Wie eine Meditation mit Bewegung
22:30 Minuten
Viele verbinden Karate mit Actionfilmen und zergeschlagenen Ziegelsteinen. Aber der Kampfsport hat nichts mit Schlägereien zu tun, sondern viel mit Gleichgewichtssinn und innerer Ruhe. Inzwischen wird er sogar im Reha-Sport eingesetzt.
Kiyou Shimizu will bei den Olympischen Spielen in Tokio für Japan im Karate antreten. Sie sagt: "Wir sind die allerersten Karateka, die jetzt diesen neuen Weg beschreiten. Es gibt nichts und niemanden an dem wir uns orientieren können. Also bleibt uns nichts anderes, als uns so gut wie irgend möglich auf das Ereignis vorzubereiten. Natürlich löst die hohe Erwartungshaltung um einen herum großen Druck aus."
Im Karate gibt es zwei Disziplinen, den Zweikampf, Kumite, und die sogenannten Formen, die Kata. Das ist ein Kampf gegen mehrere imaginäre Gegner mit einer festgelegten Abfolge von Techniken und einer fixen räumlichen Choreografie.
"Das Faszinierende an Kata ist, dass ich mich trotz einer festen Form wunderbar persönlich darin ausdrücken kann" sagt Kiyou Shimizu. "Anders als in anderen Sportarten ist die Kata ein historisches Erbe, das viele Jahre von Meister zu Meister weitergegeben wurde. Aber Menschen sind nun mal verschieden, so dass eine Kata trotz fester Vorgaben immer individuell interpretiert wird und ihre Darbietung einzigartig ist."
Kiyou Shimizu ist Kata-Spezialistin. Sie hat je zwei Goldmedaillen gewonnen bei den Karate-Weltmeisterschaften 2014 und 2016, und bei den Asienspielen 2014 und 2018.
Karate hat einen langen Weg hinter sich, bevor es nun erstmals in der Heimat dieses Sports olympische Disziplin sein wird. Seit vielen Jahren hat der Sport dafür gekämpft. 2020 sollte es endlich soweit sein, und dann kam Corona. Bereits im März vergangenen Jahres war jedoch klar, dass es zunächst nur diese eine Teilnahme sein wird, denn Karate wird 2024 in Paris nicht mehr dabei sein. Tokio 2021 ist also umso wichtiger für diesen Sport, der häufig als Randsport bezeichnet wird.
"Also wir sind eigentlich einer der größten Weltverbände. Wir haben 200 Nationen und 50 Millionen Mitglieder" sagt Wolfgang Weigert. Er ist Präsident des Deutschen Karate Verbandes und Vize-Präsident der World Karate Federation. Er weiß: Nicht alle dieser 50 Millionen Mitglieder messen sich auf Turnieren. Von den 160.000 Karateka in Deutschland zum Beispiel sind nur zwischen drei bis fünf Prozent im Wettkampf aktiv, die anderen machen traditionelles Karate oder betonen den Selbstverteidigungsaspekt – sie sind Breitensportler.
Karate als Therapie bei Parkinson
Breitensport – das klingt banal, und wird der Vielfalt des Karategeschehens ganz und gar nicht gerecht, denn das hat Einiges zu bieten. Zum Beispiel als Gesundheitssport. Schon seit 2003 wird Karate als solcher von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannt. Seit einigen Jahren wird Karate sogar therapeutisch praktiziert.
"Wir arbeiten ja sozusagen nicht mit der Idee ‚Jetzt stärke ich mein Gleichgewicht‘, sondern wir sagen: Ich mache einen Fußtritt nach vorne. Ich habe festgestellt, wenn ich einem Patienten sage ‚Jetzt steht doch mal auf einem Bein‘, dann kommt zuerst ‚Nee, kann ich nicht‘. Wenn ich sage: Jetzt mach mal einen Fußtritt nach vorne, dann funktioniert das. Das Bewusstsein ist ein anderes. Die Aufgabenstellung ist eine andere, und auf der Ebene können wir super arbeiten", sagt Katharina Dahmen Zimmer.
