Karikaturist Anton Tschadskij

Ein Zeichner zwischen den Fronten des Propagandakriegs

Von Florian Kellermann · 05.10.2015
Eine Persiflage des typischen Russen, das ist der "Wattnik". Damit wollte Karikaturist Anton Tschadskij seinen russischen Mitbürgern den Spiegel vorhalten. Doch in der Ukraine ist der Wattnik nun zum Schimpfwort für alle Russen mutiert und der Zeichner zwischen die Fronten geraten.
Er ist ein kleines, quadratisches Männchen, grau, extrem hässlich, extrem boshaft. Jacke und Hose sind geflickt, das linke Auge stets violett angeschwollen, die Nase säuferrot.
So kommt er daher, der Wattnik, eine Karikatur des typischen Russen. Nicht gerade schmeichelhaft, räumt der Schöpfer Anton Tschadskij ein.
"Es tut mir leid, dass das viele Russen nicht verstehen: Ich will sie mit dem Wattnik nicht beleidigen. Ich will der Gesellschaft nur zeigen, woran es ihr mangelt. Aber die Gesellschaft ist eben auch überhaupt nicht bereit zur Selbstironie, anders als in Europa oder in Amerika. Jede Kritik nehmen Russen gleich als Beleidigung."
Ein drastisches Beispiel: Der Wattnik steht auf einem Haufen Hundekot. Ein goldenes Kreuz hängt ihm um den Hals. Er reckt die russische Fahne hoch und verkündet: "Der Westen ist nichts als seelenlos, homoverseucht und pervers." Diese Karikatur entspricht dem Zerrbild, das russische Medien vom Westen zeichnen, sagt Anton.
"Das verändert auch die Menschen. Ich rede heute kein Wort mehr mit meinem ehemals besten Freund. Er war noch vor zwei, drei Jahren völlig in Ordnung. Heute gibt er sich als extremer Feind der USA und des westlichen Europas. Wie der Wattnik denken heute die meisten meiner Bekannten, mit wenigen Ausnahmen."
Die populären Wattejacken waren Namensgeber
Das Ordinäre steckt beim "Wattnik" schon im Namen: Er hat ihn von den früher in Russland so populären Wattejacken.
Auch in kleinen Trickfilmen tritt die Figur auf, die inzwischen jedes Kind kennt, in Russland wie in der Ukraine. Wie in diesem Film: Am 9. Mai, dem Siegestag, trinkt er auf einer Parkbank Wodka, stößt unter Flüchen auf die Kriegshelden an, auf das Vaterland, auf Stalin, bis er kraftlos auf den Boden sinkt und sich übergibt.
Diese Wattnik-Darstellung stammt nicht von Anton, wie inzwischen so viele. Aber das ist dem 29-jährigen Karikaturisten egal, er hält nichts vom Urheberrecht.
"Es wird ohnehin mit jeder Woche schwieriger, sich Geschichten zu überlegen. Denn die Entscheidungen der Regierung, die Gesetze des Parlaments sind inzwischen so bizarr, dass sie dem Wattnik Konkurrenz machen. Vor einem Jahr haben wir gewitzelt, dass die Polizei von Haus zu Haus geht und Lebensmittel sucht. Jetzt gibt es tatsächlich Patrouillen, die nach illegal importierten Lebensmitteln suchen, wenn auch in Läden. Das ist schon fast unheimlich."
Weil die meisten Russen das hinnehmen oder sogar gutheißen, wird der Wattnik ein immer böserer Zeitgenosse.
Weil er die Krim-Annexion verurteilte, wurde er entlassen
Das hat sicher auch etwas mit Anton Tschadskijs persönlichen Erlebnissen zu tun. Bis vor zwei Jahren war er Angestellter in der Stadtverwaltung von Noworossiysk - als Finanzbeamter. Dort, auf der russischen Seite des Schwarzen Meeres, fühlte er sich eigentlich wohl. Die Hassbriefe, die er wegen seines Hobbys, des Wattniks, bekam, kümmerten ihn nicht so sehr.
Als Anton aber auch noch die russische Annexion der Krim verurteilte, wurde es ernst. Die Stadtverwaltung entließ ihn, der Geheimdienst FSB begann sich für ihn zu interessieren. Er verhörte zuerst die Eltern, inzwischen durchsuchte er auch die Wohnung von Freunden. Der Hobbyzeichner zog erst nach Kaliningrad um - und dann nach Kiew, in die Ukraine.
Der russische Karikaturist Anton Tschadskij.
Der russische Karikaturist Anton Tschadskij in Kiew.© Deutschlandradio - Florian Kellermann
An einem der vielen mobilen Kaffeestände der Stadt kauft sich Anton einen Espresso zum Mitnehmen. Er setzt sich nicht gerne hin, er bleibt lieber in Bewegung. Hat er Angst?
"Ich bekomme auch hier Drohungen, diesmal von ukrainischen Nationalisten. Die haben mich hier zuerst begeistert aufgenommen. Aber dann habe ich sie dafür kritisiert, dass sie nicht in die EU wollen, dass sie im Sommer eine Schwulenparade in Kiew angegriffen haben. Aber gerade dadurch, wie sich eine Gesellschaft gegenüber Minderheiten verhält, zeigt sich doch, wie hoch entwickelt sie ist."
Russland droht Anton nur indirekt: Von Bekannten, die verhört wurden, hat er erfahren, dass er nach einer Rückkehr in sein Heimatland wohl sofort angeklagt würde. "Anstachelung zum Völkerhass" lautet der Vorwurf.
Auch propagandistisch versuchen die Strategen in Moskau, ihm etwas entgegenzusetzen, sagt Anton:
"Russische Staatsorgane haben versucht, dem Wattnik einen anderen Sinn zu geben. Sie haben Zeichnungen in Umlauf gebracht, die ihn als positiven Charakter darstellen. Sie sind davon ausgegangen, dass doch auch die Soldaten der Roten Armee in Wattejacken kämpften. "
Der Erfolg dieser Aktion war bescheiden. Zu sehr ist der Begriff "Wattnik" schon zu einem - zumindest in der Ukraine - allgemein gebräuchlichen Schimpfwort für einen Russen geworden.
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