Wie die Reichswehr die Weimarer Republik zerstörte
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Die 20er-Jahre begannen mit einem Marsch auf Berlin. Aber der Kapp-Putsch scheiterte. Es war ein erster Versuch des Militärs, die Demokratie zu beseitigen. Am Ende des Jahrzehnts folgte ein zweiter: das Intrigenspiel eines politisierenden Generals.
Man muss etwas Glück haben, um sie zu entdecken. Wenn sie durchs Unterholz stapfen, hört man sie und sieht sie. Ein hoher Zaun trennt sie von den Menschen auf dem Wanderweg. Wisente in der Wildniskernzone. Und Przewalski-Pferde, die letzten noch wilden Pferde. Kilometerweit Wald- und Heidelandschaft. Nur die Flugzeuge, die noch zum Berliner Flughafen Tegel fliegen, stören die Stille der Döberitzer Heide.
Hier startete vor hundert Jahren der erste Versuch aus den Reihen der Reichswehr, die Weimarer Republik zu beseitigen.
Museumsbauten, eine Kirche, das Kulturforum. Der Verkehr rauscht vorbei am Matthäikirchplatz im Zentrum Berlins. Hier startete der zweite Versuch aus den Reihen der Reichswehr, die Weimarer Republik aufzulösen.
Nicht so grobschlächtig wie der erste, nicht auf freiem Feld, sondern in einer großbürgerlichen Wohnung bei einer Tasse Kaffee. Am Ende des Jahrzehnts, an dessen Beginn die Döberitzer Heide westlich von Berlin eine besondere Rolle spielt.
Militärisches Trainingsfeld mit Tradition
Jene einst waldreiche Landschaft, in die schon anno 1753 der preußische König Friedrich II. seine Soldaten schickte, um sie für künftige Schlachten zu trainieren.
In den Jahren nach 1890 ließ Kaiser Wilhelm II. dort den Wald roden für den Bau eines riesigen Militärgeländes: die Kaserne Döberitz.
"Die Döberitzer Heide war schon in der Kaiserzeit das Übungsgelände, auf dem die Berliner Garnisonen auf den Krieg sich vorbereiteten", sagt Michael Epkenhans, Historiker am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. "Und das war auch in den Jahren nach Ende des Ersten Weltkrieges ein Standort, in dem ein Teil der Garnisonen, die um Berlin rum lagen, sich befanden."
Das schreibt die "Deutsche Zeitung" Anfang März 1920: "Auf dem Feld von Döberitz steht im Schmuck der Waffen die zweite Marinebrigade unter ihrem Führer Kapitän Ehrhardt. Eine Kerntruppe bester Art, bewährt im Kampf gegen den äußeren und inneren Feind. Fest gefügt in Vaterlandsliebe, Disziplin, Kameradschaft und Treue gegen ihren Führer."
In Berlin regiert nicht mehr der Kaiser, sondern Friedrich Ebert als Reichspräsident und Gustav Bauer als Reichskanzler. Beide Sozialdemokraten. Deutschland hat den Krieg verloren, in der Novemberrevolution hat der Kaiser abgedankt und im Friedensvertrag von Versailles haben die Alliierten Deutschland verpflichtet, die Reichswehr auf 100.000 Mann zu reduzieren – einen Bruchteil ihrer früheren Stärke.
Die in Döberitz stationierte Elitetruppe des Generals von Lüttwitz mit der Brigade Ehrhardt bekommt den Auflösungsbefehl. Lüttwitz weigert sich, dem Befehl seines Vorgesetzten, des Reichswehrministers Noske, Folge zu leisten. Er wird entlassen.
Marsch ins Regierungsviertel
Samstag, 13. März 1920. Die Brigade Ehrhardt hat die Döberitzer Heide verlassen und marschiert durch die mondhelle Nacht über die Heerstraße. Reichstag und Brandenburger Tor sind 25 Kilometer entfernt.
"Am Morgen, drei Uhr, also in tiefer Nacht, wurde ich telefonisch angerufen in dem Vorort Steglitz, in dem wir wohnten", erzählt Arnold Brecht. "Ich sollte sofort in die Reichskanzlei kommen zu einer schnell anberaumten Kabinettssitzung."
Arnold Brecht war 1920 Schriftführer und Geheimer Regierungsrat. 1975 hat er in einem Interview detailliert erzählt, was er damals erlebt hat.