Sie arbeitet am Institut für Psychologie der Universität Regensburg und ist selbst Karateka. Sie leitet eine Trainingsgruppe von Parkinson Patienten, die mit Karate gegen die Folgen der Krankheit ankämpfen. Und das mit Erfolg: Ihre Studie im Jahr 2017 zeigte, dass sich Kondition, Koordination und kognitive Fähigkeiten der Teilnehmer in der Gruppe verbessert hatten. Aber das Wichtigste war, dass die Beteiligten Spaß am Training hatten und auch nach Abschluss der Studie weiter trainiert haben:
"Die Erfahrung lehrt uns: Es gibt Dinge die können noch so gut und sinnvoll sein. Wenn es mir überhaupt keinen Spaß macht oder mich sogar noch belastet, dann lasse ich es irgendwann mal. Und deswegen ist es sehr wichtig, dass man ein Training gerne mag, das ist bei uns gegeben."
Als ich im Januar 2020 bei einem Training dabei bin, sehe ich einen Teilnehmer, der sich nach ein paar Techniken hinsetzen und pausieren muss. Jedes Mal steht er kurz danach auf und stellt sich wieder in die Reihe – und macht weiter. Das ist Karate: Nicht aufgeben, und die eigenen Grenzen jedes Mal ein bisschen weiter verschieben.
Aber was genau hilft denn an diesem Training?
"Wir haben im Training zum Beispiel Techniken, die ein Vorgehen mit dem rechten Bein und einen gleichzeitigen Fauststoß mit dem linken Arm beinhalten", sagt Dahmen Zimmer. "Dabei sind beide Gehirnhälften gefordert. Und gerade diese Form des Trainings scheint besonders gut und sinnvoll in Anführungsstrichen ‚Kopf-Training‘ zu sein."
Das Kopftraining ist wichtig: Eine bessere Koordination und Konzentration helfen natürlich auch im Alltag. Darüber hinaus ist Karate als Ganzkörpertraining gut geeignet, das Gleichgewicht zu verbessern.
Gleichgewichtsgefühl hilft auch mental
Das ist auch sehr wichtig im Jukuren, dem Training für ältere Einsteiger. Andreas Sparmann, Judo- und Karatetrainer in Berlin, bietet seit 1999 in seinem Sport- und Gesundheitsstudio Nippon ein Training "Karate 50+" an:
"Also Gleichgewicht ist ja ganz wichtig und wer hinfällt, der fällt ja oft deswegen hin, weil er stolpert und sich dann eventuell eben schnell abfangen müsste. Und beim Karate macht man eben auch viele Übungen auf einem Bein, sodass man das Gleichgewichts-Gefühl immer wieder beansprucht."
Im Gleichgewicht sein, die eigene Mitte finden und in sich ruhen: Balance ist auch ein mentaler Wert.
"Karate ist Meditation in Bewegung. Es macht den Kopf leer und das Herz frei. Und in wirklich guten Momenten finden Körper, Geist und Seele zu sich", sagt mir Christian Christen, Karate-Trainer in Berlin. Viele wissen das anfangs nicht, und deshalb taten sich manche der späten Einsteiger mit ihrer Entscheidung erst mal schwer:
"Und jeder dachte eben, Karate heißt irgendwelche Steine werden zerschlagen und Bruce Lee ist auferstanden und ich weiß nicht was."
Andreas Sparmann hat deshalb mehrere Versuche unternommen, Karate für Ältere einzuführen. Funktioniert hat das nämlich nicht auf Anhieb:
"Das Besondere daran ist ja, dass das Menschen waren, die vorher noch nie etwas mit Karate zu tun hatten und eben erst im Alter so ab 60, 70 eingestiegen sind. Und das ist schon ein großer Schritt. Wer von Kindesbeinen an Karate macht und damit 70 geworden ist, für den ist das gar nichts. Aber wer da frisch reingeht, für den ist es wirklich was."
Sturzprophylaxe und Selbstverteidigung
Klaus Jänicke ist vor 15 Jahren als 60-Jähriger in den "Karate 50+" Kurs eingestiegen. Der aktive Rentner fährt Motorrad, pflegt seinen Garten und verreist gern mit dem Wohnmobil. Wir unterhalten uns im Sportstudio Nippon nach seinem Training: Wie war das mit dem späten Einstieg ins Karate?
