Die Kunst aus der Gewalt
Um zwei Jahre hat Präsident Joseph Kabila im Kongo die Wahl verschoben. Die Folge sind blutige Proteste. Dazu kommen ethnische Konflikte und Rebellengruppen, die mit Gewalt um Land und Bodenschätze kämpfen. In dieser Not entsteht erfolgreiche Kunst, die helfen soll.
Es ist hektisch, es ist laut – Bohrer, Hämmer und dauernd Telefonate – die Zeit drängt – in vier Stunden soll hier im Museum von Lubumbashi die Ausstellung eröffnen. Sammy Balojis Smartphone klingelt unentwegt. Er ist ein international gefragter Fotograf und der Initiator des größten Kunstfestivals im Kongo:
"Es geht nicht nur darum, Kunst zu zeigen, weil sie schön ist. Da ist schon auch Kritik am System dabei. An dem System, das wir hier haben."
Das Festival in der Millionenstadt Lubumbashi ist eine bestaunenswerte Absonderlichkeit: Es feiert die Kunst in einem Land, das zu den korruptesten und kaputtesten der Welt zählt. Der Kongo ist reich an Bodenschätzen, aber mehr als 70 Prozent der Menschen leben in extremer Armut, immer wieder bekriegen sich die verschiedenen Rebellengruppen in tödlichen Scharmützeln, sie vergewaltigen und brandschatzen. Fragt man Fotograf Sammy Baloji, warum er hier so viel Energie ausgerechnet in ein Kunstfestival steckt, sieht er einen entgeistert an.
"Warum nicht? Ich bin ein Künstler. Das ist die einzige Art wie ich existieren kann. Ich sehe mich nicht wie ich Essen verteile oder sonst was mache. Ich glaube, es ist wirklich wichtig die Biennale hier in Lubumbashi zu machen. Ich glaube an Kunst. Ja, ich glaube, wir brauchen sie. Seit dem Anbeginn der Menschheit."
Wenn Sammy von Kunst spricht, klingt es wie wenn andere von Gott sprechen: von Erleuchtung, von Erkenntnis und von Hilfe in der Not. Und vielleicht braucht deshalb gerade der Kongo diese Kunst.
Auswirkungen der Kolonialgeschichte bis heute
Der Kongo, den erst der belgische König Leopold II. ausbeutete, dann der Staat Belgien und später nach der Unabhängigkeit 1960 die verschiedenen afrikanischen Machthaber. Millionen Menschen sind unter der Kolonialherrschaft und in den verschiedenen Kriegen danach ums Leben gekommen. Wie viele genau, weiß niemand.
Momentan hält der aktuelle Präsident Joseph Kabila illegalerweise an seinem Stuhl fest. Er richtet einfach keine Neuwahlen aus wie von der Verfassung eigentlich schon für Ende 2016 vorgeschrieben.
Sammy Baloji beschäftigt sich in seinen Foto-Arbeiten hauptsächlich mit den Auswirkungen der Kolonialgeschichte auf den Kongo von heute:
"Ich weiß, was der Bergbau hier bedeutet hat und dass er immer noch eine wichtige Rolle spielt. Nicht nur hier, sondern auf dem internationalen Markt. Aber gleichzeitig kann man hier die Armut überall sehen, man kann sehen, wie die Leute leiden. Man kann die Ungerechtigkeit spüren. Man kann sogar den Reichtum spüren und die Rassentrennung. Ich spüre das alles extrem und das ist, was ich in meiner Arbeit behandle, denn es ist Teil meiner Umgebung."
Der kongolesische Dreiklang aus Krieg, Armut und Korruption
Lubumbashi liegt im Süden des Kongo. In der Provinz Katanga. Eine Bergbauregion. Kupfer, Gold und Kobalt, das für Handys und Elektro-Autos weltweit gebraucht wird, holen sie hier aus der Erde. Millionen werden hier umgesetzt, richtig großes Geld verdient. Doch die Bevölkerung ist arm. Die Minenarbeiter erhalten nur einen Hungerlohn, leben in schäbigen Hütten. Den Reibach machen internationale Konzerne und korrupte Politiker, indem Bergbau-Konzessionen unter Wert verkauft werden. Allein von 2010 bis 2012 soll der Kongo dadurch ungefähr 1,4 Milliarden Dollar verloren haben, schätzt die Nichtregierungsorganisation "Global Witness". Das wären etwa doppelt soviel, wie das Land jährlich für Bildung und Gesundheit ausgibt.
