"Erst nach drei Jahren sind Kontakte abgekühlt"
Weil immer mehr Politiker wie aktuell Katherina Reiche (CDU) in die Wirtschaft wechseln und sich als Lobbyisten betätigen, soll ein neues Gesetz eine Karenzzeit von zwölf Monaten festschreiben. Das sei viel zu kurz, kritisiert Christina Deckwirth von Lobby Control.
Heute will der Bundestag über ein neues Gesetz abstimmen, das für in die Lobbyarbeit wechselnde ehemalige Minister und Staatssekretäre eine Karenzzeit von zwölf Monaten vorsieht. Am Montag hatte die CDU-Politikerin Katherina Reiche, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium ihren Wechsel in die Wirtschaft verkündet. Vor diesem Hintergrund sagte Christina Deckwirth vom Verein Lobby Control, sie begrüße das neue Gesetz und die Tatsache, dass eine unabhängige Ethik-Kommission Einzelfälle überprüfen soll. Zwölf Monate seien jedoch nicht ausreichend, nötig seien drei Jahre betonte die Politikwissenschaftlerin:
"Denn erst nach drei Jahren sind Kontakte abgekühlt, ist das Wissen nicht mehr so relevant, das diese Seitenwechsler besitzen, sind bestimmte politische Verfahren abgeschlossen."
Politiker sind wegen ihres Vorwissens begehrt
Den Verbänden und Unternehmen, die Politiker anwerben, komme es weniger auf deren Fachwissen an als auf deren Vorwissen und deren Möglichkeiten, im neuen Job frühere Kollegen zu beeinflussen. Christina Deckwirth sagte weiter, es spreche generell nichts dagegen, dass ein ehemaliger Politiker einen Job in der Wirtschaft annehme:
"Wir sind nicht völlig dagegen, dass es Wechsel gibt. Wir sind jedoch dagegen, dass es Wechsel in bestimmte Jobs gibt. Was nicht zu unterstützen ist, ist, dass Politiker in Lobbyjobs wechseln."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Vor rund einem Jahr wechselte Ronald Pofalla vom Bundeskanzleramt zur Deutschen Bahn, vorgestern wurde bekannt, dass die CDU-Staatssekretärin Katharina Reiche zum Verband kommunaler Unternehmen wechselt, dort Hauptgeschäftsführerin werden soll. Und immer, wenn es solche Nachrichten gibt, und das ist ja so selten nicht, dann ist die Empörung groß, vor allem auch bei den Parteien, die gerade nicht betroffen sind, und es werden klare gesetzliche Regelungen gefordert. Die Bundesregierung hat die ja auch versprochen, so steht es schon im Koalitionsvertrag. Erst heute aber wird das Kabinett aber voraussichtlich einem Gesetzentwurf zustimmen, der vorsieht, dass es für Minister und Staatssekretäre, die in die Wirtschaft wechseln, eine Karenzzeit von einem Jahr geben soll, in Ausnahmefällen sogar 18 Monaten. Allerdings nur, wenn öffentliche Interessen beeinträchtigt werden. Dann soll eine Ethikkommission beraten und am Ende die Regierung entscheiden. Wir wollen darüber jetzt mit Christina Deckwirth sprechen. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für die Organisation LobbyControl. Guten Morgen, Frau Deckwirth!
Christina Deckwirth: Guten Morgen!
Kassel: Ich frage Sie jetzt nicht, ob Sie mit dem geplanten Gesetz zufrieden sind. Irgendwie kann ich mir denken, was Sie da sagen, deshalb folgende Frage: Ist das, was da jetzt vorgesehen ist, immerhin ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung?
Deckwirth: Auf jeden Fall. Es ist auf jeden Fall gut, dass so ein Gesetz jetzt endlich entstanden ist. Wir fordern ja schon seit Jahren so eine Regelung. Insofern begrüßen wir das erst mal, dass die Bundesregierung da endlich was auf den Tisch gelegt hat.
