Videokünstlerin Karimah Ashadu

Die Wahrheit hinter den Fassaden

05:14 Minuten
Karimah Ashadu steht auf einem Schrottplatz.
Für die einen ein Schrottplatz, für Karimah Ashadu eine eigene Lebenswelt: „Die Wahrheit“, sagt Ashadu, „liegt in den inoffiziellen Strukturen“. © Axel Schröder
Von Axel Schröder |
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Die Künstlerin Karimah Ashadu ist in London geboren, lebte in Lagos und nun in Hamburg. In ihren Filmen zeigt Karimah Ashadu den Kampf der Menschen um ein unabhängiges Leben. Dafür wird sie jetzt in Bremen ausgezeichnet.
Hochgewachsene Eichen und Sumpfzypressen, Weiden, Kastanien und Ahornbäume schirmen den kleinen Park am Weiher vom Autolärm ab. Stockenten und Blesshühner paddeln gemütlich durch das Wasser.
Den Treffpunkt mitten in Hamburg-Eimsbüttel hat Karimah Ashadu ausgewählt, sie wohnt gleich um die Ecke: „Das ist wirklich bezaubernd, oder? Wunderschön. Wie ein versteckter Schatz. Mit diesem See! Ich komme oft her, wenn ich spazieren und nachdenken will, um runterzukommen in der Natur. Alles auf Null zu stellen. Das beruhigt mich. Und dann kann’s weitergehen!“

„Meine Filme sind eine Art Malerei"

Karimah Ashadu ist 36 Jahre alt und wurde in London geboren. Sie hat einen Teil ihrer Kindheit und Jugend in Lagos, in Nigeria verbracht, dann in London und Amsterdam Kunst und Räumliche Gestaltung studiert. Sie konzentrierte sich auf die Malerei, um dann zu merken, dass sie ein anderes, ein schnelleres Medium braucht.
„Ich brauche etwas, das schnell funktioniert. Und Film ist da klasse: Ich greife mir meine Kamera und sofort kann ich losgehen! Dann ging es weiter. Ich habe zwar die Praxis der Malerei verloren, aber die Essenz ist immer noch da. Meine Filme sind eine Art Malerei. Die Farben sind wichtig, die Stimmung und Atmosphäre. Ich glaube, das kommt schon noch immer durch.“

Überreste eines florierenden Wirtschaftszweigs

Ihre Filme liefen im New Yorker Museum of Modern Art, in der Londoner Tate-Gallery oder der Wiener Secession, im Hamburger Kunstverein oder, wie jetzt gerade, in der Bremer Kunsthalle. Oft eingerahmt von thematisch dazu passenden skulpturalen Werken.
Letztes Jahr feierte „Plateau“ Premiere: Karimah Ashadus Blick auf verfallene nigerianische Zinnminen. Entstanden unter britischer Kolonialherrschaft, verdienen die Menschen in Nigeria heute ihr Geld mit den verbliebenen Zinnvorkommen, mit den Überresten des einst florierenden Wirtschaftszweigs.
Mit ihrem unaufgeregten, dokumentarischen Blick zeigt Karimah Ashadu die oft harte Arbeit der Menschen, ihren Kampf um ein unabhängiges Leben. Nicht nur in Nigeria, sondern auch in Hamburg.

"Worauf warten sie?"

Mit dem Auto fahren wir in die Billstraße. Hier entstand „Brown Gold“, ihr Film über die Arbeit, das Geschäftsmodell eines jungen Nigerianers, von Emeka. In die Billstraße verirren sich die wenigsten Hamburgerinnen und Hamburger. Eine Parallelwelt zwischen Industrieanlagen und Kanälen, nicht weit entfernt von den feinen Shoppingmeilen in der Innenstadt.

Am 18. Oktober 2022 wird in Bremen zum 48. Mal der Kunstpreis der Böttcherstraße, ein Preis der Kunsthalle Bremen verliehen. Neun junge Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt waren nominiert und haben ihre Werke in der Bremer Kunsthalle ausgestellt.

Karimah Ashadu wird für ihren Film Film „Cowboy“ ausgezeichnet: die Nahaufnahme eines jungen Nigerianers, seiner Liebe, seiner Verbundenheit mit den Pferden. Ein Zehnminuten-Ausschnitt, ein Einblick in eine ferne Welt. Der Preis ist mit 30.000 Euro dotiert.

„Man kommt in die Billstraße und überall steht Ware rum, die aussieht, als wäre es Schrott. Alte Kühlschränke. Es sieht aus wie Müll. Und jede Menge Menschen, People of Colour lungern herum und man fragt sich: worauf warten sie? Aber überall laufen die Geschäfte und man fragt sich: wo werden all diese Dinge einmal landen? Die Menschen sind ungeduldig, schauen auf die Uhr. Zeit ist Geld! Es ist unglaublich viel los! Und ich denke, hier geht jeden Tag eine Menge Geld rein und wieder raus. Jeden Tag aufs Neue!“

Leben zwischen Sofas, Lampen, Autobatterien

Aus dem Zugfenster war ihr die Gegend aufgefallen. Drei Monate war Karimah Ashadu danach in der Billstraße unterwegs, hat in den Läden voller alter Kühlschränke, zwischen Bergen von abgefahrenen Autoreifen und ramponierten Autos mit den Menschen gesprochen, die hier ihr Geld verdienen.
Mit dem Einsammeln von ausrangierten Sofas, Lampen oder Autobatterien und dem Export in Länder wie Nigeria. Emeka, ein studierter Nigerianer, war der einzige, der sich am Ende getraut hat, vor ihrer Kamera zu stehen. Darüber zu sprechen, wie er sich selbständig gemacht hat, über die Vorurteile, mit denen er wegen seines Geschäftsmodells zu kämpfen hat.

Die Grundlagen von Selbstorganisation

„Das fasziniert mich! Wir sollten das, was wir in den Nachrichten sehen, die offiziellen Darstellungen nicht als Evangelium ansehen. Die Wahrheit liegt in diesen inoffiziellen Strukturen. Und man kann dabei eine Menge über eine Gesellschaft oder andere Menschen lernen! Mich interessieren einfach die Essenz und die Grundlagen von Selbstorganisation und Unabhängigkeit.“
Auf eine Kritik an prekärer Arbeit oder postkolonialen Wirtschaftsformen komme es in ihren Arbeiten nicht an, erzählt Karimah Ashadu vor den mit Waren vollgestopften Läden. Sie bilde diese Strukturen, die Verhältnisse nur ab.
Ab und zu verwandelt die Künstlerin die Gegenstände, die sie findet, alte Autofrontscheiben oder Auspuffanlagen, in Kunstobjekte. Vor einem riesigen Emaillekübel bleibt sie stehen, wischt mit dem Finger über die verrußte Unterseite. „Gib mir ein paar Stunden in meinem Atelier, ein paar andere Materialien und ich mache daraus etwas wirklich Schönes!“

Genau hinsehen, ohne ein Urteil zu fällen

Die Idee ihrer Arbeit und ihrer Filme sei ganz einfach, sagt Karimah Ashadu. Sie beobachtet die Menschen, schaut genau hin, ohne ein Urteil zu fällen. Es geht um das Entdecken, um das Offenlegen. In Nigeria, in Lagos oder in Hamburg, wo so viele Welten aufeinandertreffen.
„Hamburg ist wirklich sehr spannend! Es ist nicht zu groß und nicht zu klein und es hat so viele unterschiedliche Gesichter. Und ich habe sie noch längst nicht alle gesehen und verarbeitet.“ Und deshalb bleibt die Hansestadt erstmal ihr Zuhause.

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