Karl Ove Knausgård: Im Sommer
Mit Aquarellen von Anselm Kiefer
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
Luchterhand Verlag, München 2018
490 Seiten, 24 Euro
Die Faszination des Belanglosen
Berührend, radikal und haarsträubend: Aus Sicht des Vaters hält Karl Ove Knausgårds den Familienalltag für seine jüngste Tochter fest - und legt mit "Im Sommer" den vierten und letzten Teil seiner Jahreszeiten-Bände vor.
Er ist und bleibt der große Selbstzerknirscher auch in diesem Buch, ein norwegischer Schambolzen durch und durch. So oft suchen ihn Schuldgefühle heim, so sehr hat er Aksel Sandemoses für den skandinavischen Kulturraum so prägendes "Jante-Gesetz" verinnerlicht, dessen erster Artikel lautet: "Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist." Kein anderer lebender Autor dürfte diesen Dekalog der Demut so in sich aufgesogen haben wie dieser zum Zeitpunkt der Niederschrift 47-jährige Karl Ove Knausgård, Vater eines achtjährigen Sohnes und dreier Töchter, deren jüngste Anne heißt und zu der Zeit, da "Im Sommer" spielt, zwei Jahre alt ist.
Dieser Tochter ist dieses berührende, banale, mitreißende, radikale und haarsträubende Buch, dem drei ganz ähnlich konzipierte Jahreszeiten-Bände vorausgegangen sind, gewidmet: Ein Vater will für seine Tochter das Familienleben festhalten, jene Zeit, die sie noch nicht bewusst miterleben kann, an die sie selbst nie Erinnerungen haben wird. Also erzählt er ihr davon, wie er ihre Geschwister mit dem Auto zu Schule, Freunden und Musical-Proben chauffiert, welche Sätze die ersten sind, die sie sagt, wie er sie wickelt, ins Bett bringt und dann spätabends über all diese Dinge schreibt, von denen er selbst am besten weiß, dass es Trivia sind, Belanglosigkeiten. Trotzdem erwischt man sich als Leser auch diesmal wieder dabei, dass man nicht aufhören kann, Knausgård dabei zu beobachten, wie der seine Kinder vor dem Smartphone oder auf dem Trampolin im Garten beobachtet, wie er Kaffee kocht, raucht, Unkraut jätet und sich im Übrigen wie jeder Vater um die Zukunft seiner Kinder sorgt.
Dieser Tochter ist dieses berührende, banale, mitreißende, radikale und haarsträubende Buch, dem drei ganz ähnlich konzipierte Jahreszeiten-Bände vorausgegangen sind, gewidmet: Ein Vater will für seine Tochter das Familienleben festhalten, jene Zeit, die sie noch nicht bewusst miterleben kann, an die sie selbst nie Erinnerungen haben wird. Also erzählt er ihr davon, wie er ihre Geschwister mit dem Auto zu Schule, Freunden und Musical-Proben chauffiert, welche Sätze die ersten sind, die sie sagt, wie er sie wickelt, ins Bett bringt und dann spätabends über all diese Dinge schreibt, von denen er selbst am besten weiß, dass es Trivia sind, Belanglosigkeiten. Trotzdem erwischt man sich als Leser auch diesmal wieder dabei, dass man nicht aufhören kann, Knausgård dabei zu beobachten, wie der seine Kinder vor dem Smartphone oder auf dem Trampolin im Garten beobachtet, wie er Kaffee kocht, raucht, Unkraut jätet und sich im Übrigen wie jeder Vater um die Zukunft seiner Kinder sorgt.
Familienleben ohne Mutter
Eine seltsame Leerstelle in diesem Buch bildet einmal mehr (wie schon in den vorhergehenden Bänden) seine Frau, die nahezu abwesende Mutter Linda Bostrøm-Knausgard, eine Schriftstellerin auch sie. Mal ist sie auf dem Weg zu ihrem Literaturagenten in Kopenhagen, mal sitzt sie stumm am anderen Ende ihres Hauses in Schonen und schaut sich einen Film auf dem Computer an. Da kein anderer Schriftsteller sein Privatleben derart ausstellt vor aller Öffentlichkeit, weiß der geneigte Knausgård-Leser: Wenige Monate nach dem hier beschriebenen Sommer 2016 reichte sie die Scheidung ein.