"Der Grund war, dass die Reichsregierung Wind bekommen hatte davon, dass aus Döberitz, dem Lager Döberitz vor Berlin, eine Brigade, die Marinebrigade unter dem Kapitän Ehrhardt im Anmarsch auf Berlin sei."
Einsetzung eines Generals an die Spitze des Reichswehrministeriums. Wiedereinsetzung des entlassenen Generals Lüttwitz. Neuwahlen. Wahl des Reichspräsidenten durch das Volk.
"Das Fatale ist, dass die Regierung, Reichswehrminister Noske und auch die führenden Generale und auch der Reichspräsident durchaus das Gefühl hatten, dass da irgendwas im Busch ist", erklärt Michael Epkenhans.
"Man hat darüber auch beraten, und in der entscheidenden Besprechung in der Nacht davor im Reichswehrministerium überlegt, ob man dagegen einschreitet oder nicht, und dann kommt es zu einer Situation, in der angeblich der Chef des Truppenamtes, General von Seeckt, gesagt haben soll, Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr, weil er letztlich glaubte, dass die Reichswehr, die in Berlin mit vergleichsweise geringen Truppen stationiert war, einen Kampf mit der kampferprobten Marinebrigade nicht gewinnen kann.
Interessant ist aber auch, dass der Kriegsminister General Reinhardt anderer Meinung war und sagte, allein um die Republik zu schützen und um deutlich zu machen, dass die Reichswehr eine loyale Truppe der Regierung ist, müssen wir diesen Kampf, selbst wenn wir ihn nicht gewinnen am Brandenburger Tor, wagen, weil das auch eine hochsymbolische Frage und eine hochpolitische Frage ist."
Regierung flieht nach Dresden
Der loyale General Reinhardt setzt sich nicht durch. Stattdessen General von Seeckt – und das heißt: Die Regierung ist den Putschisten wehrlos ausgeliefert.
Döberitz, Staaken, Spandau, Charlottenburg: Die Uhr tickt. "Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarzweißrotes Band, die Brigade Ehrhardt werden wir genannt", heißt es in einem Kampflied der Truppe.
Kurz bevor sie unter den Klängen von Militärmusik ins Zentrum Berlins einmarschiert, verlassen Reichspräsident Ebert, Reichskanzler Bauer und seine Minister das Regierungsviertel und fahren mit dem Zug nach Dresden.
"Als die Minister abgereist waren nach Dresden, blieben der Staatssekretär Albert und ich in der Reichskanzlei zurück", erinnert sich Arnold Brecht. "Es war noch ganz früh am Morgen, sechs Uhr oder noch früher, und wir befanden uns da in einer gespenstigen Situation: Wir wussten, dass um sieben Uhr dieser Putsch stattfindet, und wir waren da. Ich überlegte, was ich noch tun könnte, um die Zeit gut auszunutzen und benachrichtigte andere Ministerien über die Situation und sammelte dann alle Metallstempel ein.
Weil ich aus der Revolution die Erfahrung hatte, wenn neue Machthaber kommen und die haben keine Stempel, die sie auf ihre Urkunden setzen konnten, sehen die Urkunden kläglich aus. Wenn sie Gummistempel drunter machen, sehen sie noch kläglicher aus. Die steckte ich in meine Manteltasche und dann ging ich in die Telefonzentrale und sagte zu den Telefondamen, sie sollten jetzt auf Urlaub gehen für eine Woche. Da fragten die mich sofort, ob das auf den Sommerurlaub angerechnet würde. Ich sagte, nein, das ist extra."
General Freiherr von Lüttwitz ist der militärische Kopf des Putsches. Der Mann, der nun im Auftrag der Militärs regieren soll, ist Wolfgang Kapp, ein 62 Jahre alter ostpreußischer Generallandschaftsdirektor, der während des Ersten Weltkrieges durch extrem nationalistische Reden aufgefallen war.
Begrüßung mit Handgranaten
"Dann wurde es sieben, und um sieben klingelte es an der Halle", erzählt Arnold Brecht. "Und herein traten drei Männer, der eine war Kapp, der andere war von Jagow, der dritte war, glaube ich, ein Herr von Falkenhausen. Sie betraten die Vorhalle, der Staatssekretär Albert ging ihnen entgegen, sie fragten ihn: Sind Sie der frühere Staatssekretär Albert in der Reichskanzlei? Ich bin allerdings der Staatssekretär, aber nicht der frühere, sondern der jetzige.
