Karlsruher Urteil stärkt rechtliche Stellung der Kinder

Manfred Bruns im Gespräch mit Dieter Kassel |
Der langjährige Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes, Manfred Bruns, findet, dass sich durch die Aufhebung des Adoptionsverbots die Situation der Kinder verbessert. Es müsse weitere gesetzliche Regelungen geben, doch: "Die Bremse ist immer die CDU/CSU, die jede Gleichstellung ablehnt."
Dieter Kassel: Wenn im Falle einer homosexuellen Lebensgemeinschaft einer der beiden ein Adoptivkind mit in diese neue Beziehung bringt, also ein Kind, das er oder sie schon vorher adoptiert hat, kann dann der andere oder die andere, der Partner das Kind einfach auch noch adoptieren, damit beide rechtlich dem Kind gegenüber gleichgestellt sind, und übrigens auch das Kind ihnen gegenüber gleichgestellt ist, zum Beispiel im Falle von Unterhaltsansprüchen? Geht das so einfach, diese sogenannte – das ist der Fachbegriff – Sukzessivadoption?

Verschiedene deutsche Gerichte haben sich mit der endgültigen Beantwortung dieser Frage ein wenig schwer getan, und deshalb ist das Ganze beim Bundesverfassungsgericht gelandet, das heute darüber entscheiden wird.

Wir wollen darüber mit Manfred Bruns reden, er war selber lange Zeit Bundesanwalt beim Verfassungsgericht in Karlsruhe, und zwar bis zu seiner Pensionierung 1994. Als er schon Mitte 50 war, da hatte er sein Coming-Out, das war in den 80er-Jahren. Er lebt inzwischen seit ungefähr 20 Jahren mit seinem Mann zusammen, ist aber immer noch verheiratet und hat aus seiner Ehe erwachsene Kinder und inzwischen auch Enkelkinder, also in jeder Art und Weise von diesem Urteil indirekt doch betroffen, thematisch gesehen. Herr Bruns, schönen guten Tag!

Manfred Bruns: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Was für ein Urteil erwarten Sie heute?

Bruns: Also wir gehen sehr sicher davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Verbot der Adoption von adoptierten Kindern durch Lebenspartner für verfassungswidrig erklärt, weil es dafür überhaupt keine Rechtfertigung gibt. Die Kinder leben ja schon in den Lebenspartnerschaften, und ihre rechtliche Stellung wird, wenn die Adoption gestattet wird, dadurch besser.

Kassel: Was bedeutet das denn aber konkret für die Kinder, wenn das Verfassungsgericht heute so entscheidet?

Bruns: Also zum Beispiel, wenn ein Elternteil ausfällt, dann ist der andere rechtlich verpflichtet, nicht nur sittlich, sich um die Kinder zu kümmern, das Kind hat Unterhaltsansprüche, Erbansprüche gegen den zweiten Elternteil, es ist insgesamt die Situation verfestigt, und auch für den zweiten Elternteil ist dann seine elterliche Stellung rechtlich anerkannt.

Kassel: Das ist natürlich logischerweise, da wir über ein bevorstehendes Urteil des Verfassungsgerichts sprechen, zunächst mal eine juristische Frage. Aber würde denn eine entsprechende Entscheidung heute auch gesellschaftliche Auswirkungen haben?

Bruns: Ja, sehr große. Die Adoption ist einer der Punkte, in der Lebenspartner noch nicht mit Ehegatten gleichgestellt sind. Und dieser Punkt begegnet in der Bevölkerung und auch zum Teil bei den Parteien doch noch großen Vorbehalten, es wird dann immer gesagt, Kinder müssen gegengeschlechtliche Eltern haben, um sich richtig zu entwickeln. Dahinter steht dann auch die Vorstellung, dass sie vielleicht alle lesbisch oder schwul werden können, wenn sie bei Lesben oder Schwulen aufwachsen.

Und es wäre die Aufhebung dieses Verbots, wäre politisch nicht durchsetzbar gewesen zur jetzigen Zeit. Das sehen Sie auch, wenn Sie nach Frankreich schauen, da waren ja Riesendemonstrationen für und gegen die Homo-Ehe, wobei es eigentlich gar nicht so so sehr um die Homo-Ehe ging, sondern um das Adoptionsrecht.

