker, der durch selbst erzeugte Solarenergie betrieben wird, stellen wir bald selbst Produkte her. Mit dem Wachsen der Sharing Economy, bei der von Autos über Wohnungen bis hin zu Kleidung immer mehr geteilt wird, benötigen wir immer weniger Rohstoffe, so der US-Ökonom.
Ganz so einfach, wie Rifkin es sagt, wird es zwar nicht kommen. Denn noch immer bestimmen Dinge unsere Welt: Wir brauchen ein Fortbewegungsmittel, wenn wir reisen. Eine Waschmaschine, wenn wir waschen. Eine Unterkunft, wenn wir übernachten. Aber in der Tendenz brauchen wir von all dem tatsächlich immer weniger - wenn wir denn wollen.
Mit den Folgen besser leben
Die Frage nach dem Wollen dürfte uns jedoch abgenommen werden. Denn mit dem Klimawandel werden sich einige Fragen künftig ganz anders - oder eben gar nicht mehr - stellen. Wir werden bestimmte Dinge schlichtweg nicht mehr tun können:
Autofahren mit fossilen Brennstoffen, mit dem Flugzeug reisen, wohin es uns gerade Spaß macht, auf Gletschern Ski fahren oder grenzenlos Fleisch konsumieren. Wir müssen stattdessen lernen, besser mit Hitzeperioden umzugehen, unsere Häuser und Städte klimatauglich zu bauen, sorgsamer mit Wasser hauszuhalten und mit den Folgen veränderter Jahreszeiten zu leben.
Dabei wird der Klimawandel Stück für Stück unser gesellschaftliches System verändern. Denn der Markt alleine wird die richtigen Antworten für diese Herausforderungen nicht finden. Er braucht entweder Lenkungsinstrumente, wie den bislang noch unzureichenden Handel mit Emissionszertifikaten. Oder klar gesetzte rote Linien. Was das in der Konsequenz bedeutet: Die Rolle des Staates wird wachsen, Freiheiten werden beschnitten, unser Leben wird stärker reguliert.
Digitalisierung und Klimawandel passen zusammen
Wie diese Transformation ausgetragen wird, dürfte darüber entscheiden, welche Zukunft wir erleben werden. Wird es einen gesellschaftlichen Konsens über die Notwendigkeiten dieser Veränderungen geben - oder werden neue Gräben gezogen? Werden daraus, wie bereits in den USA, zwei feindliche Lager entstehen, wo die einen den Wandel leugnen und die anderen ihn gestalten wollen? Ob die Moderation dieses Prozesses gelingt, ist der entscheidende Faktor für den künftigen Weg.
Digitalisierung und Klimawandel passen dabei zusammen. Das Digitale kann den Ressourcenverbrauch dramatisch reduzieren. Und der Klimawandel wird dies noch beschleunigen. Gesellschaftlicher Erfolg wird sich dann nicht mehr an der Anhäufung materieller Güter bemessen, sondern am vernünftigen Umgang mit dem, was wir haben.
Es sind diese beiden Entwicklungen, die unser Leben verändern werden - und nicht mehr die Klassenkämpfe um Produktionsmittel. So könnte es kommen - wenn wir es wollen.