Die Rückkehr des "Hardboiled Detective"
Raymond Chandler oder Dashiell Hammett haben mit ihren Figuren das Bild des hartgesottenen Ermittlers geprägt. In Karl Wolfgang Flenders "Helden der Nacht" feiert er nun sein Comeback – inmitten des Berliner Start-up-Kosmos.
Joachim Scholl: Vor drei Jahren gab er sein literarisches Debüt mit einer bissigen Satire auf unsere Öko-Ökonomie, "Greenwash, Inc." hieß dieser erste Roman von Karl Wolfgang Flender, und jetzt gibt es den zweiten, "Helden der Nacht". Ein Krimi der etwas anderen Art, willkommen in der "Lesart" von Deutschlandfunk Kultur, guten Morgen, Herr Flender!
Karl Wolfgang Flender: Guten Morgen!
Scholl: "Es gab nur eine Möglichkeit, ich musste den ganzen Wahnsinn hier träumen, ich war in irgendeinen Roman geraten, in einen Film, was hatte ich überhaupt gedacht, wer ich war, Dick Tracey?" So spricht, so überlegt ihr Held, der Privatdetektiv Bryan Auster auf Seite 176 in einer Situation, wo die Kugeln um ihn herum pfeifen, blutbefleckte Opfer auf dem Boden, abgesägte Gliedmaßen, das volle Thriller-Krimi-Splatter-Programm. Okay, Herr Flender, was ist das denn für ein Wahnsinn, in welchen Roman oder Film ist der Mann da reingeraten?
Flender: Bryan Auster ist, na ja, ein junger Student, der mit den großen Detektiverzählungen aufgewachsen ist. Sein Vater besitzt eine ganz schlecht gehende Detektivklitsche in Neukölln, sein Vater hat ihm von seinen Heldentaten immer erzählt, er hat alle Bücher gelesen, den Film noir gesehen, darüber schreibt er jetzt auch seine Masterarbeit. Das ist sozusagen die Welt, in der Bryan Auster gerne leben würde. Er kommt mit der digitalen Gegenwart nicht so ganz zurecht, die macht auch der Detektei zu schaffen. Und als der Vater auch noch Rückenschmerzen bekommt, muss Bryan Auster ihn vertreten und gerät natürlich in einen Riesenschlamassel, weil er so handelt, als würde er in einem Detektivroman leben, aber die Gegenwart ist natürlich eine ganz andere.
Ein Bild, das bis heute wirkt
Scholl: Und die Gegenwart des Romans ist auch eine ganz andere. Die Handlung spielt erstmal in Berlin, die Figuren heißen allerdings – also neben Bryan Auster – Colleen McCollum, Lance Kilbourne, Kenneth Gambol, mein Liebling ist der Polizeichef, Bloke Hoseley, was ungefähr übersetzt so viel heißt wie Knallkopf Housley. Abgesehen vom Spaß, sich diese Namen auszudenken, was ist der Gedanke dahinter?
Flender: Mich hat gereizt, diese alten hardboiled Detektive aus den 20er-Jahren, also wie sie Chandler oder Hammett erfunden haben, und Humphrey Bogart hat sie dann im Film gespielt, die sozusagen jetzt noch mal zu reaktivieren und damit zu zeigen, was das für ein Transfer in die Gegenwart ist, 100 Jahre später, weil sie noch immer so wirkmächtig unser Bild vom Detektiv bestimmen, und was macht man, wenn man diese alten Recken in die Gegenwart bringt und damit auch diese Namen nach Berlin, diese amerikanischen Namen. Also es geht so ein bisschen darum, die Gegenwart auch zu entfremden durch das Einbringen der Namen und diesen Glamour von New York oder L.A. nach Berlin zu bringen.
Scholl: Was heißt das denn eigentlich für das Schreiben? Es ist ja auf der einen Seite so ein bisschen die Verpflichtung oder Zwang auch, im Muster zu bleiben, auf der anderen Seite muss man sich vielleicht gar nichts groß ausdenken. An einer Stelle kniet Bryan auf einem Waldboden, die Pistole des Killers am Kopf. Und dann heißt es so im übertragenen Sinn, so, jetzt kommt die Rettung natürlich in letzter Sekunde. Die kommt dann.
Flender: Also es ist natürlich irgendwo ein Korsett, das man sich auferlegt, wenn man sich überlegt, ich schreibe einen Detektivroman, das ist was ganz anderes als der Roman davor natürlich. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch ein Spiel oder eine Freiheit, mit diesen alten Regeln brechen zu können. Und die Figuren, weil sie natürlich Experten sind, Bryan kennt alles diese Romane. Coleen gleicht sich immer mit der Tatortwelt ab, sie regt sich auf, dass ihre Kollegen so reden wie Schauspieler und sich so dumme Informationsschnipsel die ganze Zeit zuspielen. Oder reflektierend dann auch, jetzt sind 100 Seiten vorbei, jetzt müsste eigentlich wieder eine Leiche kommen. Also, dadurch, dass die Figuren selbst verstehen, dass sie in diesen Detektiv-Krimi-Narrativen drin sind, kann man ganz gut damit umgehen, und die reflektieren das und dadurch ergeben sich auch lustige Effekte zum Teil.