Es mag angesichts dessen verwunderlich wirken, ein Buch des Ehepaars Sophia und Nathaniel Hawthorne in Erinnerung zu rufen: "Ordinary Mysteries" (auf Deutsch unter dem Titel "Das Paradies der kleinen Dinge" erschienen mit einem Vorwort von Knausgårds großem Vorbild Peter Handke), ein Tagebuch der Frischverheirateten, in dem sie von all dem berichten, was auch Knausgård beschäftigt: von der Arbeit im Garten auf ihrem ländlichen Anwesen ebenso wie von der genauen Betrachtung alltäglichster Verrichtungen, Erscheinungen und Gegenstände, aus der stets Erkenntnis erwachsen soll. Nicht immer geschieht das, wenn Knausgård etwa dem Rasensprenger, den Makrelen, deren Einzug an der Küste den Sommer ankündigt, oder den Erdwespen seine Aufmerksamkeit schenkt. Aber das sieht man ihm erstaunlicherweise nach, denn gleich darauf schildert er mit großer Meisterschaft eine Szene aus seiner eigenen Kindheit in den 1970er-Jahren oder lässt sich über sein Konzept der "poetischen Wahrheit" aus und beschreibt auf sehr amüsante Art und Weise einen Besuch im Atelier des Malers Anselm Kiefer, der bemerkenswert farbenfrohe Aquarelle zu diesem Buch beisteuert: Der Künstler radelt durch seine riesigen Werkshallen und stellt sich als Helikopter-Künstler vor, der mit eigenem Hubschrauber fliegt, wohin es ihn gelüstet: nach Portugal, London oder in die Provence.
Es mag angesichts dessen verwunderlich wirken, ein Buch des Ehepaars Sophia und Nathaniel Hawthorne in Erinnerung zu rufen: "Ordinary Mysteries" (auf Deutsch unter dem Titel "Das Paradies der kleinen Dinge" erschienen mit einem Vorwort von Knausgårds großem Vorbild Peter Handke), ein Tagebuch der Frischverheirateten, in dem sie von all dem berichten, was auch Knausgård beschäftigt: von der Arbeit im Garten auf ihrem ländlichen Anwesen ebenso wie von der genauen Betrachtung alltäglichster Verrichtungen, Erscheinungen und Gegenstände, aus der stets Erkenntnis erwachsen soll. Nicht immer geschieht das, wenn Knausgård etwa dem Rasensprenger, den Makrelen, deren Einzug an der Küste den Sommer ankündigt, oder den Erdwespen seine Aufmerksamkeit schenkt. Aber das sieht man ihm erstaunlicherweise nach, denn gleich darauf schildert er mit großer Meisterschaft eine Szene aus seiner eigenen Kindheit in den 1970er-Jahren oder lässt sich über sein Konzept der "poetischen Wahrheit" aus und beschreibt auf sehr amüsante Art und Weise einen Besuch im Atelier des Malers Anselm Kiefer, der bemerkenswert farbenfrohe Aquarelle zu diesem Buch beisteuert: Der Künstler radelt durch seine riesigen Werkshallen und stellt sich als Helikopter-Künstler vor, der mit eigenem Hubschrauber fliegt, wohin es ihn gelüstet: nach Portugal, London oder in die Provence.
Wie eine Fortsetzung von "Mein Kampf"
Dass ein anderer Großer, der Fotograf Jürgen Teller, kürzlich bei Knausgård zu Gast war, erfährt man en passant. Eine Angeberei, für die er sich gleich wieder schilt, genauso wie für die prahlerische Bemerkung beim Grillen mit Freunden, die Lesereise nach Argentinien, Chile, Indien und Südafrika habe er jetzt doch abgesagt. Sein Kampf, schreibt Knausgård, sei seit seinem dreizehnten Lebensjahr "der Kampf gegen die Scham". Und so "unendlich egozentrisch" und "eingesperrt in mir selbst", wie er sich zu sein hier attestiert, nimmt es gar nicht Wunder, dass sich weite Teile dieser neuerlichen Autofiktion wie eine Fortsetzung seiner Hexalogie "Mein Kampf" lesen.
Eine große Schwäche offenbart sein Narzissmus freilich auch, und zwar an der Stelle, an der er eine Geschichte zu erzählen versucht, die nichts mit ihm selbst zu tun hat, sondern die von einer Norwegerin im Zweiten Weltkrieg handelt, die sich mit einem österreichischen Besatzungssoldaten davon macht und für ihn ihre drei Kinder samt Mann im Stich lässt. Von "Einfühlungsbegierde", die laut Knausgård große Autoren auszeichnet, ist hier nichts zu spüren, ihre bemüht fiktionalisierte Geschichte nimmt sich wie ein Fremdkörper aus. Vielleicht soll dieses Scheitern nur illustrieren, dass sich Karl Ove Knausgård ohnehin nicht zu den Großen zählen würde. Nein, er möchte auch "keinesfalls behaupten", er "gehörte zu den guten Schriftstellern".
Eine große Schwäche offenbart sein Narzissmus freilich auch, und zwar an der Stelle, an der er eine Geschichte zu erzählen versucht, die nichts mit ihm selbst zu tun hat, sondern die von einer Norwegerin im Zweiten Weltkrieg handelt, die sich mit einem österreichischen Besatzungssoldaten davon macht und für ihn ihre drei Kinder samt Mann im Stich lässt. Von "Einfühlungsbegierde", die laut Knausgård große Autoren auszeichnet, ist hier nichts zu spüren, ihre bemüht fiktionalisierte Geschichte nimmt sich wie ein Fremdkörper aus. Vielleicht soll dieses Scheitern nur illustrieren, dass sich Karl Ove Knausgård ohnehin nicht zu den Großen zählen würde. Nein, er möchte auch "keinesfalls behaupten", er "gehörte zu den guten Schriftstellern".