"Charlie Hebdo" geißelt jetzt auch online
Vier Museen und Galerien für komische Kunst präsentieren eine Ausstellung mit drastischen Karikaturen aus der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" - im Internet. Die digitale Schau zeigt das im Januar so schwer getroffene Blatt in der französischen Tradition des Antiklerikalismus.
Selbst in "Charlie Hebdo" sind es nicht immer die Karikaturen, die als erstes im Gedächtnis bleiben. In der heute online gestellten Internet-Ausstellung ist es ein Text, der bei mir hängenbleibt, als ich die Seiten im Internet wieder verlasse. Er trägt den Titel "Das Ende der Eurozone". Es geht um Griechenland. Zu lesen sind dort Sätze wie: "Die Finanzmärkte warten nur darauf, die mit dem Bankrott Griechenlands einhergehenden Profite einzukassieren. In Kürze wird die Eurozone explodieren." Geschrieben ist er von Bernard Maris in der Charlie Hebdo-Ausgabe vom 20. Juli 2011 – also vor fast genau vier Jahren.
In Sachen Griechenland scheint sich somit seit Jahren nicht viel geändert zu haben, in Sachen "Charlie Hebdo" bekanntlich fast alles. Nach dem Terroranschlag am 7. Januar 2015 mit dem Tod von 12 Menschen war es für die Zeitung extrem schwer, weiterzumachen. Heute erscheint "Charlie Hebdo" wieder regelmäßig und ist auch an deutschen Kiosken zu kaufen. Die Zeitung mischt sich wieder mit Verve in aktuelle Konflikte ein – geißelt etwa bitterböse die europäische Flüchtlingspolitik.
Die Karikatur-Museen in Deutschland und der Schweiz brauchten ein knappes halbes Jahr, um die Internet-Ausstellung zu organisieren. Martin Sonntag, Leiter der "Caricatura – Galerie für Komische Kunst" in Kassel erklärt, warum es so lange dauerte:
"Dafür gibt es zwei Gründe. Uns war es wichtig, dass wir da in Abstimmung und in Kooperation mit der Redaktion von Charlie Hebdo die Ausstellung organisieren wollten. Und da war, wie man sich vorstellen kann, gerade in der Zeit nach den Anschlägen sehr viel los und in Bewegung und da haben sich ein paar Sachen auch hingezogen. Was wir im Prinzip auch nicht schlimm fanden, das man so aus einer gewissen Distanz hinaus die Sache nochmal betrachtet."
Die Internet-Ausstellung zeigt nun beinahe mit einer pädagogischen Geste, dass "Charlie Hebdo" in der langen Tradition des französischen aufklärerischen, antiklerikalen und vor allem laizistischen Denkens steht. Das französische Satireblatt richtet sich nicht gegen eine bestimmte Religion, sondern spießt religiöse Intoleranz überall auf, wo man sie wittert. Gisela Vetter-Liebenow ist Direktorin des Museums Wilhelm Busch in Hannover, das am Internet-Projekt zu "Charlie Hebdo" beteiligt ist:
"Dann kann man verstehen, dass diese Karikaturen zu kritisieren versuchen, was im Namen einer Religion auch durchaus an Unheil angerichtet wird. Und das betrifft keineswegs nur den Islam, das betrifft auch das Christentum."
Ein Lehrer befördert mit einem Fußtritt ein Kreuz aus der Schule, an dem Christus große Augen macht. "3000 Jahre, die Du sitzenbleibst". Das ruft der Lehrer hinterher. Dass ein solch drastisches Eintreten für die klare Trennung von Staat und Kirche nicht allen religiösen Menschen gefallen dürfte, ist klar. Doch das ist eben eine Satire, die den französischen Laizismus konsequent spiegelt.
Ist es aber nicht ein wenig feige, eine "Charlie Hebdo"- Ausstellung im Internet zu präsentieren, während fast gleichzeitig in Hanau eine Mohammed-Karikatur von Greser & Lenz unter erhöhtem Polizeischutz in einem nicht-virtuellem Ausstellungsraum gezeigt wird? Martin Sonntag von der "Caricatura – Galerie für Komische Kunst" in Kassel:
"Wir sehen das eher pragmatisch. Interessant an der Geschichte ist, dass erstmals alle Häuser aus dem deutschsprachigen Raum wirklich an einer Geschichte zusammenarbeiten. Wir haben natürlich auch diskutiert, ob man das in eine klassische Ausstellung überführt. Dann haben wir aber wieder das Problem, wo fängt man an, was sind die Stationen. Dann haben wir entschieden, wir machen es online, die Geschichte."
Das hat den eindeutigen Vorteil, dass wir uns alle sofort und kostenlos eine ordentliche Portion "Charlie-Hebdo-Zeichnungen" im Netz abholen können. Dazu eben auch ins Deutsche übersetzte Texte, wie den zur Griechenlandkrise aus dem Jahre 2011. Mit deftigen Sätzen wie diesen: "Niemand ist imstande den Märkten die Ohrfeige zu verpassen, die sie verdienen." Wie es der französische Präsident Vincent Auriol 1936 getan habe mit dem Ausruf: "Die Banken, die schließe ich, die Bankiers, die sperre ich ein". Frankreich sei ob dieser mutigen Entscheidung nicht zugrunde gegangen, im Gegenteil, merkt der Charlie-Hebdo-Autor an. Auch nicht an De Gaulles Äußerung im Jahre 1945:
"Das Kreditsystem muss der Nation gehören."
Nun, das Kreditsystem gehört wohl bis heute nicht der Nation, aber "Charlie Hebdo" gehört weiter dem satirebegeisterten Volk. Seit heute im Internet auch ein bisschen mehr den deutschsprachigen Völkern.