"Karl der Große. Der heilige Barbar" von Stefan Weinfurter
Piper Verlag, 352 Seiten, 22,99 Euro
Kurz und kritisch
Karl der Große in zwei Biografien: Einmal wissenschaftlich, einmal eher unterhaltsam. Beide versuchen dem heutigen Leser den berühmten Kaiser näher zu bringen.
War Karl der Große wirklich ein Leuchtturm Europas, ein hell strahlender Gigant, ein Wissensförderer und Gründer des christlichen Abendlandes - edel, barmherzig, siegreich und gerecht? Oder war er vielmehr ein Macht versessener Potentat, der keinen Widerstand duldete, Sachsen, Awaren und Langobarden niedermetzelte, weder Frauen noch Kinder verschonte?
Der Mediävist Stefan Weinfurter stellt diese Frage unter dem für einen Fernsehmehrteiler tauglichen Titel "Karl der Große. Der heilige Barbar". Die Forschung sei sich uneins, meint Weinfurter, es scheine jedoch, als schwinde das Ansehen des Frankenkaisers mit dem Ansehen Europas. Der heutige Blick auf Karl den Großen hänge maßgeblich von unserem Wertekanon ab.
Im Übrigen sei das Mittelalter zwar sehr weit entfernt, aber gar nicht so anders gewesen als unsere gegenwärtige Welt. Auch damals wollten die Menschen in Frieden leben, mussten flexibel sein angesichts einer ständig sich verändernden Welt. Mit diesem Blick auf das achte und neunte Jahrhundert erzählt Stefan Weinfurter klug und differenziert von Karls Aufstieg zum Kaiser, von seinen Kriegen, seinem Herrschaftssystem und seinem Hofstaat.
In all seinem Trachten sieht Weinfurter bei Karl dem Großen ein fortwährendes Streben nach Eindeutigkeit - in der Sprache, der Religion, in der politischen und kirchlichen Ordnung. Mit diesem Programm wollte er sein Reich, seinen Machtapparat, das Bildungswesen reformieren und strukturieren, alles Unbestimmte beseitigen, wobei die Deutungshoheit über das eindeutig Richtige, einzig Wahre natürlich stets bei Karl dem Großen lag. So gelingen Stefan Weinfurter überzeugende Ansichten eines Herrschers, der im Spannungsfeld von Ideal und Wirklichkeit seine Entscheidungen treffen musste.
Als "Patriarch", als "vitale Kampfnatur", selbst als "Frauenschwarm" und "Filou" muss sich der "mächtigste Herrscher des Mittelalters" in Karin Schneider-Ferbers Biografie bezeichnen lassen. In einem Prolog fühlt sich die Autorin erstmal hinein in den fränkischen Kaiser.
Dem armen Karl falle das Reiten schwer, er leide unter Appetitlosigkeit, selbst das "behagliche Familienleben" in seiner ausgebauten Residenz in Aachen könne er kaum noch genießen, berichtet Schneider-Ferber im Präsens, als sei sie vor 1200 Jahren beim nahenden Ende des kaiserlichen Lebens höchstselbst zugegen gewesen.
Das Faktenmaterial, das die Historikerin und Journalistin zusammenträgt, um das Leben und Wirken Karls des Großen in chronologischer Form darzustellen, ist bekannt. Wissenskästchen liefern Exkurse über die Sachsenkriege, die Langobarden, Einhard oder Alkuin. Interessante Details liefert Karin Schneider-Ferber, wenn sie den materiellen und logistischen Aufwand beschreibt, der zur Zeit Karls des Großen notwendig war, um ein Heer aufzustellen.
Sprachlich gerät sie hingegen immer wieder in seichte Gewässer, das Vokabular passt oft nicht zum Gegenstand. "Väterchen Frost hat Einzug gehalten", lautet der erste Satz ihres Buches, als handele es sich um ein russisches Märchen. Das Bildmaterial offenbart auf knapp zweihundert Seiten einen verständlichen Mangel.
So illustrieren allzu oft Schmuckstücke oder Kannen, Schwerter und Münzen das Geschilderte. Bemerkenswerterweise erscheint das Konterfei des Karlspreisträgers Wolfgang Schäuble im Buch gleich als zweites Porträt, nach dem idealisierten Abbild Karls des Großen aus dem Aachener Dom.
"Karl der Große. Der mächtigste Herrscher des Mittelalters" von Karin Schneider-Ferber
Konrad Theiss Verlag, 192 Seiten, 29,95 Euro