Karl-Markus Gauß: "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer"
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2019
221 Seiten, 22 Euro
Expedition in den eigenen vier Wänden
06:36 Minuten
Eine Bibliothek und Gegenstände wie ein Brieföffner oder Überseekoffer sind Startpunkte für die "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer". Karl-Markus Gauß erzählt von seiner Familie, historischen Ereignissen und aus dem Alltag eines Schriftstellers.
Das Salzburger Haus, in dem Karl-Markus Gauß in einer geräumigen Wohnung lebt, wurde 1896 gebaut. Eingezogen ist er dort vor Jahrzehnten mit Frau und zwei kleinen Kindern, inzwischen sind Tochter und Sohn erwachsen und ausgezogen.
Das Ehepaar hat viel Platz, ist umgeben von einer umfangreichen Bibliothek – und vielen Erinnerungs-Gegenständen. Da liegt etwa ein Brieföffner mit einem Messinggriff auf dem Tisch, der Anlass bietet, über eine alte Firma nachzusinnen und von deren Gründervater zu erzählen. Im Zusammenhang mit all diesen Gegenständen – einem Überseekoffer oder einem Anspitzer etwa – liest man den tröstlichen Satz: "Es gibt Dinge, die braucht man nicht, und deswegen kommt man ohne sie nicht aus."
Das Motto dieses klugen geschichts- und geschichtensatten Buchs stammt von Xavier de Maistre. Der war 1795 wegen eines Duells zu Hausarrest verurteilt worden und hatte sich entschlossen, "die Bestrafung als Geschenk zu nehmen". Seine "Reise um mein Zimmer" ist für Gauß ebenso Vorbild und Orientierung wie das zweibändige Werk von Sophie La Roche "Mein Schreibtisch".
Begegnungen mit Büchern und Schriftstellern
Überhaupt geht es in diesem Expeditionsbericht aus der privaten Welt immer wieder um Begegnungen mit Büchern und Schriftstellern. Gauß nimmt ein Buch des vergessenen Autors Klaus Stiller aus dem Regal oder erinnert an den ebenso vergessenen Dichter Albert Ehrenstein. Er schreibt eine berührende Hommage an einen früh verstorbenen Schulfreund und eine an seinen alten Onkel aus Amerika, der auf der lang ersehnten Venedig-Reise das Hotelbett wegen Krankheit hüten musste. Ein Aschenbecher aus Murano ist von diesem Aufenthalt geblieben.
Menschen und Ereignisse werden durch Gegenstände lebendig, Familiengeschichten etwa durch ein altes Kochbuch oder einen Koffer. Es geht um die Vorfahren des Autors, die Donauschwaben waren, und um die seiner Frau, die aus Südtirol stammten, es dort zu Wohlstand gebracht hatten und unter Mussolini zwangsweise das Land verlassen mussten. Diese Spurensuchen machen die Zimmerreise zum kenntnisreichen und spannenden Geschichtsbuch. In anderen Exkursen – etwa über das Warten, den Wein oder die Vertreibung des Briefs aus der digitalen Welt – erlebt man den Autor als genauen Beobachter und wehmütigen Zeitdiagnostiker.
Fähig sein, ruhig in einem Zimmer zu bleiben
In und mit diesem ungewöhnlichen Reisebericht erfährt man von der großen Welt, die sich im Kleinen verbirgt. Natürlich kommt auch der oft zitierten Satz von Blaise Pascal vor, wonach alles Unglück der Menschen daher rühre, "dass sie nicht willens und fähig seien, ruhig in einem Zimmer zu bleiben, und stets hinaus in die Welt drängten". Aber Karl-Markus Gauß, der im Mai 65 Jahre alt wird, folgt dem Verdikt nicht, fragt vielmehr nach den rührigen Menschen, die das Haus ja erst einmal bauen mussten, in dem der asketische Philosoph dann ruhig in seinem Zimmer sitzen bleiben konnte.
Der Autor erzählt mit und in diesem persönlichen, aber nie indiskreten Buch auf eindrückliche Weise davon, was ihn und sein Leben und sein Schreiben ausmacht. Dass er Duschhauben sammelt, ist jedenfalls mehr als eine Sammler-Schrulle.