Nein, sagten sie, Sie sind der frühere Staatssekretär, denn wir haben eine neue Reichsregierung bestellt und hier ist Reichskanzler Kapp.
Dann trat ein Mann mit zwei Soldaten, die Handgranaten in der Hand trugen, in mein Zimmer und sagte: Sind Sie bereit, für den Reichskanzler zu arbeiten? Ich sagte, das tue ich ja gerade.
Da sagte er mit Stirnrunzeln, ich meine nicht den früheren Reichskanzler Bauer, sondern den jetzigen Reichskanzler Kapp. Ich sagte: Der ist nicht Reichskanzler. Reichskanzler ist Bauer nach der Verfassung. Ich trage meinen Eid nicht so in den Händen wie Ihre Leute die Handgranaten, ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen. Dann zog ich meinen Mantel mit den Metallstempeln an und verließ die Reichskanzlei."
Arnold Brecht geht zum Zug und fährt nach Dresden.
Kapp verhängt den Ausnahmezustand
Berlin am 13. März 1920: Bis auf ein paar Verbliebene, die Stallwache halten, haben die Regierenden ihre Amtssitze geräumt. Der selbsternannte neue Regierungschef Kapp nimmt Platz auf dem Sessel des Reichskanzlers und verhängt den Ausnahmezustand.
Öffentliche Versammlungen - verboten, die Nationalversammlung – aufgelöst. Deutschland ist eine Militärdiktatur.
"Wenn wir uns die Motive anschauen, gibt es eine Gemengelage", erklärt Michael Epkenhans. "Zum einen ging es den Soldaten, die nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages nach Hause gehen sollten, dazu gehörte ja die Truppe von Ehrhardt, die Marinebrigade, spielten schlichtweg materiell eine Rolle. Das ist das Erste.
Das Zweite ist, es gab natürlich auch führende Offiziere, dazu gehörte ja dann General Lüttwitz, die einfach auch nicht nur für ihre Soldaten sich interessierten, als es um die Frage der Abwicklung ging, sondern denen es auch darum ging, gegenüber dieser Republik, die sie einfach nicht mochten, Lüttwitz war überzeugter Monarchist, dieser Republik zu zeigen, dass es aus ihrer Sicht so nicht weitergehen kann.
Und das verband sich wiederum auch mit politischen Strömungen, klassischer Fall ist ja Kapp, deswegen heißt es ja auch Kapp-, in der Ergänzung Kapp-Lüttwitz-Putsch. Da gab es auch politische Kräfte, um Kapp, einem der führenden Rechten schon im späten Kaiserreich, Mitgründer der Vaterlandspartei, dieser Republik letztlich auch den Garaus machen wollten."
"Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat", so preist die Propaganda der Putschisten das Kabinett der neuen Machthaber an.
Geflohene Regierung ruft auf zum Generalstreik
Berlin am Morgen des Militärputsches: Viele haben den Umsturz gar nicht mitbekommen. Die Arbeiter gehen wie gewohnt zur Frühschicht in die Fabriken. Manche wundern sich, dass plötzlich wieder die schwarz-weiß-roten Fahnen des Kaiserreiches an öffentlichen Gebäuden wehen. Im Laufe des Morgens aber verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer.
Denn die geflohene Regierung hat noch etwas hinterlassen, was nun auf Plakaten zu lesen ist:
"Arbeiter! Parteigenossen! Der Militärputsch ist da! Wir haben die Revolution nicht gemacht, um uns heute wieder einem blutigen Landsknechtregiment zu unterwerfen. Es geht um alles! Darum sind die schärfsten Abwehrmittel geboten. – Generalstreik auf der ganzen Linie!"
Kurz vor Flucht hatte der Pressechef der Reichsregierung diesen Aufruf verfasst, unterzeichnet von Reichspräsident Ebert, Reichskanzler Bauer und Regierungsmitgliedern der SPD.
In den Mittagstunden schließen die ersten Betriebe. Der Generalstreik wird befolgt. Der öffentliche Verkehr kommt zum Erliegen. Am nächsten Abend gehen in Berlin buchstäblich die Lichter aus: Strom-, Gas- und Wasserversorgung werden unterbrochen. Nur ab und zu geistert das flüchtige Licht von Suchscheinwerfern durch den finsteren Berliner Nachthimmel: Die geflohene Regierung lässt Flugzeuge über der Stadt kreisen und Flugblätter abwerfen, die zum Kampf gegen die Putschisten aufrufen.