"Dieses kapitalistische Netz, in dem es nur darum geht Geld aufzutreiben, Rohstoffe abzubauen: Wie viel Platz wird der Kultur eingeräumt? Keiner. Alles kostet. Die Regierung kümmert sich um nichts. Wir sind also auf eine gewisse Art noch immer in dem Kongo, den Leopold der II. geformt hat. Es geht darum, wer die Macht hat, und wer keine Macht hat. Darum, wer die Regeln bestimmt und wer diesen Regeln zu gehorchen hat."
In seinem bekanntesten Werk hat Sammy Baloji auf aktuelle Fotos von Kupfer- und Goldminen alte Fotografien von Arbeitssklaven aus der Kolonialzeit gelegt. Damit war er auf der "documenta 14 in Athen" im vergangenen Jahr. Er und seine Kollegen aus dem Künstlerkollektiv "Picha" sind ziemlich erfolgreich: Im kongolesischen Dreiklang aus Krieg, Armut und Korruption wagen sie es Visionen zu haben und vorsichtig zu kritisieren. International bekannte Künstler bringen ihre Werke nach Lubumbashi, die Kongolesen wiederum werden zu Ausstellungen nach New York, Brüssel, Moskau und Johannesburg eingeladen. Sammy selbst lebt mittlerweile in Brüssel.
Für seinen Kollegen Cedrik Nzolo wäre das nichts:
"Ich glaube, jeder muss da seine eigene Entscheidung treffen. Und ich respektiere da jede Entscheidung. Ich komme ab und zu aus dem Kongo raus und sehe, was draußen so passiert. Dann komme ich wieder zurück. Denn hier muss sich etwas entwickeln. Wer soll denn bleiben, wenn alle gehen, die gehen können? Wir brauchen ein Gemeinschaftsgefühl hier. Wenn du nicht bleibst, dann bleiben nur die anderen. Wenn du nicht deinen Mund auf machst, dann machen das die anderen. Wenn du dich dafür entscheidest, nicht zu reden, entscheidest du dich dafür nichts zu tun."
Kunst und Kultur bringen die Menschen zusammen
Viereinhalb Millionen Kongolesen sind momentan im eigenen Land auf der Flucht. 80 Millionen leben dort insgesamt. Und gut 500.000 haben das Land laut UN als Flüchtlinge verlassen. Aber nur die wenigsten von ihnen versuchen in die Europäische Union zu gelangen, die überwiegende Mehrheit bleibt in Nachbarländern.
In einem Straßenrestaurant von Lubumbashi. Ein Teil der Künstlerguppe "Picha" gönnt sich ein Bier auf Plastikstühlen. Dann kommt das Mittagessen. Direkt vom Vier-Quadratmeter-Grill an der Straße, über dem das rohe Fleisch in der Hitze hängt. Dazu gibt es Fufu – das sind Klöse aus Maniokmehl - und afrikanischen Spinat.
Selbst Rosemary Tshabinene erlaubt sich eine Pause. Sie ist seit der Gründung von "Picha" dabei. Fast zehn Jahre sind das jetzt. Ohne sie würde hier gar nichts funktionieren, beteuern die Künstler. In einem ausgeklügelten System aus Excel-Tabellen und Notizzetteln verwaltet Rosemary die Fördermittel aus dem Ausland, die Zollbestimmungen, Kabel und USB-Sticks der Gruppe. Sie hat Mathematik und Statistik studiert:
"Wir brauchen Künstler mit viel Mut. Aber es gibt nicht viele solcher Künstler. Wir versuchen sie dazu zu ermuntern. Aber es ist sehr gefährlich. Auch mit der politischen Opposition zusammen zu arbeiten ist gefährlich. Jeder fürchtet um sein Leben. Trotzdem versuchen wir zu kritisieren, aber nicht direkt. Wie zum Beispiel in der Ausstellung von Zemba Luzamba. So kann man hier über Politik sprechen. Wenn wir also die Möglichkeit haben, machen wir das. Aber nur so, dass wir nicht das Leben der Künstler damit in Gefahr bringen."
