Karlsruhe zwingt Merkel zur Verfassungstreue

Von Stephan Detjen |
Gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften müssen zukünftig beim Ehegattensplitting gleich behandelt werden, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Damit hat die Koalition heute die lange erwartete Lieferung aus Karlsruhe bekommen, kommentiert Stephan Detjen.
Ein Kommentar aus dem Stehsatz der Redaktion: Was heute zu sagen ist, steht seit mehr als einem Jahr fest. Wie auf vorverlegten Gleisen war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf Berlin zugerollt. Heute erhielt die schwarz-gelbe Koalition die seit langem erwartete Lieferung aus Karlsruhe - wie bestellt und zu lange nicht abgeholt.

Die Richter folgen einer Spur, die das Bundesverfassungsgericht in einer über Jahre gefestigten Rechtsprechung und mehrere Richtergenrationen hinweg gelegt hat. Nichts daran ist erstaunlich. Allein die verfassungsrechtliche Realitätsverweigerung, in die sich die Union immer weiter hineingesteigert hat, schuf bis zuletzt neue Anlässe für Verwunderung, Diskussion und berechtigte Empörung.

Wenn es aus Karlsruhe eine Überraschung im Fall Lebenspartnerschaft gab, so liegt diese schon mehr als zehn Jahre zurück. 2002 legte das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Grundsatzurteil zur sogenannten Homo-Ehe den Kurs fest, auf dem es fortan seine Rechtsprechung zur Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft weiterentwickelte. Damals überraschte das Gericht selbst die Schöpfer des Lebenspartnerschaftsgesetzes in der rot-grünen Koalition. Viel weiter als sie es erwartet hatten, öffneten die Richter das Tor zu einer völligen Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft. Wo der Staat Paaren die gleichen Pflichten auferlegt, muss er ihnen gleiche Rechte gewähren. So einfach, so zwingend ist die Logik, die das Gericht aus dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes ableitet.

Die These von einem verfassungsrechtlichen Abstandsgebot, das eine Schlechterstellung von Lebenspartnern gegenüber Ehepaaren verlange, war seitdem höchstrichterlich verworfen. Nur in den Unionsparteien trieb der Aberglaube an ein verfassungsrechtlich legitimiertes Diskriminierungsgebot weiter seine Urstände. Noch auf dem Parteitag Ende letzten Jahres stellte sich die CDU Führung hinter den Antrag eines Kreisverbandes, der den Kampf gegen die Gleichstellung von Lebenspartnern zur letzten Bastion christlich-konservativer Unionsidentität erklärte. Die Diskussion darüber hat eine tiefe Spaltung der Partei offenbart.

Doch es hätte nicht gefehlt, um auch in der CDU eine Mehrheit dafür zu mobilisieren, die Wirklichkeit des Lebens und des Rechts aus eigener Kraft anzuerkennen. In der Bundestagsfraktion und auch in der Breite der Partei haben sich seit einem Jahr die Stimmen derer gemehrt, die der Partei und der von ihr geführten Regierung die jetzige Belehrung aus Karlsruhe ersparen wollten. Es war ein Führungsfehler Angela Merkels, sich hier nicht entschlossen auf die Seite der Vernunft geschlagen, sondern irrationale Verlustängste, Ressentiments und ein fehlgeleiteten Werteverständnis befördert zu haben. Heute muss Merkel mit dem Vorwurf leben, die Bundeskanzlerin sei erst durch höchstrichterliche Wegweisung auf den Pfad der Verfassungstreue gezwungen worden.