Jeremy Rifkin: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus
Aus dem Englischen von Bernhard Schmid
Campus Verlag, Frankfurt 2014
528 Seiten, 27 Euro
Kriegen wir bald alles umsonst?
Der Bestseller-Soziologe Jeremy Rifkin träumt vom Ende des Kapitalismus. In "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft" prognostiziert er eine Welt, in der Netzwerke Märkte ersetzen - und das Teilen das Besitzen verdrängt. Wer braucht dann noch Geld?
Das Zeitalter des Kapitalismus neigt sich seinem Ende entgegen. Diese forsche These illustriert der amerikanische Ökonom und Gesellschaftstheoretiker Jeremy Rifkin in seinem neuen Buch auf über 500 Seiten. "Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus" heißt es lang und recht ungelenk. In dem sperrigen Titel steckt schon der Kern der Erklärung für Rifkins Annahme:
Der Bestsellerautor glaubt, dass wir uns nicht nur auf dem Weg hin zu einer neuen Form des Wirtschaftens, sondern auch des Zusammenlebens befinden. Dies ist jedoch mitnichten das Ergebnis einer neuen kommunistischen Bewegung. Und Rifkin, der mit Büchern wie "Das Ende der Arbeit" und "Access. Das Verschwinden des Eigentums", bekannt geworden ist, steht keineswegs im Ruf, ein linker Theoretiker zu sein. Es sind vielmehr dramatische technologische Entwicklungen, die er für den grundlegenden Wandel verantwortlich macht.
Extreme Produktivität bringt optimales Wohl
Der Kapitalismus, so argumentiert der Kulturkritiker, nimmt durch die immer frappierenden Möglichkeiten dermaßen an Fahrt auf, dass er sich zu Tode rast:
"Man stelle sich ein Szenario vor, bei dem der Erfolg der dem kapitalistischen System zugrunde liegenden Logik selbst die kühnsten Erwartungen übersteigt und der Wettbewerb zu 'extremer Produktivität' führt und 'optimalem gesellschaftlichem Wohl'. Denken wir uns mit anderen Worten ein Endspiel, bei dem intensivster Wettbewerb zur Einführung immer schlankerer Technologien führt und damit die Produktivität auf einen optimalen Punkt zwingt, an dem jede zusätzliche zum Verkauf gebrachte Einheit Grenzkosten von 'nahezu null' entgegengeht."
Das ist Rifkins zentrale Annahme: Die Grenzkosten, also die Kosten für jedes zusätzlich produzierte Stück, sinken auf einen kaum mehr wahrnehmbaren Wert. Bereits heute tauschen sich bekanntlich Menschen via Internet umsonst miteinander aus und nutzen kostenlos ein ausuferndes Informationsangebot. Die dramatischen Veränderungen, die sich deshalb in Verlags- und Kommunikationsbranchen beobachten lassen, werden bald rasend schnell auch auf andere Bereiche übergreifen, glaubt Rifkin. Dafür soll das sogenannte "Internet der Dinge" sorgen. Damit ist ein intelligentes Netzwerk gemeint, das auf der Basis von Minicomputern unseren gesamten Alltag steuert und organisiert.
Alles und jeder verbunden
Was nach Science Fiction klingt, wird von Wissenschaftlern und Unternehmen tatsächlich bereits vorangetrieben. Der Fantasie sind ohnehin keine Grenzen gesetzt und der Zukunftsforscher Rifkin ist mit Begeisterung ein Verkünder des vermeintlich Kommenden:
"Das Internet der Dinge wird eines Tages alles und jeden verbinden, und das in einem integrierten, weltumspannenden Netz. Natürliche Ressourcen, Produktionsstraßen, Stromübertragungs- und logistische Netze, Recyclingströme, Wohnräume, Büros, Geschäfte, Fahrzeuge, ja selbst Menschen werden mit Sensoren versehen, und die so gewonnenen Informationen werden als Big Data in ein globales neurales Internet der Dinge-Netz eingespeist."
Andere Erfindungen machen diese schöne, neue Wunderwelt von Jeremy Rifkin noch bunter und staunenswerter. Dazu gehört ganz vorneweg der 3-D-Druck, ein Verfahren, bei dem Schicht für Schicht gegenständliche Produkte gedruckt werden. Einmal mehr gibt Rifkin den überschäumenden Enthusiasten, dem auch nur die geringsten Zweifel fremd scheinen. Das dreidimensional gedruckte Auto lässt sich demnach bald in jeder Garage produzieren:
"Das Fahrzeug kann aus nahezu kostenlos lokal erhältlichen Rohmaterialien gefertigt werden, was die Kosten dafür ebenso beseitigt wie die Kosten, sie in die Fabrik zu schaffen und vor Ort zu lagern. Die meisten Teile des Wagens sind, mit Ausnahme von Chassis und Motor, aus dreidimensional gedrucktem Plastik. Der Rest des Wagens wird in Schichten gefertigt, die in einem einzigen ununterbrochenen Arbeitsgang ‚hinzugefügt’ werden anstatt aus Einzelteilen zusammengeschweißt, was weniger Material bedeutet, weniger Zeit, weniger Arbeitskraft."
Netzwerke ersetzen Märkte
Solche Bauanleitungen und gewagten Prognosen klingen nach abenteuerlicher Fantasy. Doch auf ihnen gründet erst Rifkins eigentliche Botschaft vom Verschwinden des Kapitalismus, beziehungsweise - zurückhaltender - dessen Zurückdrängung in kleine Nischen. Denn wenn die Grenzkosten aufgrund solcher innovativer Technologien gegen null tendieren, so sein Argument, dann wird das meiste ganz umsonst zu haben sein. Profite lassen sich also kaum mehr erwirtschaften, einst mächtige Unternehmen werden zurückgedrängt. Netzwerke ersetzen Märkte. Teilen wird über Besitzen gestellt, Geld kaum mehr gebraucht. Statt Eigennutz regiert das Prinzip umfassender Zusammenarbeit.
Die schönsten kommunistischen Fantasien könnten nicht heller leuchten. Da intelligente Maschinen in Rifkins Zukunftswelt die Arbeit nahezu gänzlich übernehmen, winkt den einstmals der Diktatur der Produktion unterworfenen Menschen jetzt ein freies, mehr denn je erfülltes Leben:
"In der kommenden Ära wird die spielerische Entfaltung in den kollaborativen Commons so wichtig sein wie harte Arbeit in der Marktwirtschaft, und die Anhäufung von Sozialkapital wertvoller als die Vermehrung von Marktkapital. Das Band mit der Gemeinschaft und die Suche nach Transzendenz und Bedeutung werden die Erfülltheit eines Menschenlebens stärker definieren als materieller Wohlstand."
Dies trägt nun ganz unverhüllt die Zeichen einer neuen Religion. Das ist bedauerlich. Denn Rifkins Buch erweist sich dort, wo es von den enormen Auswirkungen neuer Technologien auf unser Leben erzählt – trotz mancher Übertreibung – als eine lohnende Lektüre. Ärgerlich ist, dass aus der Beschreibung so häufig kritiklose Bewunderung erwächst. Dass am Ende dieser Feier des Fortschritts auch noch ein neuer Mensch präsentiert wird – vollkommen frei von Eigennutz – gehört ganz ins Reich der Träume.