Die Ausstellung von Zemba Luzamba zeigt Gemälde, auf denen sich z. B. ein schwarzer Mann im Superman-T-Shirt eine Krone aufsetzt. Oder: Ein schwarzer Mann hält einen anderen an Marionetten-Fäden.
Man kann es als Kritik an den afrikanischen Machthabern ansehen, oder aber als amüsante Plänkelei. Zemba Luzamba lebt sicherheitshalber trotzdem lieber in Südafrika. Seine Bilder machen Rosemary Mut, vielleicht ändere sich ja doch noch etwas in diesem kaputten Land, sagt sie:
"Die Situation im Land ist wirklich schwierig. Das kann nicht allein von der Kultur gelöst werden. Aber der positive Aspekt von Kunst und Kultur ist, alle zusammen zu bringen. Denn viele Kriege beginnen mit Unterschieden und Differenzen."
Kunst über Kindersoldaten
Ein paar Kilometer weiter im "Institute Francais" in Lubumbashi - dem französischen Pendant zum Goethe-Institut. Georges Senga prüft die Lautsprecher- und Lichtanlage. Am Abend soll es in einem improvisierten Open Air Kino im Innenhof einen angolanischen Film über den Unabhängigkeitskampf geben.
Georges ist Fotograf und gehört auch zur Gruppe "Picha". Auch seine Bilder waren schon international ausgestellt, auch er kritisiert zwischen den Zeilen. Zum Beispiel hat er Fotos von Kindern mit Spielzeugwaffen neben die Tagebuchnotizen eines echten Kindersoldaten gestellt. Im Kongo gibt es noch immer Tausende von ihnen. "Kadogo" heißt die Serie auf Suaheli – auf Deutsch "Kindersoldat".
"Selbst wenn ich über manches am liebsten laut schreien möchte, kann ich das nicht tun. Für die Leute an der Macht wäre ich dann ein rotes Tuch. Das beschäftigt mich, auch moralisch. Denn ich kann nicht alle Themen behandeln, die ich gerne behandeln möchte. Nicht nur wegen dem, was momentan im Land passiert. In meiner Arbeit stelle ich Erinnerung und Identität in Frage. Wenn ich versuche, über das zu sprechen, was vor vielen Jahren passiert ist, bis zurück zur Kolonialzeit, versteht das nicht jeder. Dann sagen manche, ich stelle die Gegenwart in Frage oder die Zukunft."
Das Fotografieren hat Georges sich größtenteils selbst beigebracht. Er hat Wirtschaft und Sprachwissenschaften studiert, weil Kunst im Krieg nicht möglich war. Seine Großmutter würde immer noch nicht so richtig verstehen, was er da eigentlich macht. Neulich hätte sie ihn ganz misstrauisch gefragt, warum ihn die Weißen denn bitteschön nach Europa einladen? Hätten die etwa keine Fotografen dort?
Kein einziger Politiker kam zur Eröffnung der Biennale
Nach der Film-Vorführung sitzt Livingston im Foyer, ein stadtbekannter Musiker und Rastafari,. Neben ihm die polnische Performance-Künstlerin Anna Zaradny. Sie singen von der Freiheit. Livingston mit Bob Marley, Anna mit Monserat Caballe:
"Ich hoffe, dass sich die Politiker eines Tages hierfür interessieren und dass sie uns unterstützen. Eigentlich machen wir hier ja Werbung für die Stadt. Wenn du ins Internet gehst und Lubumbashi und Kunst eingibst, kommt die Biennale. Wir geben der Stadt ein neues Image. Also: eigentlich müssten die zu UNS kommen und uns fragen, ob wir irgendwas brauchen oder ob sie uns irgendwie helfen können."
