"Sprengsatz für die große Koalition"
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das Betreuungsgeld ist passé, der Bund ist nicht zuständig für solcherlei Zuwendungen. Bayern ist verärgert und will nun ein eigenes Betreuungsgeld einführen. Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell prophezeit einen "föderalen Flickenteppich".
Karlsruhe hat einstimmig gesprochen: Das Betreuungsgeld für Familien, die ihre Kleinkinder nicht in staatlich bezuschussten Einrichtungen, sondern zu Hause betreuen lassen, wird wieder abgeschafft. Während das Klägerland Hamburg und andere Bundesländer sich über das Ergebnis freuen und das Aus der "Herdprämie" feiern, erklärte Bayern, als Verursacher des Betreuungsgeldes, nach der Urteilsverkündung, die Zuwendung als Landesbetreuungsgeld weiter zahlen zu wollen.
Stefan Sell, Sozialwissenschaftler und Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz, hält es jedoch für wenig realistisch, dass viele Bundesländer es in Eigenregie übernehmen werden.
"Wir werden jetzt einen richtigen föderalen Flickenteppich erleben – und einen potenziell sehr großen Sprengsatz in der großen Koalition." Bayern werde versuchen, die Bundesmittel, die bislang ins Betreuungsgeld flossen, nun für sein eigenes Landesbetreuungsgeld zu reklamieren. Doch es werde sicherlich darauf hinauslaufen, "dass Bayern es aus eigenen Mitteln bestreiten muss".
Die "Herdprämie" war ungerecht
Sell begrüßte das Aus für das Betreuungsgeld aus verschiedenen Gründen: Die Zuwendung, die für alle Familien mit Kindern gedacht sei, gelte nicht für Familien, die Hartz-IV bezögen – das Geld werde komplett auf den Satz angerechnet.
"Das ist ein logisches Problem: Sie können ja nicht sagen, sie honorieren die elterliche Erziehungsleistung, aber bei einer Gruppe von immerhin mehreren hunderttausend Menschen, ziehen sie das wieder ab. Denn natürlich: Eine Hartz-IV-Familie leistet genauso Erziehungsarbeit wie eine andere Familie auch."
Die Richter nehmen keine Wertung vor
Ebenfalls widersprüchlich sei die Verteilung des Geldes nach dem Gießkannenprinzip: So hätten auch jene das Geld „mitnehmen" können, die finanziell sehr gut aufgestellt seien.
Vor diesem Hintergrund stufte Sell es als bemerkenswert ein, dass die Karlsruher Richter sich allein auf die Formalia des Betreuungsgeldes konzentriert hätten und keine Wertung vorgenommen hätten. "Darum haben die Richter einen großen Bogen gemacht."