Die Ausstellung "Kara Walker – A Black Hole Is Everything A Star Longs To Be" ist noch bis zum 26. September 2021 im Kunstmuseum Basel zu sehen.
Spiel mit tief verankerten rassistischen Stereotypen
05:40 Minuten
Für die einen ist sie eine schwarze Aktivistin, für die anderen ist sie nicht schwarz genug. Kara Walker macht es keinem Recht – und das seit 28 Jahren. Das Kunstmuseum Basel zeigt nun 600 ihrer Papierarbeiten, die sich mit Rassismus beschäftigen.
Barack Obama im Kostüm des Othello. Er blickt sorgenvoll, von Strapazen gezeichnet. Auf dem Schoß hält er den abgeschnittenen Kopf von Donald Trump, bohrt ihm den Daumen ins blutige Auge. Diese gemäldegroße Zeichnung aus Pastellkreide und Kohle stammt von 2019 und ist eines von vier Porträts des schwarzen Präsidenten. Sie habe nie den Auftrag zu einem offiziellen Porträt bekommen, sagt Kara Walker. Also konnte sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen:
"Ich habe an diesen ganzen Mist gedacht, den Obama erdulden musste als ikonische Figur eines schwarzen männlichen Präsidenten. Als nicht nur seine Legitimität als Präsident, sondern sogar als Mensch in Frage gestellt wurde. All diese rassistischen Vorurteile, die angeblich unter der Oberfläche schlummerten, die waren nämlich immer da, nur wurden sie nicht gehört. Bis sie unter Donald Trump wieder eine große Plattform bekamen."
"Ich habe an diesen ganzen Mist gedacht, den Obama erdulden musste als ikonische Figur eines schwarzen männlichen Präsidenten. Als nicht nur seine Legitimität als Präsident, sondern sogar als Mensch in Frage gestellt wurde. All diese rassistischen Vorurteile, die angeblich unter der Oberfläche schlummerten, die waren nämlich immer da, nur wurden sie nicht gehört. Bis sie unter Donald Trump wieder eine große Plattform bekamen."
Produktive Stereotype
Ein anderes, gleichgroßes Porträt zeigt Obama als afrikanischen Stammesfürsten mit Speer, der auf einem fetten rosaroten Schwein Platz genommen hat. Fast genüsslich ruft Kara Walker rassistische Vorurteile auf, die Obamas Wahl begleiteten. Dazu erklärt die Kuratorin der Ausstellung, Anita Haldemann:
"Sie nutzt Stereotype immer noch sehr intensiv, weil sie schnell erkennbar und immer noch vorhanden sind. Also wenn Walker Obama als Stammeshäuptling in Afrika darstellt, so ist das deswegen, weil offenbar sehr viele Menschen sofort an seine afrikanischen Wurzeln denken, ihn dorthin platzieren und als illegitimen Präsidenten betrachten. Diese Stereotype sind so tief in unserem Unterbewusstsein, nicht nur von den Weißen, sondern auch den Schwarzen, wie sie sich selber wahrnehmen, dass die sehr produktiv sind, denke ich."
"Sie nutzt Stereotype immer noch sehr intensiv, weil sie schnell erkennbar und immer noch vorhanden sind. Also wenn Walker Obama als Stammeshäuptling in Afrika darstellt, so ist das deswegen, weil offenbar sehr viele Menschen sofort an seine afrikanischen Wurzeln denken, ihn dorthin platzieren und als illegitimen Präsidenten betrachten. Diese Stereotype sind so tief in unserem Unterbewusstsein, nicht nur von den Weißen, sondern auch den Schwarzen, wie sie sich selber wahrnehmen, dass die sehr produktiv sind, denke ich."
Kara Walkers großes Thema ist zweifellos der Rassismus. Und dazu ruft sie immer wieder die Geschichte der Sklaverei wach. Lynchmorde, Vergewaltigung und Schändung, blutige Ausbeutung, Verachtung des schwarzen Körpers, Selbstzweifel und Stolz schwarzer Amerikaner.
Die Büchse der Pandora geöffnet
Das Zeichnungsarchiv aus 28 Jahren, das Kara Walker jetzt in Basel zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert, ist das Dokument einer lebenslangen Selbstvergewisserung. Die heute 52-jährige Künstlerin hat in diesen Skizzen, Collagen, Texten und sorgfältig ausgearbeiteten Großformaten die Büchse der Pandora geöffnet. Keine Zensur, sondern ein unablässiger, oft quälerischer Bewusstseinsstrom:
"Aus der Distanz sehe ich ein sehr verletzliches Werk. Aber das ordnet sich jetzt neu, wenn ich über die Welt nachdenke, in der wir leben und aus der ich komme. Und ich denke über den Akt des Zeichnens nach, über dessen Rezeption, über die Ansprüche, die das Zeichnen an mich stellt und an die Betrachter", sagt die Künstlerin.
"Aus der Distanz sehe ich ein sehr verletzliches Werk. Aber das ordnet sich jetzt neu, wenn ich über die Welt nachdenke, in der wir leben und aus der ich komme. Und ich denke über den Akt des Zeichnens nach, über dessen Rezeption, über die Ansprüche, die das Zeichnen an mich stellt und an die Betrachter", sagt die Künstlerin.
Gerade weil diese Zeichnungen aktuelle Geschichte in der Erscheinungsform rassistischer Stereotype servieren, sind sie oft schwer zu ertragen, erzeugen ein Gefühl von Scham, als dürfe so etwas in Zeiten politischer Korrektheit eigentlich gar nicht vorkommen.
"Gerade in Amerika hat man all diese Programme: minoritiy programs, hat man politische Korrektheit. Man tut alles für mehr Diversität, und trotzdem ist Rassismus noch da. Kara Walker muss fast dafür kämpfen, dass man das noch sieht", erklärt die Kuratorin.
Hassliebe zum westlichen Kunstkanon
In der letzten Zeit persifliert Kara Walker Techniken der Renaissance-Zeichnung, benutzt hochwertiges Papier, arbeitet mit Höhungen aus weißer Kreide. Wenn sie Barack Obama als heiligen Antonius darstellt, gefoltert von Ungeheuern und Dämonen, so bezieht sie sich ausdrücklich auf den berühmten Stich von Martin Schongauer.
Kara Walker lässt sich nicht sagen, wie afroamerikanische Kunst zu sein hat. Klar, sie kämpft mit dem patriarchalischen westlichen Kunstkanon. Aber sie lässt sich die Bewunderung für Künstler wie Goya, Delacroix, Géricault oder Ensor nicht nehmen: "Ich habe mich immer für den Kampf in der Kunstwelt interessiert, und auch meine Liebe und Verpflichtung gegenüber dem westlichen Kanon hinterfragt. Das ist eine Hassliebe."
Wer bin ich? Und wer seid ihr? Und wozu ist das Zeichnen gut? Und was ist einzeitgenössisches Bild? Im Baseler Kunstmuseum kann man in dieses Identitätsgefecht einer afroamerikanischen Künstlerin eintauchen. Das ist beunruhigend, herausfordernd, begeisternd. Ein existenzieller Tumult.