Kassel: Aber wenn – bleiben wir kurz in Deutschland, wir können sehr gerne gleich nach Frankreich und auch in andere Länder schauen –, aber wenn wir kurz bleiben, wenn nun letzten Endes – etwas jetzt frei interpretiert – heute das Verfassungsgericht feststellen wird, Homosexualität und Heterosexualität wird auch in diesem Punkt gleichgestellt, ist es hier das richtige Organ? Wäre es nicht eigentlich zu erwarten gewesen, dass das Parlament einfach ein entsprechendes eindeutiges Gesetz verabschiedet vorher?

Bruns: Ja, natürlich, das ist ja das Problem. Die Bremse ist immer die CDU/CSU, die jede Gleichstellung ablehnt, obwohl es abzusehen ist, dass das überhaupt nicht mehr aufzuhalten ist. Im Einkommensteuerrecht ist es dasselbe, es ist mit Sicherheit ein positives Urteil zu erwarten, alle Finanzgerichte geben schon einstweiligen Rechtsschutz, die meisten Landesfinanzverwaltungen geben einstweiligen Rechtsschutz, aber der Herr Schäuble weigert sich weiter und sagt, ich will erst verurteilt werden. Das ist eigentlich so nicht nachzuvollziehen in einem Rechtsstaat.

Kassel: Sie haben schon nach Frankreich geguckt und Sie haben zu Recht gesagt, oft hört man die Schlagzeile, da wird gegen die Homo-Ehe protestiert. Was die Gegner wirklich aufbringt, ist das Adoptionsrecht, das damit nach jetzigen Plänen ja verbunden ist. Wenn man ein Land wie Frankreich nimmt, dann muss man ja feststellen, das ist im Vergleich zu Deutschland noch mal ein Land, in dem Religion noch weniger Einfluss hat als bei uns, also kann man ja vielleicht nicht ganz einfach sagen, da steckt die katholische Kirche dahinter. Wie bewerten Sie das in Frankreich, es hat ja viele überrascht, dass es in diesem liberalen Land solche Widerstände gibt?

Bruns: Man muss in Frankreich unterscheiden, die Haltung der Bevölkerung in den großen Städten ist ganz anders als wie auf dem platten Land, da sind sie noch sehr konservativ. Und der Unterschied zu Deutschland ist, dass wir uns in einem langen Prozess seit 2001 – da ist das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft getreten – dann an dieses Gesetz gewöhnt haben, daran, dass nun es auch gleichgeschlechtliche Lebenspartner gibt.

Und heute ist die Lebenspartnerschaft als solche eigentlich überhaupt kein Thema mehr. Die Leute machen gar keinen Unterschied mehr, die sprechen davon, die sind verheiratet oder sie heiraten oder was, und sie sind auch der Meinung, sie sind alle schon völlig gleichgestellt.

Kassel: Wenn wir jetzt vielleicht noch weitergucken, stellen wir uns Folgendes vor, Herr Bruns, wenn wir das Gespräch, wie wir es bisher geführt haben, im russischen Rundfunk führen würden, dann hätten wir ein Gesetz verletzt, denn dann wäre es das, was die dort "homosexuelle Propaganda" nennen. Und das ist Europa, das ist ein Land, mit dem auch nicht zu Unrecht wirtschaftlich und in anderer Form auch zusammengearbeitet wird, was die EU angeht: Täusche ich mich, oder gibt es auf der Welt gerade regelrecht eine Radikalisierung? Es gibt Länder wie Deutschland, in denen es immer einfacher wird und immer gerechter, und andere Länder, in denen es nicht nur nicht besser, sondern zum Teil immer schwieriger wird.

Bruns: Das ist genau so, also beispielsweise in diesen früheren Ostblockländern ist diese Tendenz zu erkennen. Dann auch in Afrika, in Afrika stecken die evangelikalen Freikirchen, vor allem aus Amerika, dahinter, die diese Stimmung schüren. Und das ist alles sehr traurig, und bei Russland ist es insofern noch bemerkenswert, dass die ja damit auch gegen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte verstoßen, zwar sehenden Auges – eigentlich müssten sie aus dem Europarat austreten, wenn sie so weitermachen wollen.