Kassel: Dann besprechen wir mal die Einzelheiten. Ich stelle mir das so vor: Erst mal muss ja jemand entscheiden, dass die Ethikkommission berät, also es muss der Verdachtsfall da sein, es sind öffentliche Interessen berührt. Dann berät die und entscheidet selber aber ja so richtig nicht. Das klingt doch nach einem relativ komplizierten Verfahren.
Deckwirth: Ja, also wir begrüßen es, dass es dieses Ethikkomitee gibt, dass es nicht allein die Bundesregierung ist, die da über ihre ehemaligen Kollegen entscheidet. Insofern ist so ein Verfahren, was vielleicht erst mal kompliziert klingen mag, doch sinnvoll, dass es hier, wie gesagt, so ein unabhängiges Gremium gibt, das dann eine Entscheidung vorlegt, die dann die Basis ist für die spätere Entscheidung der Bundesregierung.
Ist ein Wechsel in die Wirtschaft grundsätzlich sinnvoll?
Kassel: Aber sind zum Beispiel zwölf Monate, wenn die Entscheidung getroffen wird, es sind öffentliche Interessen berührt, grundsätzlich genug?
Deckwirth: Nein. Wir begrüßen, wie gesagt, dass es so ein Gesetz geben wird, haben aber natürlich unsere Kritikpunkte. Und der erste ist, dass es zu kurz ist. Wir fordern schon seit Jahren, auch gemeinsam zum Beispiel mit Transparency, dass so eine Karenzzeit drei Jahre lang sein sollte, denn erst innerhalb von drei Jahren sind wichtige Kontakte abgekühlt, ist das Wissen nicht mehr so relevant, was diese Seitenwechsler besitzen, sind bestimmte politische Verfahren abgeschlossen. Da reicht ein Jahr auf jeden Fall nicht aus.
Kassel: Jetzt haben Sie das Stichwort genannt, Seitenwechsler. Es wird ja immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft grundsätzlich sinnvoll ist, damit wir keine Berufspolitiker haben, die kaum noch die Realität jenseits ihrer Parlamente kennen. Sinngemäß hat dieses Argument auch jetzt gerade wieder der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, angebracht. Ist denn dieses Argument so falsch?
Deckwirth: Nein, das ist grundsätzlich erst mal nicht falsch. Wir sind ja auch nicht völlig dagegen, dass es Wechsel gibt. Wir sind nur dagegen, dass es Wechsel in bestimmte Jobs gibt. Was wir nicht unterstützen, ist, dass Politiker in Lobby-Jobs wechseln. Die wechseln ja meistens nicht in irgendwelche Jobs in der Wirtschaft, wo sie Personalverantwortung haben zum Beispiel, sondern die wechseln eben in Jobs, wo sie ihr Wissen, das sie in ihrem demokratischen Amt erworben haben, praktisch verkaufen, ihr Wissen über Abläufe, ihr Kontaktnetzwerk. Und das ist problematisch, weil sich da die Politiker dem Verdacht aussetzen, dass sie schon in ihrer Amtszeit vielleicht auf einen bestimmten Lobby-Job geschielt haben und so schon innerhalb ihrer Amtszeit möglicherweise politische Entscheidungen auch danach getroffen haben.
Kassel: Ich finde, manchmal ist das relativ offensichtlich. Geht mir persönlich beim Fall Pofalla so. Aber kann man das immer so genau sagen, dass der neue Job ein Lobby-Job ist?
Deckwirth: Meistens ist es so. Die Politiker wechseln nicht, weil sie bestimmtes Fachwissen haben, sondern sie wechseln eben in Jobs, wo sie ihr politisches Wissen verkaufen können. Insofern ja, wir haben den Fall Pofalla, wir haben den Fall von Klaeden, wir haben den Fall Niebel. All diese Spitzenpolitiker sind in Lobby-Jobs gewechselt, wo sie also wirklich die Funktion haben, die Politik zu beeinflussen, also ihre früheren Kollegen zu beeinflussen. Und das ist eben problematisch.
Das Phänomen "Seitenwechsler" hat in den letzten Jahren zugenommen
Kassel: Ich hab subjektiv das Gefühl, dass solche Fälle zugenommen hätten in letzter Zeit. Ist das einfach nur ein Gefühl, oder können Sie das bestätigen?