"Es ist wie bei allen Dingen. Also wenn ich andere Sportarten betreibe, muss ich mich auch erst einmal überwinden. Also erstmal ist man begeistert, dann kommt eine Phase, dass man es anstrengend findet und dann muss man einfach dranbleiben. Da ist ja auch wirklich eine reale Verbesserung der körperlichen Situation damit verbunden."
Verbesserung der körperlichen Situation heißt mehr Gleichgewicht: Da geht es auch um Sturzprophylaxe. Das gibt Sicherheit im Alltag.
Und dieses Sicherheitsgefühl wird noch von einem anderen Aspekt im Karate verstärkt: der Selbstverteidigung. Für Klaus Jänicke ist auch wichtig:
"Dass man ja in der Tat ein bisschen was an Selbstverteidigung lernt und Abwehr-Techniken. Und man fühlt sich dann doch ein bisschen selbstsicherer, wenn man mal irgendwo ein bisschen sehr blöde attackiert wird."
Das ist elementar für alle Karateka. Es kommt aber noch ein anderer bedeutender Aspekt dazu: die sozialen Kontakte. Die Gemeinschaft hält bei Laune und bei der Stange. Die Teilnehmer unterstützen sich gegenseitig, und das gibt nicht nur ein gutes Gefühl. Therapeutisches Karate kann dabei helfen, Depressionen zu vermeiden. Katharina Dahmen-Zimmer erläutert, woran das liegt:
"Die Teilnehmer lernen wirklich schwierige Techniken. Das ist so. Sie müssen sich anstrengen und sie sehen, dass ihre Anstrengung Erfolg bringt, und dieser Erfolg ist ihnen selber zuzuschreiben und nicht einem Arzt und nicht einem Medikament, sondern ihren eigenen Anstrengungen. Und das ist eine ganz wichtige Sache."
Gemeinschaft ist die große Stärke des Karate. Im Training habe ich keinen Gegner, sondern einen Partner. Das ist im traditionellen Karate begründet.
Auch in Coronazeiten ein Wirtschaftsfaktor
Dessen Ursprünge liegen auf Okinawa, einer japanischen Präfektur im Ostchinesischen Meer, 500 Kilometer südlich von den Japanischen Hauptinseln. Im 15. Jahrhundert durfte die einfache Bevölkerung dort keine Waffen tragen – das war den Shogunen und ihren Kriegern vorbehalten. Um sich dennoch verteidigen zu können, entwickelten die Bewohner eine waffenlose Kampfkunst, das Okinawa-Te. Daraus entwickelte sich im Lauf der Zeit Karate, und das fand Anfang des 20. Jahrhunderts erst den Weg nach Japan, und dann in die ganze Welt.
"Auf Okinawa hörte ich einen sehr wichtigen Satz, ‚Itchaliba Chode‘, was bedeutet, dass wir von dem Zeitpunkt an, an dem wir uns treffen, Brüder und Schwestern sind."
Patrick Rault ist Franzose, Träger des achten Dan, des achten Meistergrads im Karate, und Kulturbotschafter Okinawas. Er will das kulturelle Erbe erhalten und verbreiten. Deshalb hat er die Touristik-Industrie Okinawas auf Karate eingeschworen.
2004 hat dann das örtliche Touristikzentrum einen Extraberater eingestellt: Der hilft Gästen aus aller Welt, das passende Training vor Ort zu finden. Das ist heute auch online möglich – auf der Homepage des Okinawa Karate Information Center kann ich vor der Reise meine Karate-Kurse buchen! Beziehungsweise jetzt in Pandemie-Zeiten einen Online-Kurs besuchen.
Damit ist Karate auf Okinawa heute auch ein Wirtschaftsfaktor. Patrick Rault geht es aber um viel mehr:
"Es gibt viele Verbindungen zwischen Karate und der Kultur. Man kann Karate auch rein physisch trainieren. Aber irgendwann, um zu verstehen, den Geist der Kampfkunst, der Höflichkeit, der Freundlichkeit, der Großzügigkeit, des Mitgefühls, dann müssen Sie dazu lernen. Sie werden eine bessere Kenntnis der japanischen Kultur benötigen."