Kassel: Da ist ja immer die Frage, lässt man sie drin, um besser Zugriff zu haben und zu verhandeln, oder wirft man sie raus, um Zeichen zu setzen?

Bruns: Also man hat früher, als es darum ging, die Ostblockstaaten aufzunehmen, beispielsweise Rumänien, da hat man gesagt, ihr kommt erst rein, wenn ihr eure Strafvorschriften gegen Homosexualität aufhebt, das ist dann auch geschehen – auch gegen den heftigen Widerstand der Kirchen da. Ob sie das heute jetzt wieder so machen, weiß ich nicht. Die Betroffenen sind jedenfalls dabei wieder, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, und der wird das auch verurteilen, das ist ganz sicher.

Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur aus Anlass des bevorstehenden Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum sogenannten Sukzessivadoptionsrecht für homosexuelle Paare mit Manfred Bruns, der lange Zeit Bundesanwalt beim Verfassungsgericht war, dann – ich habe es erwähnt – so mit etwa Mitte 50 sein Coming-Out hatte, inzwischen im Bundesvorstand des Schwulen- und Lesbenverbandes Deutschland sitzt und, obwohl immer noch verheiratet, mit seinem Mann zusammen lebt.

Herr Bruns, ich denke, das wird nicht zu persönlich, wenn ich zugebe – das muss man ja erklären, den anderen Leuten, Sie sind ja nicht mit Mitte 50 schwul geworden, sondern Sie haben es ab da sich selber und anderen eingestanden, und Sie hatten vorher auch Angst, es zuzugeben, aus Furcht, auch in Ihrer Position ihr bürgerliches Leben zu verlieren. Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken, hätten Sie sich da je vorstellen können, dass die Entwicklung so weit geht, wie sie heute ist?

Bruns: Nein, natürlich nicht. Ich muss zunächst mal sagen, ich bin Jahrgang 1934, und wie alle Schwulen in diesem Alter, die meisten haben geheiratet. Bei mir war es dann noch so, dass ich mir auch einfach was vorgemacht habe, weil es ja so schwer strafbar und so sozial abwegig war, dass ich das einfach nicht wahrhaben wollte. Ich hatte dann sehr großes Glück mit meiner Frau, mit meiner Familie, ich habe insgesamt eine sehr gute Ehe geführt, und ich bin ja auch heute noch sehr gut mit meiner Frau und Kindern und Enkelkindern verbunden. Aber es ist natürlich jetzt, dass ich mit einem Mann zusammenlebe seit 20 Jahren, das war die beste Zeit meines Lebens, weil einfach alles stimmt.

Kassel: Wenn Sie aber – Sie haben das jetzt ja indirekt erwähnt, da haben Sie den berüchtigten Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches angesprochen, der homosexuelle Handlungen unter Männern auch bei gegenseitiger Zustimmung früher unter Strafe gestellt hat. Das ist eine rasante Entwicklung, also dessen Abschaffung war ein Meilenstein. Aber danach ist ja noch viel passiert – lassen Sie uns in die Zukunft gucken, wie stellen Sie sich denn in Bezug auf Hetero- und Homosexualität, auch wenn wir es beide nicht mehr erleben, das Jahr 2050 vor?

Bruns: Also ich nehme an, ich hoffe auch, dass es keinen Rückschlag mehr gibt, keine Rückwärtsentwicklung von irgendwelchen extremen Kräften aus, dass das dann überhaupt kein Problem mehr sein wird. Ich habe mal als Vision formuliert, das war 2000, ich fände es schön, wenn ein Junge, der merkt, dass er schwul ist, und einen Freund hat, dann zu seinen Eltern kommen kann und sagen, ich habe mich verliebt in einen jungen Mann, und dann sagen die Eltern, ja, bring ihn doch mal mit, dass wir ihn kennenlernen. Wenn das so ablaufen würde, das war mein Traum.

Kassel: Ich wünsche es Ihnen und uns und danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Bruns!

Bruns: Bitte schön!

Kassel: Manfred Bruns war das, Anlass unseres Gespräches war das bevorstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Sukzessivadoptionsrecht für homosexuelle Paare, und wenn dieses Urteil ergangen ist, dann werden Sie das natürlich auch bei uns im Programm erfahren.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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