Karfreitag in der Grabeskirche Jerusalem

Von Evelyn Bartolmai |
Im unendlich verschachtelten, jedoch weitgehend offenen Innenraum der Jerusalemer Grabeskirche verschmelzen am Karfreitag die Choräle und Gebete zu einem faszinierenden Klangteppich.
Zu den unumstrittenen Höhepunkten einer Pilgerreise ins Heilige Land gehören im Frühjahr die Osterfeierlichkeiten in Jerusalem. Gläubige aus aller Welt strömen in die Altstadt, um am Karfreitag an der Prozession auf dem traditionellen Kreuzigungsweg Jesu teilzunehmen. Tausende Menschen drängen sich in der engen Via Dolorosa, erst nach Stunden erreichen sie ihr Ziel, die Grabeskirche, die als Ort der Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Christi eine der heiligsten Stätten des Christentums ist.

Die erste Basilika über dem Grab Jesu wurde im Jahre 335 errichtet, die heutige Kirche ist trotz zahlreicher Zerstörungen und Wiederaufbauarbeiten im Wesentlichen mit dem Bau identisch, den die Kreuzfahrer 1149 geweiht hatten. Der Legende nach soll Jesus zur "neunten Stunde" des Tages seinen letzten Seufzer getan haben, und so läuten bis heute am Karfreitag gegen 15 Uhr die riesigen Glocken der Grabeskirche die Gottesdienste ein.

Sechs christliche Gemeinschaften, nämlich Griechisch-Orthodoxe, "Lateiner" genannte römische Katholiken, Armenier, Syrer, Kopten und Abessinier teilen sich zwar die uralte Kirche, sind sich ansonsten jedoch in keiner Weise einig. Und so zelebriert auch jede Glaubensgemeinschaft ihren Gottesdienst für sich und verbreitet alles andere als Ruhe und Andacht.

Das vielstimmige Gebetsmurmeln der Pilger wird von routinierten Ordnungshütern übertönt, grimmige Mönche klopfen mit großen Lanzen den Weg für ihre Würdenträger frei, Priester schütteln prächtige Weihwassergefäße über die dicht gedrängt stehenden Gläubigen, und der Chor der Griechen singt unermüdlich gegen die mächtige Orgel der Lateiner an.

Wer sich nicht schon ganz früh am Morgen einen Platz in der Kapelle seiner Glaubensgemeinschaft gesichert hat, muss sich optisch mit dem begnügen, was gerade an ihm vorbei drängt, aber im unendlich verschachtelten, jedoch weitgehend offenen Innenraum verschmelzen die Choräle und Gebete zu einem faszinierenden Klangteppich. Eine Karfreitags-Impression aus der Jerusalemer Grabeskirche.