Umstrittene Seitenwechsel
Gerhard Schröder hat es getan, ebenso wie Ronald Pofalla - und jetzt die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche: Wenn Spitzenpolitiker in die Wirtschaft wechseln, hat das oft ein Geschmäckle. Künftig sollen sie eine Karenzzeit von 12 bis 18 Monaten einhalten. Doch Kritikern reicht das nicht.
Der Seitenwechsel ist auch in der Politik eine beliebte Disziplin. Gerhard Schröder tat es, Daniel Bahr, Ronald Pofalla, Eckart von Klaeden und viele andere mehr. Immer mit im Gepäck ein Sack voll politischen Insider-Wissens und natürlich eine prall gefülltes Kontakte-Buch. Katherina Reiche, CDU-Politikerin und parlamentarische Staatssekretärin im Verkehrsministerium - bis vergangenen Mittwoch. Sie wechselt die Straßenseite. Vom Ministerium einmal rüber über die Berliner Invalidenstraße. Dort wird sie Lobbyistin kommunaler Unternehmen.
"Also ich würde das nie befürworten, war ja mit Schröder das Gleiche, dass er sofort bei Gazprom untergekommen ist. Ich finde das unmöglich, da muss ein Riegel vorgeschoben werden. Das ist Vetternwirtschaft, ganz eindeutig. Ich kenne das aus der Wirtschaft, dass man da Sperrfristen hat, wenn man den Arbeitgeber wechselt. Dass man aufgrund der Interessenskonflikte eine Karenzzeit hat."
Der Organisation LobbyControl reicht die neue Regelung nicht
Und eine solche Karenzzeit soll es künftig auch für Mitglieder der Bundesregierung geben. Für Minister und parlamentarische Staatssekretäre. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere:
"Mit dem Gesetz soll der Anschein einer voreingenommenen Amtsführung im Hinblick auf spätere Karriereaussichten oder durch die private Verwertung von Amtswissen nach dem Ausscheiden aus dem Amt verhindert werden."
12 bis 18 Monate soll sie dauern, die Karenzzeit. Darüber entscheiden wird ein noch näher zu bestimmendes Gremium unter anderem aus – na – genau: früheren Spitzenpolitikern. Der Organisation LobbyControl reicht die neue Regelung nicht, sagt Christina Deckwirth:
"Wir fordern eine Karenzzeit von drei Jahren, weil nur innerhalb dieser Zeit das Insiderwissen und die politischen Kontakte abkühlen, an Wert verlieren, und politische Abläufe abgeschlossen sind. Und wir sagen, dass die Regelung zu schwach ist, zum Beispiel keine Sanktionen umfasst."
Innenminister de Maiziere von der CDU widerspricht. Das neue Gesetz stelle erstmals sicher, "dass nicht der Verdacht entsteht, dass aus dem Amt ein besonderer Vorteil für das berufliche Fortkommen besteht und das nicht die Beziehungen genutzt werden für eine Folgetätigkeit."
Fragt sich nur, warum Unternehmen und Verbände dann überhaupt Politiker in die eigenen Reihen holen sollten. Geht es nicht gerade um deren Wissen und Kontakte?
"Die gesetzliche Regelung hätten wir schon vor 20 Jahren gebraucht"
"Die reflexhafte Empörung über Wechsel von der Politik in die Wirtschaft kann ich persönlich nicht verstehen", sagt Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag. Es sollten sogar mehr Kollegen wechseln.
"Weil wechselseitig das Verständnis besser wird sowohl von der Politik in puncto Wirtschaft als auch umgekehrt und deshalb ist ein Wechsel grundsätzlich zu begrüßen."
Die Linkspartei rümpft über all diesen Wechselwillen die Nase. Fraktionsvize Dietmar Bartsch:
"Die gesetzliche Regelung hätten wir schon vor 20 Jahren gebraucht. Dass sie erst jetzt kommt ist skandalös, wenn man sieht, wer alles und auf welche Art und Weise gewechselt ist."
Darunter auch der frühere Vorzeige-Grüne Joschka Fischer. Die Grünen heute jedenfalls geben sich auffallend zurückhaltend. Grünen-Fraktionschefin Kathrin Göring-Eckardt.
"Ich glaube, mit 18 Monaten und Einzelfallprüfung wären wir auf der Seite derjenigen, die sagen, man braucht einen Abstand, aber ein Wechsel muss möglich sein und der Abstand muss dazu führen, dass man sein Wissen nicht eins zu eins mitnimmt in ein Unternehmen."
Doch was gar nicht geht – und da sind sich alle einig: Der Seitenwechsel Katherina Reiches – just an jenem Tag, an dem das Bundeskabinett mit seinem Beschluss Wechselwilligen die Karenzzeit vorsetzt.