Karina Canellakis debütiert beim DSO Berlin

Um sie reißen sich alle Orchester

06:19 Minuten
Die New Yorker Geigerin und Dirigentin Karina Canellakis
Die New Yorker Geigerin und Dirigentin Karina Canellakis © Todd Rosenberg/Askonas Holt
Von Volker Michael |
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Sie ist ein Shooting-Star der internationalen Musikszene - die New Yorker Dirigentin Karina Canellakis. Dieser Tage gibt sie ihr Debüt beim DSO Berlin. Den Saal kennt sie schon, auch einige Musiker, denn sie war Akademistin der Berliner Philharmoniker.
Schon oft hat sie auf der Bühne der Philharmonie Berlin gesessen, als Geigerin im Orchester. Als Akademistin oder auch als Aushilfe beim DSO zum Beispiel. Die Enddreißigerin wird ab der kommenden Spielzeit Erste Gastdirigentin des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin werden - und in Amsterdam übernimmt sie sogar die Künstlerische Leitung des Niederländischen Radioorchesters.

Wie im Wirbelwind

Sie kennt sich aus in Europa, nicht zuletzt in Berlin. Ein bisschen neu ist aber immer noch das Gefühl, dass sich die Orchester allerorten geradezu um sie reißen. Warum das so ist, diese Frage beantwortet sie mit einem kraftvollen Lachen.
"Ich weiß es nicht, ich bin immer noch in einer Art Wirbelwind, der entsteht, wenn ich ein derartig überraschend positives Feedback von einem Orchester bekomme. Ein wundervolles Gefühl! Vor allem wenn ich eine Woche hart und detailliert gearbeitet habe. Und vorher stundenlang mich vorbereitet und darüber nachgedacht habe und auch davon geträumt! Wenn einige Takte einer Sinfonie mich schlaflos gelassen haben und wenn dann die Reaktion des Orchesters so wohlwollend ist! Nur darauf kommt es mir an, und das macht mich glücklich!"

Dirigieren als Kunstform

Es ist schon etwas Besonderes, dass eine Dirigentin voll und ganz mit den Kolleginnen und Kollegen im Orchester eins ist. In letzter Zeit wurde viel über die alten Männer geklagt, die sich wie Diktatoren aufführen. Karina Canellakis ist eine recht junge Frau, die es auf jeden Fall anders machen will. Ihr Vater ist auch Dirigent, ihre Mutter Pianistin. Ihr jüngerer Bruder Cellist. Griechisch-Russisch ist die Familiengeschichte geprägt. Das Ziel Dirigentin zu werden hat sie nicht verfolgt, der Beruf, nein, diese Kunstform hat sie eher eingeholt.
"Ich erinnere mich an einige Momente hier in der Berliner Philharmonie, auf derselben Bühne. Da gab es Dirigenten, die mir – OK! - nicht direkt das Gefühl gegeben haben, dass ich auch dirigieren müsste: Aber ich fand es beeindruckend und verführerisch, dass sie ein Werk so verinnerlicht hatten: Die Musik schien aus ihren Poren, ihrer Haut, ihrem Körper zu strömen. Ich denke an meine allererste Woche in der Akademie der Philharmoniker. Seiji Ozawa dirigierte die zehnte Sinfonie von Schostakowitsch. Der Klang schien mir damals aus dem Boden zu kommen, vom Mittelpunkt der Erde. Wie Ozawa dieses riesige Orchesterschiff geleitet hat, hat mich fasziniert. Damals hat das Ganze begonnen. Ich konnte danach kaum schlafen, weil ich nicht abwarten konnte, was der Dirigent am nächsten Tag machen würde. Das sind meine frühesten Erinnerungen an diese Erlebnisse mit dieser Kunstform, der Dirigierkunst."

Sprung ins Kalte Wasser

In ihrer Heimatstadt New York studierte Karina Canellakis bald nach ihren Berliner Erfahrungen Dirigieren - an der Juilliard School. Sie begann als Assistentin zu arbeiten – und dann kam eines Tages in Dallas der berühmte Sprung ins Kalte Wasser. Sie musste innerhalb weniger Stunden für Jaap van Zweden einspringen, in der achten Sinfonie von Dmitrij Schostakowitsch.
"Es war ein völlig ausverkauftes Samstagabendkonzert. Ich musste einfach auf die Bühne gehen und das machen. Das war ein enorm wichtiger Moment. Dem Orchester fühle ich mich auf ewig verbunden, sie haben mir so geholfen! Das hat mir auch gezeigt, dass ich so etwas KANN. Das Konzert von Anfang bis Ende gestalten, und es hat auch Spaß gemacht. Bis dahin habe ich mich immer als Geigerin gefühlt. Ab diesem Abend war das anders. Das Stück ist so monumental. Schostakowitsch wird für mich immer ganz wichtig bleiben."

Wer geht mit Karina essen?

Karina Canellakis kennt beide Systeme – wie klassische Musik in den USA organisiert ist, überwiegend privat, und in Europa überwiegend staatlich gefördert. Der Austausch sei heute viel größer über den Atlantik, in beide Richtungen. Sie kann beiden Systemen etwas abgewinnen. Auch der starken Rolle von Privatleuten in den USA, mit denen eine Dirigentin auch mal essen gehen muss.
"Die Beziehung des Dirigenten zu den Leuten, die das Orchester finanzieren, ist entscheidend. Der Dirigent muss nicht nur mit ihnen essen gehen, sondern die Mitglieder des Boards müssen quasi seine Freunde sein. Die sorgen für das Überleben des Orchesters. Weil sie daran glauben, spenden sie ihr hart verdientes Geld. Weil sie das Orchester lieben. Mit meinem Orchester in Amsterdam ist das ganz anders. Das wird von der Regierung unterstützt. Da geht keiner essen mit mir, außer vielleicht der Konzertmeister."
Für ihr Debüt beim DSO Berlin am letzten Märzwochenende hat sie sich drei harte Brocken des Repertoires ausgesucht. Eine gruselige Märchendichtung von Antonin Dvorak, die Mittagshexe, das schwebend-utopische Violinkonzert von György Ligeti mit dem Solisten Pekka Kuusisto. Und Bela Bartoks tieftrauriges und zugleich energiegeladenes Konzert für Orchester. Es ist zu erwarten, dass die Menschen im Saal und auf der Bühne begeistert sein werden von der Dirigentin Karina Canellakis - und viele werden hinterher mit ihr essen gehen wollen.
Wir senden die Aufnahme dieses Konzerts am Dienstag, den 2. April um 20.03 Uhr.
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