Aber das tun sie nicht zum Bedauern von Fotografen Georges Senga. Die Gruppe "Picha" finanziert sich allein durch ausländische Institutionen. Kein einziger der geladenen Politiker des Kongo kam zur Eröffnung des Kunstfestivals. Keine Zeit, kein Geld, heißt es. Aber natürlich, Kunst sei wichtig - das sagen sie auch, die Politiker. Zum Beispiel Patrick Thierry Kakwata, Abgeordneter im Parlament und Mitglied von Präsident Kabilas Partei, der Volkspartei für Wiederaufbau und Demokratie, die seit mehr als zehn Jahren an der Macht ist:
"Kunst und Kultur repräsentieren die Zivilisation und Identität eines Volkes, eines Landes. Sie spielen eine sehr wichtige Rolle in der Demokratischen Republik Kongo. Sie stehen für sozialen Wandel. Musik zum Beispiel kann eine Botschaft vermitteln. Kultur und Kunst tragen außerdem zur Wirtschaft eines Landes bei. Wir müssen uns also mehr bemühen, einen Beitrag zur Wirtschaft zu leisten, Arbeitsplätze zu schaffen. Und dann sind Kunst und Kultur noch wichtige Faktoren für den sozialen Zusammenhalt. Das sollten wir verstehen. Sie können die soziale Spaltung verhindern."
Der Parlamentsabgeordnete verwendet wohlwollende, salbungsvolle Worte auf die Kunst. Es sind fast die selben Worte und Argumente, die die Künstler selbst verwenden. Doch am Ende machen die Künstler die Kunst und Kongos Politiker schauen nicht einmal hin.
Der grausamen Geschichte entkommen durch den Tanz
Würden sie hinschauen, sie könnten Sara Mukadi und ihre Tanzperformance sehen. Auf einer Hauptverkehrsstraße staut sie den Feierabendverkehr auf. Die Minibusse schlängeln sich zweispurig an ihr vorbei. Die 23-Jährige und ihre Tänzer bewegen sich zu basslastiger Musik und bemalen sich großflächig mit Farbe:
"Kunst bedeutet für mich Freiheit, die Freiheit sich ausdrücken zu können. Wenn ich einfach das Mikro nehmen würde, um meine Wut herauszuschreien, dass sich etwas ändert hier, mir würde gar niemand zuhören. Aber beim Tanzen schauen mir die Leute zu. Ich kann fast alles sagen und machen, was ich will."
Saras Tanz heute erzählt vom Leid und von der Stärke einer Gruppe afrikanischer Frauen von Lubumbashi. In der Kolonialzeit protestierten sie nackt in einer Demonstration gegen ständige Demütigungen, Vergewaltigungen und Rassentrennung. Diesen Widerstand zeigt Sara Mukadi in ihren Bewegungen. Entgeisterte und begeisterte Gesichter blicken auf die Mutter von zwei kleinen Kindern. Ihre langen dünn geflochtenen Zöpfe schwingen durch die Luft. Der Tanz hilft ihr, der grausamen Geschichte ihres Landes zu entfliehen - und sie gleichzeitig zu erzählen:
"Es geht darum, Grenzen zu überwinden. Vor der Unabhängigkeit war die einheimische, die schwarze Bevölkerung in Lagern untergebracht. Unsere Stadt war eine Stadt unserer Kolonisatoren, sie wollten keine Mischung der Farben, also bauten sie Krankenhäuser, Gefängnisse und Kirchen in den Camps, damit die Schwarzen, wenn sie krank wurden, bei sich in den Camps behandelt werden konnten. Aber wenn ihnen danach war, kamen die Kolonisatoren in die Lager der Schwarzen um "Spaß" mit den Frauen zu haben. Eines Tages entschieden die Frauen dann, einen nackten Protestmarsch zu organisieren. Vorher ist kaum jemand in die Städte der Weißen gekommen. Also haben sie es unbekleidet versucht und es hat geklappt."
Vor der Tanzperformance hatten Sara und Rosemary Angst, die Polizei würde das Spektakel auflösen. Doch sie ließ sie gewähren. Vielleicht aus Großzügigkeit, vielleicht weil die Tänzer ohnehin keine Bedrohung darstellen.