Währenddessen fühlen sich Ebert und Bauer in Dresden nicht sicher.
Stuttgart wird zum demokratischen Zentrum
Als ich in Dresden ankam, fand ich den Reichspräsidenten Ebert im eifrigen Gespräch mit dem General Maerker, der die Reichswehr in Dresden unter sich hatte", erzählt Arnold Brecht. "Und der General Maerker bot sich an, er wollte mit Lüttwitz verhandeln, um zu einem Kompromiss zu kommen. Ebert verbat sich das und nahm Abschied von Maerker, dem er nicht ganz traute, und wir fuhren dann alle zusammen nach Stuttgart."
Wie verhält sich eine Regierung, die nicht mehr regieren kann und die zugleich darum kämpft, noch als Regierung aufzutreten? Sie versucht, ihrem Auftreten Gewicht zu verleihen.
"Wie wir Morgenkaffee tranken, kam einer auf die Idee, wär doch gut, wenn wir da vom Militär mit Militärmusik empfangen würden, um ein würdigen Entrée in Stuttgart zu haben", erinnert sich Arnold Brecht. "Das Telegramm wurde aufgesetzt, und als es eben abgegeben war, sagte jemand, ja, da bestellen wir uns das Militär hin und wenn die dem Kapp treu sind, dann nehmen sie uns an der Bahn gefangen mit Musik. Darauf wurde das Telegramm wieder annulliert und wurde nicht abgesandt. Wir kamen also ohne Militär und ohne Musik an, aber das Militär war in Württemberg treu geblieben."
Stuttgart ist nun das demokratische Zentrum der Republik.
"In Stuttgart hatten wir uns dann eine Art Reichskanzlei im neuen Schloss eingerichtet, da fanden Kabinettssitzungen statt, der Reichstag wurde nach Stuttgart berufen", erinnert sich später der Geheime Regierungsrat Arnold Brecht.
Feindselige Stimmung gegen die neuen Machthaber
"Putsch in Berlin! Schmeißt die Brocken hin!" Kohlekumpel verlassen die Bergwerke. In den Industrierevieren - überall wird gestreikt.
Währenddessen wittert die völkisch-nationalistische Szene, die sich vor allem in München herumtreibt, Morgenluft. Einige reisen nach Berlin – auch der Aktivist einer völkischen Splittergruppe: Adolf Hitler.
Kapps Putschregierung schickt in Berlin Militärkapellen auf öffentliche Plätze, um die Bevölkerung aufzumuntern. Denn die Stimmung gegenüber den neuen Machthabern wird feindselig. Aufgebrachte Menschenmengen ertränken Offiziere im Landwehrkanal. Militär-LKW werden überfallen. Die Soldaten feuern in die Menge, es gibt Tote und Verletzte.
Das erstaunlichste Phänomen ist: Selbst die Staatsbeamten befolgen den Streikaufruf. Die Putschregierung hängt in der Luft. Sie kommt nicht einmal an die Gelder der Reichsbank, da sich deren Angehörige weigern, Geld auszuzahlen.
Der Putsch scheitert – aber es gibt kein Happy End
Samstag, Sonntag, Montag, Dienstag, Mittwoch – 17. März: Nach fünf Tagen ist der Spuk vorbei. Der selbsternannte Reichskanzler Kapp lässt sich nach Schweden ausfliegen. Die legitime Regierung Ebert-Bauer kehrt aus Stuttgart wieder nach Berlin zurück. Aber – ein Happy End gibt es nicht. Denn die Streiks in den Industriegebieten gehen weiter.
Die Sozialdemokraten geraten von links unter Druck, radikalere Veränderungen in Politik, Wirtschaft und der immer noch weitgehend monarchistisch gesonnenen Verwaltung durchzusetzen. Und die Tragödie des Jahres 1919 wiederholt sich:
Wieder setzt die SPD-geführte Regierung Reichswehrtruppen und demokratiefeindliche Freikorps ein, um die roten Aufstände niederzuschlagen – sie bedient sich genau jener Truppen, vor denen sie eben noch hatte fliehen müssen. Im Ruhrgebiet kämpft eine 100.000 Mann starke Rote Ruhrarmee für eine Fortsetzung der Revolution.