Dazu gehört auch gemeinsames Essen und Trinken. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die japanische Teezeremonie, die für viele Karateka dazu gehört, sich über das körperliche Training hinaus mit der Kampfkunst zu beschäftigen. Das ist ein lebenslanger Weg.
Das gilt auch in Berlin, wo Knut Paul herkommt. Der ehemalige Feuerwehrmann ist jetzt 75 Jahre alt und macht seit 55 Jahren Karate:
"Jeder Kampf, ob gewinnen oder verlieren, hat mich eigentlich immer weitergebracht und ich habe mich immer mit dem Sport weiter beschäftigt. Warum, wieso, weshalb? Und umso älter ich wurde, umso weniger ist das Kämpfen im Vordergrund, sondern die Entwicklung. Da gehört auch dazu, dass man über den Tellerrand guckte, andere Sportarten sich beschaute, also asiatische Sportarten vor allen Dingen. Oder auch die Teezeremonie, die für mich eine Zeit lang ganz wichtig war, um ruhiger zu werden. Das gehört alles dazu."
Die persönliche Entwicklung des Karateka ist das Ziel. Es geht nicht nur um das sportliche Weiterkommen, sondern um die Entwicklung des Charakters. Selbstvertrauen ist ein wesentlicher Aspekt dabei – auch für Frauen.
Frauen waren anfangs noch die Ausnahme
Als Knut Paul 1965 mit Karate angefangen hat, war Fußball in Deutschland für Frauen verpönt. Aber im Karate waren sie von Anfang an mit dabei!
1964 begann Gudrun Hisatake in Bayern mit dem Karatetraining. Schon drei Jahre später machte sie ihren ersten schwarzen Gürtel, den ersten Meistergrad. Wiederum ein Jahr später war sie bereits als internationale Kampfrichterin unterwegs, erinnert sich Susanne Nitschmann:
"Also, Karate hatte jetzt nie die Frauen ausgeschlossen. Es war nur zu der Zeit überhaupt nicht üblich. Ja, und deswegen hat das eine Weile gedauert, bis wir beim prozentualen Anteil, der liegt so jetzt bei 34 Prozent, angekommen sind. Zu Beginn waren das natürlich Einzelfälle."
Susanne Nitschmann ist die Bundesfrauenreferentin des Deutschen Karate Verbandes. Sie erzählt mir, dass Frauen in den 1970er Jahren noch ein spezielles Gesundheitszeugnis vorweisen mussten, bevor sie zum Zweikampf, zum Kumite, antreten durften: Sie mussten sogar einen negativen Schwangerschaftstest vorlegen! Auch die Ausrüstung war noch nicht auf Frauen eingestellt, so "dass die zum Beispiel als Brustschutz-Ersatz Tupperdosen genommen haben. Aus dem Nähkästchen geplauder. Ja, weil es ja noch gar keinen Markt gab."
Das ist heute nur noch schwer vorstellbar. Gibt es doch jetzt für Karateka jede Menge schicke Extras über die Trainingskleidung hinaus, vom bestickten Gürtel bis zum Reisstroh-Flipflop oder einem Samurai-Regenschirm.
Ein professionell hergestellter Brustschutz ist heute Standard für Frauen im Zweikampf. Das gilt auch für die Olympischen Spiele, für die sich zwei deutsche Karateka noch qualifizieren können: Jana Messerschmidt und Shara Hubrich, beide aus NRW, kämpfen in der niedrigsten Gewichtsklasse im Kumite um einen Startplatz.
Die Voraussetzungen dafür sind schwierig: Pro Wettkampf können nur zehn Athleten und Athletinnen antreten, und eine Startposition ist jeweils für Japan reserviert. In diesem kleinen Startfeld kann jede Nation nur einen Sportler oder eine Sportlerin pro Disziplin entsenden. Obendrein gibt es nur drei statt wie sonst im Karate üblich fünf Gewichtsklassen. Bei den Herren kämpfen die Schwergewichte jetzt schon ab 75, statt wie sonst ab 84 Kilogramm!
