Karin Leukefeld: "Syrien zwischen Schatten und Licht. Menschen erzählen von ihrem zerrissenen Land"
Rotpunkt Verlag, Zürich 2016
336 Seiten, 24,00 Euro
Geplatzter Traum von einer arabischen Republik
Bürgerkrieg und Chaos könnten Syrien völlig zerreißen – nach 100 Jahren, die mit dem Traum von einer Vereinigten Arabischen Republik, einem Großsyrien, begannen. Das ist das Fazit von Karin Leukefeld in "Syrien zwischen Schatten und Licht".
Die psychische Genesung der Syrer werde dauern. Ein Jahr Krise fordere drei Jahre Behandlung. Nach fünf Jahren bräuchte es also schon mal 15 Jahre. So rechnet ein 28-jähriger Damaszener die Aussichten des Landes vor.
Er fürchtet, dass Syrien längst nicht nur politisch, sondern dauerhaft geografisch gespalten sei – durch verfeindete Volksgruppen, durch Regional- und Großmächte. Einen Wiederaufbau nach dem Chaos, so prophezeit er, würden die Frauen leisten müssen, weil die Männer tot, im Gefängnis oder außer Landes seien.
Nicht nur mit jungen Leuten, auch mit älteren aus alteingesessen, politisch engagierten Familien hat Karin Leukefeld bis in den Sommer 2015 hinein gesprochen.
Großmächte entließen Nahen Osten nur in Nationalstaaten
Sie erinnerten sich an eine Region ohne Grenzen, wo sie mühelos zwischen Damaskus, Bagdad, Beirut oder Bethlehem hin- und herreisen konnten, damals als säkulare Nationalisten für eine Vereinigte Arabische Republik kämpften – erst unter osmanischer, dann französischer und britischer Besatzung. Sie sollte den "fruchtbaren Halbmond" beschreiben vom Nildelta bis zum Schatt al-Arab.
Den Traum ließen die Großmächte nicht zu. Sie entließen den Nahen Osten nach dem Zweiten Weltkrieg nur in die Unabhängigkeit einzelner Nationalstaaten wie Irak und Syrien. Dort gelangte zwar schließlich die Baath-Partei an die Macht.
Aber die Konflikte blieben. Von außen wirkte der "Kalte Krieg". Und von innen die Gegensätze zwischen Stadt und Land, zwischen westlich orientierten Intellektuellen, einer Mittelschicht und Händlerklasse sowie religiös geprägten Bauern und Beduinen, zwischen Regierung, moderatem Islam und Muslimbruderschaft.
Bashar al-Assad als Getriebener
Beide Präsidenten, der Vater Hafiz al-Assad ab 1971 und der Sohn Bashar ab 2000, erscheinen bei Karin Leukefeld mit einem doppelten Gesicht: einerseits fortschrittlich um alle Teile der Gesellschaft werbend, andererseits hart und autokratisch im Umgang mit ihren Gegnern, gestützt auf Militär und Geheimdienste.
Auch Bashar al-Assad billigt sie zu, dass die Proteste in Zeiten des "Arabischen Frühling" nicht in einen brutalen Bürgerkrieg hätten eskalieren müssen, wären oppositionelle Gruppen auf seine Angebote eingegangen. Sie sieht den Diktator so, wie sich Syrer und Araber gern selbst sehen, als Getriebener, wenn nicht Opfer des Auslands und der Geopolitik.