Der Krimi als Remix
Scholl: Sie führen diese Spuren und Motive ja auch weiter in die Filmwelt und die TV-Serien, also wer "Breaking Bad" kennt, der wird auch seinen Spaß haben, wenn er Mike Ehrmantraut wiedererkennt. Aber es gibt auch so ein bisschen den Verweis oder sogar den direkten Verweis auf die literarische Postmoderne eines Thomas Pynchon und seiner großen Krimi-Parodie "Inherent Vice", der Titel wird sogar explizit genannt an einer Stelle. Doc Sportello heißt ja Pynchons Held, unschlagbarer Name, wie ich finde, und das ist natürlich die ästhetische Überzeugung dahinter, dass ein Original gar nicht mehr möglich ist, sondern im Grunde genommen nur noch die parodistische Ableitung. Denken Sie das auch?
Flender: Ich habe versucht, das ein bisschen weiter zu treiben als das postmoderne Spiel mit der Anspielung, mit der Referenz, der Intertextualität. Ich glaube, bei mir, also es kommen natürlich diese ganzen Recken vor, also Doc Sportello oder Philip Marlowe kommen so als einberlinerte alte Recken vor, die sich Bryan zu seiner Hilfe erträumt – oder vielleicht sind sie auch echt, das wird man dann im Roman erfahren. Die treten dann auf, sie haben in Berlin rumvegetiert, nachdem ihre Detekteien pleite gegangen sind, und fahren jetzt Pizza aus oder so und werden von Bryan wieder reaktiviert. Und dass diese Figuren sozusagen als Figuren auftreten, aber mit einer Veränderung, die sozusagen eher in die Gegenwart transformiert sei, das ist, glaube ich, eher inspiriert von so etwas wie Remix, also von der digitalen Gegenwart, wie es im Hip-Hop-Samples gibt, also Musik-Samples, oder in der Kunst immer wieder Versatzstücke collagiert werden, tauchen diese Collage-Stücke dann bei mir auf. Nur mit einem Unterschied eben, dass sie für die Gegenwart irgendwie relevant wären.
Scholl: Womit wir auch beim Thema wären, was mit der Form wirklich zusammengeht. Ohne zu viel preiszugeben von der Handlung, es geht um eine große Verschwörung in unserer durchdigitalisierten Welt, was ist hier der Kern, der zentrale Gedanke?
Flender: Die Erzählung folgt am Anfang dem Detektiv-Narrativ und dann wird es immer mehr so eine Verschwörungstheorie, es wird immer ein Stück größer. Bryan wird mit einer App namens Detectify konfrontiert, mit der jetzt jeder Detektiv sein kann, man kann auch jedem Nachbarn einen Amateurdetektiv auf den Hals hetzen mit zwei Klicks. Das wird natürlich die Detektei pleite gehen lassen, und sie geraten auf die Spur eines großen Digitalkonzerns, der alles verdaten will mit ganz vielen sinnlosen Apps, die man sich runterladen kann und der womöglich hinter dieser Verschwörung und diesen Morden auch stehen könnte indirekt. Und dahinter steht so ein bisschen der Gedanke, was das mit dem Detektiv zu tun hat, dass es durch diese Datenmengen, die jetzt überall angesammelt werden, das Geheimnis schwieriger wird. Also, ein Geheimnis zu haben, wird immer schwieriger, und damit erledigt sich so ein bisschen der Beruf des Detektivs. Und dieses Geheimnis oder die Möglichkeit des Geheimnisses, das will Bryan eigentlich dann am Ende retten.
Satirisch, parodistisch, kritisch
Scholl: In Ihrem Debut "Greenwash, Inc." haben Sie die Entwicklung der Ökobranche aufs Korn genommen, jetzt könnte man sagen, die Auswüchse des digitalen Zeitalters nimmt sich Herr Flender vor. Vom Jahrgang 1986 sind sie eigentlich so der klassische oder waschechte Digital Native, als Autor ein gesellschaftskritischer?
Flender: Das Label müssen mir wahrscheinlich andere geben, das ist schwierig, das selbst zu sagen, aber na klar, es gibt eine Linie von "Greenwash, Inc." zu diesem Buch. Das ist natürlich eine Gegenwartsbeobachtung, auch eine kritische Gegenwartsbeobachtung, zu sehen, was gerade passiert, und sich dann dafür literarische Mittel zu suchen. Damals war es sozusagen diese Ökosatire und jetzt ist es vielleicht auch eine Start-up-Satire, weil es geht viel dann auch um diesen ganzen Start-up-Kosmos, diese Möchtegern-großen Start-up-Leute, die werden auch wieder satirisch, parodistisch, kritisch aufs Korn genommen.
Scholl: Ich meine, diese Software Detectify, jeder kann mittels einer App Detektiv sein, das hört sich so realistisch an, als ob es das schon tatsächlich gäbe.
Flender: Diese jetzt nicht. Es gibt natürlich ein Vorbild, ich habe mir dann für dieses Start-up Walhalla Capital, die wollen 1000 Apps in 1000 Tagen rausbringen. Und da ist viel sinnloser Kram dabei, also ich hab mir 1000 Apps ausgedacht dafür, im letzten Schritt des Lektorats habe ich dann mal geguckt, ob es die Namen und diese Ideen tatsächlich gibt. Und ich stellte denn fest, oh Mann, eine davon gibt es tatsächlich und die mussten wir dann noch umbenennen.
Scholl: Na, warten Sie mal ab mit der Idee 1000 Apps in 1000 Tagen, ob die noch irgendeiner klaut. Dankeschön, Karl Wolfgang Flender, dass Sie bei uns waren. Alles Gute für Sie und den neuen Roman.
Flender: Herzlichen Dank!
Scholl: "Helden der Nacht" von Karl Wolfgang Flender, jetzt im DuMont-Verlag erschienen mit genau 400 Seiten für glatt 22 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.