Flüchtlinge müssen wissen, woran sie sind
"Witzischkeit kennt keine Obergrenzen" - so oder so ähnlich formulierte es einst Heinz Schenk. Der Journalist Reinhard Mohr empfiehlt, den Flüchtlingen in Deutschland derlei Schabernack genau zu erklären. Insbesondere, wenn der als arbeitsversessene Spaßbremse berüchtigte Deutsche ins Karnevalskostüm steigt.
Ohne es zu ahnen, lösen Flüchtlinge einen schärfer werdenden Streit über unsere Kultur aus. Wurde anfangs noch von Willkommenskultur gesprochen, so forderte man später Anerkennungskultur, Leitkultur und Integrationskultur ein.
Inzwischen wird eine Kultur der Gleichberechtigung angemahnt, die jungen Migranten sogar in öffentlichen Schwimmbädern, Bars und Diskotheken ans Herz gelegt werden soll. Am Ende ist womöglich eine Überforderungskultur zu erwarten: Angst, Abwehr, Aufruhr – hier wie dort.
Da hilft nur Aufklärung – möglichst mit mehrsprachigen Handzetteln, gerade in diesen Tagen.
Exotisches wie "Funkenmariechen" sensibel vermitteln
Denn exotische Phänomene wie der "Gonsenheimer Carneval Verein Schnorreswackler 1892 e.V." müssen ebenso sensibel vermittelt werden wie jene Beine schwingenden Funkenmariechen im kurzen Röckchen, die auch bei anhaltenden Minusgraden und eisigem Wind noch bessere Laune ausstrahlen als Claus Kleber, wenn er "Guten Abend" sagt.
Vier Tage vor Rosenmontag ist Eile geboten, denn die "Weiberfastnacht" ist der Auftakt zur Kultur des Karnevals, die zum eisernen Kernbestand der deutschen Leitkultur gehört.
Ihr Motto hat der unvergessene Bembelgott vom "Blauen Bock", Heinz Schenk, schon vor vielen Jahren prophetisch formuliert: "Witzischkeit kennt keine Obergrenzen, Witzischkeit kennt kein Pardon!" Passend dazu lautet das diesjährige Kölner Motto: "Mer stelle alles op den Kopp!" Klar: Das schaffen wir!
Spaßbremse schlüpft ins Narrenkostüm
Einmal im Jahr lässt es der Deutsche, weltweit als arbeitsversessene Spaßbremse berüchtigt, südlich einer Linie Düsseldorf – Schkopau – Oberlausitz richtig krachen. Dann verlässt er Mann oder Frau, aber vor allem die Kinder, schlüpft ins Narrenkostüm, setzt sich Mütze und Pappnase auf und ruft wie von Sinnen "Helau und Alaaf"!
Bis zur Heiserkeit singt er "Humba humba tätärä", "Echte Fründe" und "Drink doch ene mit", vertilgt Unmengen Kölsch oder Rheingauer Riesling, schleudert "Kamelle" auf die Straße, schunkelt und "bützt" mit der Sitznachbarin im Froschkostüm, bis die giftgrüne Wimperntusche zerlaufen ist.
Vor Aschermittwoch gibt es weder Ober- noch Untergrenzen der rituellen Fröhlichkeit, schon gar keine gesicherten Außengrenzen. Selbst flexible Lach-Kontingente im Sinne des A2-Konzepts von Julia Klöckner haben hier keine Chance.
Und die verteilungsgerechte europäische Humor-Lösung geht im hundertfachen "Auauauauau! Eieieieiei!" unter, wenn der Büttenredner wieder mal einen Volltreffer unter der Gürtellinie gelandet hat: "Wer postet so spät in der Nacht ein Selfie? Es ist der Kevin, er liegt auf der Elfie!"
Spott ist das antiautoritäre Karnevalsmotiv
Über dem irren Treiben wachen das Kölner Dreigestirn, der Mainzer Elferrat, die Prinzengarde und das Corps der treuen Husaren. Das deutsche Fernsehen überträgt nahezu rund um die Uhr.
Die wichtigste Botschaft droht allerdings im närrischen Trubel der eingeborenen Töchter und Söhne Germaniens mitsamt all der Zoten und flachen Witze unterzugehen: Die Kultur von Spott und Ironie, Satire und Sarkasmus. Sie ist nicht nur das antifeudale und antiautoritäre Ur-Motiv der Määnzer Fassenacht und des Kölner Karnevals – sie ist die Quelle der europäischen Freiheit, westlicher Lebensart überhaupt.
Es ist diese Freiheit, die den närrischen Gedanken erst möglich macht, an diesem Freitag könnte beim Pontifikalamt der deutschen Fernseh-Fassenacht "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht" der Sitzungspräsident in alter Tradition die Frage ans Publikum richten: "Drausse steht e Flüchtling. Wolle mer den eroilasse?!"
Sollten Asylsuchende nicht auch darüber aufgeklärt werden, dass Einheimische, die ihnen unverkleidet entgegenkommen, auf der Flucht vor der Fastnacht sind? Man trifft sich in der Erstaufnahme!
Reinhard Mohr, geboren 1955, ist freier Journalist. Zuvor schrieb er für "Spiegel Online" und war langjähriger Kulturredakteur des "Spiegel". Weitere journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Buchveröffentlichungen u. a.: "Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken", "Das Deutschlandgefühl", "Generation Z", "Der diskrete Charme der Rebellion. Ein Leben mit den 68ern" und "Meide deinen Nächsten. Beobachtungen eines Stadtneurotikers".