Karneval als Wirtschaftsfaktor

Systemrelevante Fröhlichkeit

30:45 Minuten
Auf der Kölner Schildergasse stehen beleuchtete Karnevalsfiguren der einzelnen Karnevalsgesellschaften. Sie markieren den Weg des Rosenmontagszugs, den es auch 2022 nicht geben wird.
Sollen in Corona-Zeiten ein Gefühl von Karneval vermitteln: Leuchtfiguren markieren den Weg des Rosenmontagsumzugs - der auch dieses Jahr ausfällt. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Von Stephan Beuting |
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Seine Fans sind in Deutschland in der Minderheit. Dennoch: Karneval ist Brauchtum, aber auch Wirtschaftsfaktor. Auch in diesem Jahr wird die Coronapandemie die Feierlichkeiten noch mal mit voller Wucht treffen. Optimistisch zu bleiben, fällt da schwer.
Karnevalsfans sind in Deutschland in der Minderheit. 2019 kamen auf eine Person die feierte vier, die es nicht taten. Zuviel Alkohol, zu albern, Stimmung wirkt aufgesetzt, sagen viele. Dennoch: Karneval ist wichtig, auch über die Fangemeinde hinaus.
"Neben dem Volksfest ist es eben noch ein ganz großer Wirtschaftsfaktor“, sagt Kölns Karnevalspräsident Christoph Kuckelkorn, betont aber auch: "Karneval ist Brauchtum und fußt hier in Köln, auf einer Jahrhunderte alten Tradition. Sogar immaterielles Kulturerbe der Bundesrepublik Deutschland sind wir ja mittlerweile. Das macht den Unterschied aus. Das ist was Tieferes.“

600 Millionen Euro Umsatz

Dieses Tiefere, das wirkt sich auch wirtschaftlich aus: 600 Millionen Euro Umsatz, das hat die Wirtschaftsberatung Boston Consulting mal überschlagen, rund um den Karneval pro Session, allein in der Stadt Köln. 
Kostüm-, Gastronomie-, Friseurgewerbe, auch Taxiunternehmen und die Übernachtungsbranche profitieren davon.

Riss durch die Kneipenszene

Feiern oder nicht feiern? Eine schwierige Frage in Zeiten der Pandemie. Der Riss geht auch mitten durch die Kneipenbesitzerszene. Der 11.11. ist für viele der umsatzstärkste Tag im Jahr. Das Brauhaus Reissdorf am Hahnentor: öffnet. Das Chlodwigeck bleibt geschlossen. Das Backes, eine Kölner Traditionskneipe, entschließt sich erst zu öffnen, rudert dann aber zurück. Die Debatte wird scharf geführt.
Backes-Wirt Philipp Petry schätzt die Umsatzeinbußen in 2021 auf ein Drittel. Die Hilfen seien alle angekommen, die Bierbestellung habe er zeitig runtergefahren aber am Ende fehle ihm gerade die Perspektive.
Herbert Geiss vom Kostümhändler Deiters spricht von 95 Prozent Umsatzeinbruch. Doch für die Zukunft bleibt er optimistisch: Nicht trotz Krise, sondern gerade deswegen wollen die Menschen feiern.

Unauffälliger Inzidenz-Verlauf am 11.11.?

Was den 11.11. angeht, wo unter Auflagen gefeiert wurde, wirkte der Verlauf der Inzidenz für die Stadt Köln unauffällig, lag mittig im durchschnittlichen November-Infektionsgeschehen in Deutschland. Das vielbefürchtete Superspreader-Event sei ausgeblieben, so die Kölner Stadtverwaltung.
Am 7. Januar, im Gürzenich bei der Prinzenproklamation, stehen dann Fahnenträger der Kölner Karnevalsvereine in 2-Meter-Abstands-Hygiene-Aufstellung, ein Spielmannszug ist dabei, Kameraleute für die TV-Übertragung, ein paar Journalisten. Normalerweise feiern hier über 1000 Gäste ausgelassen. In diesem Jahr sind es weniger als 200 - und der Applaus kommt vom Band.

Sonderfonds für Veranstaltungsausfälle

Spätestens als Wissenschaftler den Höchststand der Omikron-Welle für Februar voraussagen ist klar: Die Pandemie wird den Karneval noch mal mit voller Wucht treffen.
Das Festkomitee schätzt, dass pro Session etwa 1000 Karnevalsveranstaltungen stattfinden. Nun werden Anreize geschafft für jene, die wegen der Pandemie alles absagen: Wer das macht, bekommt 90 Prozent der Kosten zurück. Viele Vereine begrüßen den Sonderfonds und den Plan einmal dem Pandemiegeschehen zuvorzukommen. 

Rosenmontagsumzug im Stadion

Die Kölner planen statt des Rosenmontagszugs ein Stadion-Event mit begrenzter Wagenzahl. Und die Düsseldorfer: die wollen um jeden Preis an einem Rosenmontagszug festhalten, ihn nur terminlich ins Frühjahr verschieben.
Einige halten das für eine kreative Lösung, andere für eine große Gefahr. Der Titel immaterielles Kulturerbe sei in Gefahr, käme ja auch niemand auf die Idee, Weihnachten zu verlegen. So würde die Identität des Karnevals der Beliebigkeit ausgesetzt.
Die Coronapandemie ist ein gigantischer gesellschaftlicher Stresstest. Für den Karneval ist sie existenzbedrohend. Wenn alles gut geht, dann überlebt im Karneval das, was am Brauchtum wirklich lebendig ist, das „Tiefe“. Und für den Rest gilt: „Alles hät sing Zick“ - so das diesjährige Kölner Motto - gehabt.
Die Online-Textfassung des Features ist stark gekürzt.

Autor: Stephan Beuting
Sprecherin und Sprecher: Ekin Yilmaz und Stephan Beuting
Regie: Stephan Beuting
Technik: Alexander Stojanoff
Redaktion: Martin Mair

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