Der Graben zwischen der Regierung und ihren Gegnern von links wird unüberbrückbar tief. Die Quittung erhalten die SPD und ihre Koalitionspartner bald – denn ein Ziel erreichen die Putschisten: Im Juni 1920, drei Monate nach dem Putsch und eineinhalb Jahre nach der Wahl zur Nationalversammlung, wird der Reichstag neu gewählt.
"Weimarer Parteien" verlieren die Mehrheit im Reichstag
"Bei diesen Neuwahlen für den Reichstag war das Ergebnis ganz katastrophal für die sogenannten Weimarer Parteien, die Weimarer Koalition, die Sozialdemokraten, die Demokraten und das Zentrum", sagt Arnold brecht. "Sie hatten in der Nationalversammlung mehr als zwei Drittel der Sitze innegehabt und verloren nicht nur die Zweidrittelmehrheit, sondern sogar die einfache Mehrheit. Sodass der neue Reichstag keine Mehrheit mehr für die Demokratie hatte. Die anderen Parteien waren für die Wiederherstellung der Monarchie oder für Kommunismus, aber nicht mehr für das, was wir republikanische Demokratie nennen."
Das ist die Tragödie des Jahres 1920. Die Regierung wehrt den Militärputsch ab, die reaktionären Gegner der Demokratie machen sich mit der Putsch-Farce lächerlich – und dann erschüttern die Aufstände von links und deren militärische Niederschlagung auf Geheiß der Regierung das Vertrauen in die Republik. Mit der vorgezogenen Reichstagswahl unter dem Eindruck bürgerkriegsähnlicher Unruhen gelingt den Putschisten ein verspäteter Coup.
Die Weimarer Koalition ist am Ende. Die republiktreueste aller Parteien, die SPD, stürzt ab: von 37,9 Prozent Anfang 1919 auf nunmehr 21,6 Prozent.
"Was niemand zuvor für möglich gehalten hatte, plötzlich waren in der Reichsregierung keine Sozialdemokraten mehr, so kurz nach der Revolution", sagt Arnold Brecht.
Die Reichswehr – ein gefährlicher Machtfaktor
Und die Reichswehr? Die die Regierung beim Putsch im Stich gelassen hatte und dann im Auftrag der Regierung gegen die linke Opposition zu Felde gezogen war?
"Was wir dann sehen, ist, dass es natürlich in der Folgezeit zu Entwicklungen kommt, die die Reichswehr zu einem Element machen, das von der Politik nicht mehr so ganz beherrscht werden kann. Sondern die sich in gewisser Hinsicht isoliert und entsprechend zu einer Institution wird innerhalb dieses ganzen Gefüges, das, wenn ihr die Republik und die Regierung nicht gefallen, geeignet ist, diese Republik zu zerstören und auch gewillt ist, dies zu tun", sagt der Militärhistoriker Michael Epkenhans.
Die Reichswehr wird zu einem gefährlichen Machtfaktor in der Republik. Denn die führenden Köpfe denken noch in den Kategorien des preußischen Militärstaates.
"Man sieht sehr schnell, auch in den Jahren, in denen die Republik stabil ist, dass die Reichswehr ein distanziertes Verhältnis, wenn man es mal milde formuliert, zur Republik hat", erklärt Michael Epkenhans. "Sie hält sich von der Politik fern – Seeckt fehlt beispielsweise immer am Verfassungstag, bei den Paraden fehlt Seeckt, ist nicht da. Die Reichswehrführung macht auch keinen Hehl, dass sie das politische Establishment, das neue, nicht mag.
Die Reichsfarben werden als Schwarz-Rot-Senf verunglimpft, es gibt bösartige Äußerungen über den Reichspräsidenten Ebert, bei Hindenburg sieht das dann anders aus, und auch, wenn es um die Haltung gegenüber der Sozialdemokratie geht, ist die Reichswehr im Prinzip immer distanziert, das sind im Großen und Ganzen für sie Revolutionäre, mit denen man eigentlich nicht viel zu tun haben will."
Es gibt viele Gründe, warum die Weimarer Demokratie nach nur 14 Jahren gescheitert ist. Einer der schwerwiegendsten ist die Rolle der Reichswehr, die beim Kapp-Putsch "eine eiskalte Neutralität" gewahrt hatte, wie Sebastian Haffner es ausgedrückt hat.
