Karikatur

Provokant, aber künstlerisch arm

Titelblatt der "Charlie-Hebdo"-Ausgabe vom 25.02.2015
Titelblatt der "Charlie-Hebdo"-Ausgabe vom 25.02.2015 © afp / Kenzo Tribouillard
Von Rolf Schneider |
Die Printmedien befinden sich in der Krise. Und auch der politischen Karikatur geht es nicht gut, sagt Rolf Schneider. Die Zeichnungen zum Tagesgeschehen erschließen sich nicht – oder nur mit Erklärung. Und Talent, so der Schriftsteller, ist unter Karikaturisten rar gesäht.
Seit dem Terroristenattentat auf das Pariser Satire-Magazin "Charlie Hebdo" ist die politische Karikatur im Gespräch. Man redet darüber, ob es opportun, geschmackvoll oder unabdingbar sei, Jesus, Mohammed und Buddha beispielweise als Hunde darzustellen. Es geht um die Möglichkeiten und Grenzen der Karikatur. Um ihre Ästhetik geht es nicht.
Ich besitze kein Exemplar der in Millionenauflage vertriebenen Charlie-Hebdo-Ausgabe. Ich kenne bloß die Zeichnung auf dem Titelblatt, mit dem weinenden Mohammed, und Beispiele aus früheren Ausgaben. Der Strich der Zeichnungen ist einfach, fast lieblos, immer geht es um den provokanten Inhalt, die äußere Form wird vernachlässigt.
Politische Karikaturen gehören zu unserer publizistischen Praxis wie der Leitartikel, die Nachrichtengeschichte, die Schlagzeile und die Glosse. Ihr gewöhnliches Schicksal ist die Vergänglichkeit. Nichts sei älter als die Tageszeitung von gestern, heißt es, was alles einbegreift: Texte und Anzeigen ebenso wie Bilder. Die politische Karikatur ist demnach Wegwerfware und einer ästhetischen Betrachtung nicht wert.
Oder doch? Gewissenhafte Journalisten mobilisieren, ungeachtet des drohenden Verfallsdatums, ihren stilistischen Ehrgeiz. In seltenen Glücksfällen können sie die Halbwertzeit ihrer Texte besiegen. Mit der politischen Karikatur verhält es sich ähnlich.
Bescheidene Zeichenkunst stimmt melancholisch
Deren Ahnenreihe ist übrigens lang. Sie beginnt mit den aufmüpfigen Flugblättern der vorbürgerlichen Zeitalter und findet mit Künstlern wie George Cruikshank und Honoré Daumier Eingang in die Kunstgeschichte. Wer in Sammelbänden mit Zeichnungen aus dem legendären "Simplicissimus" blättert, kann erkennen, wie hier längst verblasste Tagesaktualitäten überleben, da der souveräne Strich von Gulbransson oder Thomas Theodor Heine sie veredelte.
Dies bedacht, stimmt nicht nur die bescheidene Zeichenkunst der Charlie-Hebdo-Mitarbeiter melancholisch, sondern auch das allermeiste dessen, was deutsche Tageblätter drucken.
In guter Honoré-Daumier-Tradition treten dort gerne prominente Politiker auf. Häufig müssen erst Auf- oder Unterschrift deutlich machen, wer gemeint ist, die Zeichnung erschließt es nicht. Ich muss da an den Chefkarikaturisten des früheren SED-Blatt "Neues Deutschland" denken, dem es in jahrelanger Praxis niemals gelang, Konrad Adenauer auch nur annähernd zu treffen.
Heute pflegen manche Zeichner eine sonderbare Vorliebe für überdimensionierte Nasen. Ich vermute, hierbei handelt es sich um Nachwirkungen des verstorbenen Zeichners Loriot, dessen Markenzeichen die Knollennase war. Immerhin vermochte er, trotz Knollennase, Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß wiedererkennbar darzustellen. Die heutigen Nasenfetischisten benötigen Sprechblasen oder Bildlegenden, um die Identität der von ihnen gemeinten Personen zu bestimmen.
Die Printmedien, wie man weiß, befinden sich in der Krise. Die politische Karikatur ist davon mitbetroffen. Deren Schöpfer sollten darüber nachdenken, inwieweit sie an dieser Krise aktiven Anteil haben.
Rolf Schneider stammt aus Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und wurde dann freier Schriftsteller. Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.
Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer"
Der Schriftsteller Rolf Schneider© picture alliance / dpa / Klaus Franke
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