"Das ist also dann entsprechend schon eine ziemlich große Range, die da zusammengefasst wird, und bei den Damen ist es minus 55, minus 61 und plus 61. Ja, das ist natürlich sicherlich eine große Herausforderung für die Sportler und es ist natürlich auch eine höhere Konkurrenz."
Eva Mona Altmann ist Pressereferentin des Karate-Dachverbands-Nordrhein-Westfalen und international lizensierte Kampfrichterin. Von ihr erfahre ich, dass Jana Messerschmidt und Shara Hubrich normalerweise in unterschiedlichen Gewichtsklassen kämpfen. Jetzt treten sie in der gleichen Gewichtsklasse gegeneinander an, und nur eine von ihnen kann – wenn überhaupt – nach Tokio fliegen.
Veränderte Regeln für Olympia
Für die Olympischen Spiele dort sind wesentliche Regeln im Wettkampf-Karate geändert worden:
"Und im Kumite, also das heißt im sportlichen Zweikampf, da wurde Senshu eingeführt. Das kann man übersetzen mit ‚Vorteil der ersten alleinigen Wertung‘. Das heißt, ja, im Zweifel oder im Falle eines Unentschiedens oder einer Punktegleichheit am Kampfende gewinnt der Sportler, der die erste Wertung erzielt hat, was eben dazu führt, dass der erste alleinige Punkt, den zu erzielen, dass das besonders hart umkämpft ist."
Damit soll der Kampf spannender für die Zuschauer werden. In dem Zusammenhang sind die Wettkampf-Regeln schon häufiger verändert worden. Im Formenwettkampf, der Kata, gab es zwischenzeitlich die Regelung, dass zwei Karateka gegeneinander antreten, und nur eine/r eine Runde weiterkommt. Jetzt gibt es wieder ein Punktesystem:
"Und jetzt ist es eben so, dass wie das ja auch in vielen anderen olympischen Sportarten ist, eben dann mit einer Punkte Bewertung im technischen Bereich und im athletischen Bereich gearbeitet wird."
Aber die Regeln werden ständig geändert, das ist eine verlässliche Konstante im Wettkampfkarate:
"Also das ist so ein dynamischer Prozess. Ich glaube, da wird es niemals das eine finale Regelwerk geben."
Nicht nur die Regeln ändern sich: Durch die Anpassung der alten Kampfkunst an sportliche Maßstäbe hat sich der Sport selbst verändert. Heute wird viel mehr getänzelt und es gibt mehr hohe Tritte zum Kopf: Das sieht anders aus als das traditionelle Karate auf Okinawa!
Was sich nicht ändert, ist der grundlegende Respekt, mit dem Karateka einander begegnen. Wolfgang Weigert:
"Also, wenn wir jetzt ein Training machen, bevor eine Übung beginnt, verbeugen sich beide zueinander, um sich den gegenseitigen Respekt zu bekunden. Genauso am Anfang und am Ende des Trainings."
Im 21. Jahrhundert geht vieles auch online
Im 21. Jahrhundert ist auch im Karate die moderne Technik angekommen. Im Karate gibt es jetzt den Videobeweis. Und schon seit vielen Jahren hilft das Internet den Karateka, sich international zu vernetzen. So konnten sich Onlinepioniere wie Iain Abernethy oder Jesse Enkamp eine weltweite Schülerschaft aufbauen, und leben jetzt von ihrer Tätigkeit als Karatetrainer. Sie verkaufen Lehrinhalte auf CDs, per Videoabonnement oder per App, und werden weltweit für Lehrgänge gebucht. So technisch versiert, konnte die Gemeinschaft in der Coronapandemie schnell reagieren:
"Ich bin wirklich beeindruckt von der Menge der Trainer, die sehr schnell Onlineinhalte für ihre Schüler produziert haben. Also, hier ist die Kata, an der ihr arbeiten könnt, hier sind Übungen für zuhause. Und viele machen diese Übungen und geben sie weiter."
Auch Iain Abernethy, Karate-Großmeister aus England, postet fast täglich neue "Hausaufgaben" für Karateka auf Facebook und bietet Kurse per Videokonferenz an.
Die Deutsche Hochschulmeisterschaft wurde online durchgeführt.