Eine bewaffnete Macht als Staat im Staat
"Ich möchte wirklich wissen, wo steht denn eigentlich die Reichswehr?", fragt einmal Reichspräsident Ebert den Chef der Heeresleitung, General von Seeckt – jenen Mann, der es beim Kapp-Putsch abgelehnt hat, die Regierung zu schützen. Die Antwort: "Die Reichswehr steht hinter mir."
Hinter mir - dem Truppenchef. Die Reichswehr ist ein Staat im Staate. Nicht wie die heutige Bundeswehr eine Institution zur Landesverteidigung in Diensten von Regierung und Parlament, sondern eine bewaffnete Macht, deren innenpolitische Rolle undurchschaubar ist.
1925 stirbt Friedrich Ebert, der Sozialdemokrat, der als Präsident noch an der Spitze des Staates geblieben ist. Hindenburg, der Chef der Obersten Heeresleitung im Ersten Weltkrieg, wird sein Nachfolger.
Die Skeptiker und Republikgegner, sogar die Deutschnationalen, haben das Gefühl: Vielleicht kann man mit dieser Republik doch leben. Die Richtigen sind wieder an der Macht, der Weltkriegsheld und die Nationalkonservativen, und die anderen sind ausgebootet, die Revolutionäre von 1918/19. Doch dann passiert etwas, womit sie nicht gerechnet haben, die Reichstagswahl 1928.
Die Deutschnationalen verlieren über 6 Prozent, ein Viertel ihrer Stimmen: Sie sinken von 20,5 auf 14,3 Prozent. Die Sozialdemokraten erleben einen Wiederaufstieg: Sie kommen auf fast 30 Prozent und stellen wieder den Reichskanzler.
Das entsetzt diejenigen, die geglaubt hatten, die Weimarer Republik nach ihren Vorstellungen formen zu können. Allen voran die deutschnationalen Gegner der Republik. Sie lernen: Freie Wahlen sind ein unkalkulierbares Risiko.
Das Intrigenspiel des Kurt von Schleicher
Genau dies denkt auch ein hoher Militär: "In unserem Volke lebt ein Schaffensdrang, der durch keine Enttäuschung umzubringen ist. In allen Bevölkerungsschichten kämpft man mit demselben Mut und derselben verbissenen Zähigkeit wie im Kriege."
Das ist Kurt von Schleicher, der politische Kopf der Reichswehrführung Ende der 20er-Jahre. Nach der Reichstagswahl von 1928 ist er überzeugt, dass das unkalkulierbare demokratische System ersetzt werden muss durch ein autoritäres mit einem starken Mann an der Spitze, der auf die Reichswehr hört.
Am 1. Februar 1929 wird er Staatssekretär im Reichswehrministerium – Chef des Ministeramts, wie es damals hieß. Wenig später beginnt er ein Intrigenspiel, um die Demokratie auszuhebeln.
Schleicher hat eine Wohnung am Matthäikirchplatz im Zentrum Berlins. Hier empfängt er Heinrich Brüning, einen Exponenten des rechten Flügels der katholischen Zentrumspartei, zu einem Gespräch.
Ein starker Mann soll die Nation führen
Schleicher stellt Brüning seinen Plan vor: Von Hindenburg, dem Reichspräsidenten, gedeckt soll Brüning mit Notverordnungen das Parlament aushebeln, um die Verfassung abzuschaffen und an ihre Stelle wieder eine politische Ordnung nach dem Vorbild des Kaiserreiches herzustellen.
Schleicher weiß, dass man nicht so dilettantisch vorgehen darf wie die Militärs beim Kapp-Putsch 1920. Aber was er plant, läuft auch auf einen Staatsstreich hinaus. Heinrich Brüning soll dieses Geschäft besorgen. 1930 wird er Kanzler. Aber er lässt sich zu viel Zeit, wird 1932 entlassen und der Hindenburg-Vertraute Franz von Papen soll´s richten.
Der sagt offen, worum es geht: "Wir wollen, meine Herren, eine machtvolle und überparteiliche Staatsgewalt schaffen, die nicht als Spielball von den politischen und gesellschaftlichen Kräften hin- und hergetrieben wird, sondern über ihnen unerschütterlich steht. Unerschütterlich!"
Ein starker Mann soll die Nation führen, unabhängig vom Parlament und den Parteien, die vom Wählerwillen abhängig sind. Das will Franz von Papen – und im Hintergrund Kurt von Schleicher. Aber da gibt es noch einen unkalkulierbaren Faktor.
