Thomas Piketty: Das Kapital im 21. Jahrhundert
C.H. Beck Verlag, 2014
816 Seiten, 29,95 Euro
Mit Zahlen gegen den Reichtum der Wenigen
Er ist der neue Superstar der Kapitalismuskritik: Wie vorher kein anderer hat der Franzose Thomas Piketty die These von der zunehmend ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung mit Daten belegt. Er fordert Umverteilung und hat dafür konkrete Vorschläge.
"Moi je n’ai vraiment pas de fantasmes de prix Nobel, moi je me vois plus comme un chercheur en sciences sociales que comme un economiste."
Keine Träume vom Wirtschaftsnobelpreis: Er forsche eher auf sozialem als auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet. Der 43-jährige Thomas Piketty scheint selbst überrascht von der Hysterie, die sein Buch zur Verteilung von Einkommen und Vermögen mit weit über 600 000 verkauften Exemplaren ausgelöst hat.
Die einen sehen in ihm schon den neuen Karl Marx, andere den nächsten Nobelpreisträger. Dabei hat der Professor der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales lediglich akribisch Daten über die Einkommens-, Vermögens- und Wachstumsentwicklung mehrerer führender Industriestaaten über mehr als 100 Jahre gesammelt. "R > G" lautet die schlussfolgernde Formel: Die Rendite auf Kapital wächst schneller als die Wirtschaft insgesamt, vor allem aber als die Arbeitseinkommen. Die Ungleichheit nimmt zu, Vermögen gesellt sich zu Vermögen und mit Arbeitseinkommen fällt man zunehmend zurück.
Piketty: Kluft zwischen Renditen und Arbeitseinkommen wächst
Das reichste Zehntel der Einkommensbezieher erzielt ein Viertel bis ein Drittel des Gesamteinkommens, während das obere Zehntel der Vermögensbesitzer zwischen 50 und 70 Prozent des Gesamtvermögens besitzen. Thomas Piketty:
"Die industrielle Revolution, das moderne Wachstum hat die Verteilung viel weniger verändert als man das glaubte. Das ist eine der wichtigsten Botschaften meines Buches. Die Schocks im 20. Jahrhundert durch die Kriege und die große Depression in den 30er-Jahren haben die Kapitalrendite enorm geschwächt, während in den 30 Wirtschaftswunderjahren außergewöhnliche Wachstumsraten verzeichnet wurden – auch infolge des sehr starken Bevölkerungswachstums. Künftig ist laut den Prognosen jedoch mit weitaus geringerem Bevölkerungswachstum zu rechnen. – Was dann auch bedeutet, dass die Kluft künftig wieder wächst."
Mit Statistiken und Grafiken analysiert Piketty die Entwicklung, zeigt dass für Deutschland, Frankreich und Großbritannien das Verhältnis von Privatvermögen zur Wirtschaftsleistung aktuell zwischen 400 und 600 Prozent beträgt. Natürlich ist der Pariser Wirtschaftsprofessor nicht der erste, die wachsende Kluft zwischen Kapitalerträgen und (Arbeits-)einkommen anzuprangern. Bislang wurde aber nie so umfangreiches Datenmaterial zur Untermauerung der Behauptungen vorgelegt, auch wenn Kritiker auf Fehler in den Statistiken und Auswertungen hinweisen. Entscheidend ist jedoch Pikettys Schlussfolgerung:
"Ich rege eine perfekte internationale Zusammenarbeit auf der Basis eines internationalen Finanzregisters an und schlage eine weltweit perfekt koordinierte progressive Steuer auf die größten Vermögen vor. Natürlich wird sich das nicht so realisieren lassen. Aber man kann sich dieser Vision mit den zur Verfügung stehenden Mitteln annähern. Vor fünf Jahren haben auch noch alle gesagt: Das Schweizer Bankgeheimnis ist unantastbar, die Schweizer Banken sind zu mächtig. Am Ende genügten ein paar amerikanische Sanktionen gegen einige Schweizer Banken, damit die Schweiz ihr Bankgeheimnis gelockert und die Gesetze geändert hat."
Lob von Stiglitz, Schelte für Datensätze
Eine weltweite progressive Vermögensbesteuerung!? Utopia mag grüßen lassen! Piketty hat gleichwohl einen Nerv der Zeit und vermeintlich kapitalfreundlicher Kritiker getroffen. Beifall kam von den Nobelpreisträgern Klugmann und Stiglitz in den USA, Schelte von den Ökonomen der Financial Times wegen seiner Datensätze vor allem. Seither tobt eine Debatte um Kapital und Vermögensbegriffe, denn Piketty schließt etwa Immobilien in seinen Vermögensbegriff ein.
Einmal mehr steht die Seriosität der Ökonomie als Wissenschaft am Pranger. Sehr wohl hat Thomas Piketty aber seine Formel nicht anhand idealtypischer Modelle, sondern aufgrund einer enormen Faktensammlung entwickelt. Und wie sagte er doch: Er sähe sich eher als Sozial- denn als Wirtschaftswissenschaftler. Und sozial ist seine Forderung nach Abbau von Ungleichheit in der Vermögensverteilung allemal.