Karl Schlögel: Das sowjetische Jahrhundert – Archäologie einer untergegangenen Welt
C.H.Beck, München 2017
912 Seiten, 38 Euro
Warum die Revolution im Mai ausfallen muss
Kunst und Technik, Architektur und Literatur, Musik und Geschichte: Der große Osteuropa-Historiker Karl Schlögel durchschreitet die Sowjetunion wie ein Museum. Man spürt in jeder Zeile, dass er die Sowjetunion jahrzehntelang erlebt, gelebt und erforscht hat.
Worum geht es?
Ich werde ein Buch von Karl Schlögel verschenken: "Das sowjetische Jahrhundert – Archäologie einer untergegangenen Welt". Der große Osteuropa-Historiker Karl Schlögel durchschreitet die Sowjetunion wie ein Museum. Ein Museum, mit sehr unterschiedlichen Abteilungen.
Da werden die großen Fortschrittsprojekte aus der Anfangszeit der Sowjetunion besichtigt, die das Land in die Moderne katapultiert haben: Wasserkraftwerke, Kanalbauten, Stahlwerke, Traktorenfabriken oder der Bau der Moskauer Metro.
Man begibt sich mit Karl Schlögel allerdings auch in einen Alltag als Ausnahmezustand: In die allgegenwärtigen Warteschlangen oder in die geradezu klaustrophobisch wirkendenden Gemeinschaftswohnungen, die nach der Revolution verstaatlicht worden waren. Darin teilten die Behörden einzelnen Personen oder Familien knappen Wohnraum zu – Bad und Küche mussten alle gemeinsam nutzen. Das führt zu einer Nähe mit Wildfremden, die man nur schwer ertragen kann. Wir erfahren aber auch vom Glück der Datscha, als notwendiger Bestandteil eines kaum funktionierenden Versorgungssystems. Es gibt dieses schöne Zitat: "Im Mai macht man in Russland keine Revolution, da fährt man auf die Datscha und pflanzt Kartoffeln."
Wir lernen übrigens auch den Geruch der Sowjetunion kennen: Das Parfüm "Rotes Moskau" – das Chanel des Ostens – und der Clou ist: Beide Parfüms haben tatsächlich gemeinsame Wurzeln.
Was ist das Besondere?
Ich finde dieses Buch so großartig, weil es aus einer sehr persönlichen Sicht geschrieben ist: erfahrungsgesättigt und gebildet. Man spürt in jeder Zeile, dass Karl Schlögel die Sowjetunion jahrzehntelang erlebt, gelebt und erforscht hat – wie er Kunst und Technik, Architektur und Literatur, Musik und Geschichte miteinander verknüpft, um eine untergegangene Welt zu beschreiben, ist beeindruckend und berührend. Auch deshalb, weil immer wieder durchschimmert, dass er dieser Welt in Teilen durchaus nachtrauert, weil sie ihm ans Herz gewachsen ist, sie gehört zu seiner eigenen Geschichte.
Wem wollen Sie es denn schenken – und warum?
Ich schenke dieses Buch einer Freundin, die es liebt, wenn man ihr Geschichte als Kulturgeschichte erzählt. Und die gerne dicke Bücher liest – dieses hier hat immerhin rund 1000 Seiten - und die vielleicht, wie ich, darauf hofft, dass es irgendwann noch einen zweiten Teil geben wird.