Deckwirth: Also, schon aus der Regierung Schröder sind sehr viele Politiker gewechselt. Insofern ist es nicht ein ganz neues Phänomen. Aber wir haben schon beobachtet, dass es anscheinend weniger Hemmungen gibt, solche problematischen Seitenwechsel zu vollziehen, solche Lobby-Jobs anzunehmen. Gleichzeitig gibt es aber schon seit einigen Jahren eine gesellschaftliche Debatte darüber. Es gibt sehr große Empörung, sehr viel Kritik, was natürlich auch jetzt dazu beigetragen hat, dass diese Karenzzeitregelung erarbeitet wurde.
Kassel: Aber hat denn zumindest die Lobby-Aktivität diverser Wirtschaftsverbände zugenommen?
Deckwirth: Ob insgesamt die Lobby-Aktivität zugenommen hat, das ist schwierig zu sagen. Dieses Phänomen Seitenwechsel, diese auch ungute Nähe zwischen Politik und Wirtschaft, das ist sicherlich etwas, was in den letzten vier Jahren zugenommen hat.
Kassel: Man fragt sich ja manchmal – Sie werden verstehen, dass ich jetzt keine Namen als Beispiele nenne – bei manchen Wechseln, na ja, wird sich das jetzt für das ehemalige Unternehmen rechnen – was weiß der schon? Kann man in der Regel sagen, wenn ein Unternehmen sich so einen Politiker holt, dann hat das auch konkrete, aus Sicht des Unternehmens, positive Folgen?
Deckwirth: Ja. Sonst würden die es ja nicht machen. Es ist sehr üblich in Verbänden oder Unternehmen, sich Spitzenpolitiker einzukaufen. Das beobachten wir in sehr vielen Verbänden in Berlin, dass dort dieses politische Fachwissen anscheinend sehr gefragt ist und auch die Kontakte sehr gefragt sind.
Kassel: Nun soll es bei diesem neuen Gesetz nur um Bundesminister und Staatssekretäre gehen, und natürlich ist das auch ein Bundesgesetz, das heißt, das betrifft nicht Landesminister und andere. Im Grunde genommen bräuchten wir doch jetzt anschließend noch 16 Landesgesetze und diverse andere Regelungen. Glauben Sie, dass wir beide in unserem Leben das noch erleben?
Deckwirth: Och, da bin ich durchaus optimistisch. Es gibt Diskussionen auf Landesebene, in Mecklenburg-Vorpommern, in Schleswig-Holstein – in Hamburg haben wir sogar eine Karenzzeitregelung. Insofern bin ich da ganz optimistisch, dass von der Bundesebene das auch ausstrahlen wird auf die Landesebene.
Karenzzeitregelung ist ein wichtiges Signal
Kassel: Glauben Sie denn, dass da ein Mentalitätswechsel durch solche Gesetze kommen könnte auch bei Politikern, aber auch bei Wirtschaftsunternehmen, dahin, das gar nicht mehr machen zu wollen, oder glauben Sie, dass jetzt eher die Suche danach beginnt, wie man solche Regelungen umgehen kann?
Deckwirth: Sicherlich beides. Also so ein Gesetz ist ja immer ein Signal, was Verbänden zu verstehen gibt, wenn ihr so was macht, ist das nicht ganz unproblematisch. Es ist natürlich auch komplizierter geworden, weil jedes Mal geprüft werden muss, ob ein bestimmter Politiker eben unter dieses Karenzzeitregelung fällt. Insofern, natürlich erhoffen wir uns, dass das ganze dadurch komplizierter und damit auch weniger wird.
Kassel: Danke Ihnen sehr! Das war Christina Deckwirth von der Organisation LobbyControl, mit der wir über ein neues Gesetz geredet haben, das heute Thema im Bundeskabinett ist, ein Gesetz, das zumindest auf der Ebene von Bundesministern und Staatssekretären des Bundes regeln soll, unter welchen Umständen und in welchen Zeitfenstern sie noch aus der Politik in die Wirtschaft wechseln dürfen. Frau Deckwirth, vielen Dank und einen schönen Tag noch!
Deckwirth: Ja, vielen Dank!
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