Und Kiyou Shimizu, die Medaillenhoffnung Japans, hat sich ebenfalls mit dieser neuen Technik auseinandergesetzt:
"Ein Vorteil ist natürlich, dass ich ortsunabhängig trainieren kann. Das wusste ich nicht, weil ich bisher nur "vor Ort" Training kannte. Ich habe auch selbst Videos von meinem Training gedreht, verschickt und daraufhin Ratschläge zurückbekommen, das funktioniert inzwischen sehr gut."
Sie kann in Japan mittlerweile auch wieder einmal in der Woche ganz normal an ihrem Olympiastützpunkt trainieren. Das Onlinetraining nutzt sie weiterhin und freut sich, dass das auch immer mehr andere Menschen tun – der Zugriff auf einfache Karate-Übungen online wächst in Japan.
Menschen mit Behinderungen brauchen eher Training vor Ort
Deutschlands mehrfache Para-Karate-EM und WM-Gewinnerin, Helga Balkie, startet ebenfalls in der Disziplin Kata. Sie ist aber auf reales Training angewiesen.
"Ich trainiere mit meinen Sportfreunden zusammen, wobei dann rechts und links jemand in den meisten Fällen steht. Die haben dann auch gleichzeitig die Aufgabe, darauf zu achten, dass ich nicht allzu weit wegkomme vom Kurs. Also haben sie ebenfalls eine kleine Verantwortung über mich."
Helga Balkie ist an Multipler Sklerose erkrankt, und dadurch auch erblindet. Sie hat von Kindheit an viel Sport getrieben, und damit gezielt ihre Muskulatur trainiert. Für sie ist Karate der ideale Sport, weil dabei jeder einzelne Muskel beansprucht wird.
Sie braucht das Training vor Ort. Die Zwangspause für Kampfsportarten durch die Coronapandemie wirft sie auch gesundheitlich zurück:
"Das Training ist für mich wichtig für die Erhaltung meiner Muskulatur. Zumal ich ja dann auch Krafttraining mitmache und dergleichen mehr, sowie auch Ausdauertraining. Und wenn jetzt, so wie durch Corona, man nicht mehr ins Fitnessstudio kann oder zum Sport selbst, dann hat das natürlich den mächtigen Nachteil, dass die Muskulatur dann gleich wieder erheblich nachlässt."
Helga Balkie trainiert bei Heiko Kuppi, Referent für Menschen mit Einschränkungen im Berliner Karate Verband. Worin unterscheidet sich das Training für Para-Karateka, was muss er da beachten oder anders machen?
"Nicht jeder lernt auf die gleiche Weise. Als Trainer bist du immer schon gefordert zu schauen: Wie tickt dein Athlet und wie vermitteltest du ihm das am besten? Oder mit welchen Übungen kannst du ihn am besten motivieren? Und das ist bei Leuten mit Rollstuhl oder mit geistiger Behinderung nicht anders. Nur die Kreativität ist wahrscheinlich ist um einiges mehr wahrscheinlich gefordert."
Heiko Kuppi hat keine Extra-Ausbildung absolviert, um Sportler- und Sportlerinnen mit Einschränkungen zu trainieren. Er ist einfach offen an die Aufgabe herangegangen und dann mit ihr gewachsen.
"Man denkt nicht so sehr in seinen Bahnen oder seinem Weg, den man vor sich hat, sondern – so, man ist wie so eine Schale Wasser. Also so klar und unbewegt. Und nimmt halt alles auf, was so kommt."
Es gilt, die Herausforderung anzunehmen. Auf die Ehre, Olympische Disziplin zu werden, hat der Sport lange gewartet – da kommt es auf ein Jahr mehr oder weniger nicht mehr an.
Kiyou Shimizu war erst geschockt, als die Olympischen Spiele um ein Jahr. verschoben wurden. Jetzt wertet sie die Verschiebung positiv – als längere Vorbereitungszeit. Sie gibt sich kämpferisch:
"Das ist natürlich schade. Aber gleichzeitig motiviert es mich umso mehr, alles Menschenmögliche zu geben, damit der Sport die Aufmerksamkeit bekommt, die es braucht, damit Karate irgendwann zu einer regulären Disziplin werden kann."