Karl-Heinz Göttert: "Die Sprachreiniger. Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus"
Propyläen Verlag, Berlin 2019
368 Seiten, 24 Euro
Rassistische Realsatire
05:27 Minuten
Anfang des 20. Jahrhunderts und bis in die NS-Zeit machte der "Allgemeine Deutsche Sprachverein" Jagd auf Fremdwörter. Karl-Heinz Göttert beschreibt die oft komischen Sprachreinigungsversuche – und den hässlichen Rassismus dabei.
Die Jagd auf Fremdwörter ist ein alter Sport. Wenn heute Anglizismen wie "E-Mail" am Pranger stehen, waren es mal Begriffe wie "Natur", "Apfel" oder "Zigarre". Der Germanist Karl-Heinz Göttert greift sich aus dieser Geschichte der Sprachreiniger eine besonders dunkle Episode heraus, die Geschichte des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, von seiner Gründung 1885 bis zu seinem Ende im Zweiten Weltkrieg. Eine Episode, in der die Jagd auf Fremdwörter mit besonders aggressivem Nationalismus gepaart wurde. Eine Episode, die von Anfang an von völkisch-nationalistischem Chauvinismus geprägt wurde und in antisemitischem und biologistisch begründeten Rassismus endete.
Davon erzählt Göttert sehr süffisant: Denn viele Zitate der Sprachreiniger lesen sich auch wie Realsatire. Das "Telegramm" sollte zum "Drahtgruß" werden, "Giro" und "Jongleur" sollten ganz knackig zu "Umbuchungsverband" und "Wurf-Fangkünstler" werden. Und wer glaubte, dass Immanuel Kants Philosophie leichter zugänglich wird durch das Ersetzen von "Apriorität" durch den Begriff "Vonvornehereinhaftigkeit", hatte wohl auch noch nicht Heidegger gelesen, dessen nationalsozialistische Rektoratsrede von 1933 übrigens von den Sprachreinigern als "sprachliches Kunstwerk" gelobt wurde.
Aus Zigarre wird "Rauchrolle"
Hier zeigt sich besonders deutlich das naive Sprachverständnis. Und eine Paradoxie: Auf der Suche nach einer reinen, ursprünglichen Sprache ignorierten die Sprachpuristen, dass Sprachentwicklung ein natürlicher Prozess ist. Hingegen schreckten sie nicht davor zurück, sogar per Preisausschreiben eingedeutschte ungelenke Neuschöpfungen zu suchen. Lieber Willkür als Fremdwörter. Firmen und Unternehmen wurden durch Boykottaufrufe sprachlich unter Druck gesetzt. Ein Zigarren-Unternehmen fand durch Preisausschreiben für sein Produkt das schöne Äquivalent "Rauchrolle" und jubilierte:
"Frohlockend blasen sie Ringe von Rauchrollenrauch in die Lüfte und preisen den geistvollen Einfall des vaterlandsliebenden Mannes, der mit seiner befreiten That alle großen Denker des deutschen Volkes um die Höhe des Eiffelthurmes überragt ..."
Schlaumeierei und Hass
Nach 1933 pries sich der Verein als "SA unserer Muttersprache" an. An Begriffen wie "arisieren" oder "Konzentrationslager" störten einen Kommentator des Vereins die Fremdwörter, nicht die dahinter stehende Praxis. Ironischerweise brachte gerade die Kritik an der fremdwortreichen Sprache der NS-Elite den Verein fast an sein Ende. Eine "Wende von Fremdwortreinheit zu Rassenreinheit", wie Göttert schreibt, rettete den Verein. Die Rhetorik gegen alles Fremde wurde radikalisiert, die Sprachpflege fortan biologistisch-rassistisch begründet, der Hauptfeind war nicht mehr französischer, sondern jiddischer Spracheinfluss. Nach 1945 wurde, fast nahtlos, durch die Neugründung der bis heute bestehenden Gesellschaft deutscher Sprache, die Sprachpflege fortgesetzt.
Die vielen Belege der nationalistischen Fremdwortjagd, die Göttert zusammengestellt hat und als "peinliche Wehleidigkeit und stammtischartige Aggressivität" charakterisiert, erinnern in ihrer geifernden Schärfe, gepaart mit bildungsbürgerlicher (und männlicher) Rechthaberei und Schlaumeierei, an die rechten Kommentare im Netz heute. Hass und Ablehnung alles Fremden gepaart mit bis zur Karikatur verzerrten Lächerlichkeit scheinen zeitunabhängig zu sein.
Göttert schreibt keine umfassende Geschichte des Sprachvereins. Seine Quellengrundlage bezieht sich fast ausschließlich auf die Mitgliedszeitschrift des Vereins. Doch das reicht aus, um deutlich zu zeigen: Der Verein war von Anfang an, wie Götter sagt, ein nationalistischer Kampfbund.