1932: Aufstieg der NSDAP – doch Hitler scheitert
Die Weltwirtschaftskrise hat in Deutschland der nationalsozialistischen Bewegung einen ungeahnten Aufschwung beschert, allen voran: Adolf Hitler. Seine NSDAP wird mit der Wahl im Sommer 1932 die mit Abstand stärkste Fraktion im Reichstag.
Es ist der Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise. Die Republik ist in existenzieller Bedrängnis: von links die Kommunisten, von rechts die Nationalsozialisten. Doch Hitler scheitert: Erst verliert er die Reichspräsidentenwahl gegen Hindenburg, dann erteilt Hindenburg ihm eine Absage, als Hitler von ihm fordert, zum Kanzler berufen zu werden. Und im November 1932 erleidet die NSDAP empfindliche Verluste bei der Reichstagswahl.
"Noch ist die Krise nicht überwunden. Noch sehen sich Millionen arbeitsloser Volksgenossen ohne sichere Daseinsgrundlage", sagt Reichspräsident von Hindenburg in seiner Neujahrsansprach 1933. Aber die Demokraten atmen auf.
"Der Aufstieg Hitlers war vorüber, bevor er in die Regierung berufen wurde", schreibt der zeitgenössische Journalist Rudolf Olden. Die Trendwende ist erreicht, Hitler und seine Bewegung im Niedergang.
Deprimiert schreibt Josef Goebbels in sein Tagebuch: "Das Jahr 1932 ist eine einzige Pechsträhne."
Reichswehr wird zum Komplizen Hitlers
Doch zur selben Zeit verheddert sich General von Schleicher bei seinem Intrigenspiel. Er misstraut den politischen Fähigkeiten Papens und wird selbst Reichskanzler, um seinen Plan umzusetzen: die Weimarer Verfassung ändern, die Demokratie beseitigen.
Reichspräsident: Paul von Hindenburg. Reichskanzler: Kurt von Schleicher. Davon konnten Kapp und Lüttwitz 1920 nur träumen: Im Januar 1933 sitzen die führenden Köpfe der Reichswehr an den Schalthebeln der Macht und haben das Schicksal der Republik in der Hand.
Aber die Geschichte endet anders, als sich der politisierende General von Schleicher das gedacht hat.
Denn er verliert das Vertrauen Hindenburgs, und der ist nun doch bereit, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Es ist das Ende der Republik, aber es folgt nicht die Wiederherstellung quasi-monarchischer Verhältnisse, sondern der totalitäre Führerstaat.
Das hat General von Schleicher nicht gewollt, aber bewirkt. Er ist kein Nationalsozialist, aber ohne sein Intrigenspiel wäre Hitler nicht an die Macht gekommen – in dem Augenblick, in dem seine Bewegung im Niedergang war. 1934 wird Hitler ihn ermorden lassen. Die Reichswehr, die in kühler Distanz zur Republik gestanden hatte, wird nun zu einem Instrument des Führers.
Die Vereidigung der Reichswehr auf Hitler, die ja im Prinzip von Blomberg ausgeht, dem damaligen Reichswehrminister, ist im Prinzip der endgültige Sündenfall, der dann dazu führt, dass die Reichswehr nicht nur zum Träger, sondern auch zum Komplizen wird. Mit allen Konsequenzen: Krieg, Weltkrieg, Vernichtungskrieg, Kapitulation. Besetzung, Kalter Krieg, Spaltung Deutschlands.
Die Döberitzer Heide heute
In der Döberitzer Heide, von der 1920 der Putschversuch ausging, rollen ab 1945 die Panzer und donnern die Geschütze der Roten Armee - über 40 Jahre lang, bis zum Abzug der sowjetischen Truppen Anfang der 1990er-Jahre.
Natur, wie am Anfang. Genau hundert Jahre, nachdem Kaiser Wilhelm II. den Wald hatte roden lassen für den Truppenübungsplatz Döberitz. Am Ende dieses desaströsen Jahrhunderts ist die Döberitzer Heide eine munitionsverseuchte und buchstäblich verwüstete Landschaft.
Heute gilt hier, in der von der Sielmann-Stiftung eingerichteten Wildniskernzone, für den Menschen: Betreten verboten. Die Natur muss sich erst mal vom Wüten des Menschen erholen.