Deutscher Humor

Auch beim Karneval auf Führung angewiesen

Das Orchester der "Kölner Milchmädchen" tritt in Verkleidung beim Kölner Strassenkarneval auf, ca. 1910. Eine Männerguppe in Frauenkleidung mit Kopftüchern spielt mit Blasinstrumenten einen Tusch.
Das Signal, dass jetzt gelacht werden darf: ein Tusch der "Kölner Milchmädchen" beim Karneval im Jahr 1910. © Getty Images / Paul Thompson / Hulton Archive
Ein Kommentar von Paul Stänner |
Ob beim Kölner Karneval oder beim bayerischen Starkbieranstich nach Fasching: Wir Deutschen brauchen offenbar den Tusch, damit wir wissen, wann wir lachen dürfen. Dabei gibt es eine große Humortradition und unser Alltag ist komisch genug.
Humor in Deutschland ist schwer zu organisieren. Die rheinische Spaßhochburg Köln hat aus diesem Grund jahrelang einen Bestattungsunternehmer zum Organisator des Karnevalsumzugs ernannt, in dem Wissen, dass, wer eine Leiche ordentlich unter die Erde bringt, auch einen Witz auf die Straße tragen kann.
Entscheidend ist, dass Humor in Deutschland landschaftlich organisiert ist. Zum Beispiel wird mir als Münsterländer nachgesagt, ich würde zum Lachen in den Keller gehen. Zu Karneval im Februar nehmen wir natürlich den Heizungskeller.

Unterhaltungspflicht auch beim Karneval 2023

Im lustigen Rheinland hingegen war ich in einem noch unfertigen Neubau zu einer Karnevalsfete eingeladen. Neubau – weil die Räume ja noch so schön leer waren. Die Heizung funktionierte auch noch nicht. Mir war kalt, ich stand steif in der Ecke und musste mir die markige Aufforderung gefallen lassen, ich solle mich mal locker machen.
Das rheinische Humorethos erlaubt es nicht, dass bei Spaß und Musik jemand seiner Unterhaltungspflicht nicht nachkommt, egal wie die Umstände sind. Diese Sorte Karneval kann man außerhalb des Rheinlandes kaum vermitteln.

Politiker machen sich zum Affen

Das bayerische Politiker-Derblecken beim Starkbieranstich ist auch nur in Bayern ein Spaß. Da werden Politiker von Humoristen verscheißert, sitzen währenddessen gut sichtbar für die Fernsehkameras in der vordersten Reihe und müssen sich ausschütten vor Lustigkeit. Stärker kann man sich nicht zum Affen machen.
Zu einem Markus Söder passt das, einem Friedrich Merz würde das nie passieren – zumal wir Münsterländer wissen, dass Sauerländer sowieso nicht lachen. In München gehört zu diesem Rüpelspiel auch ein katholischer Fastenprediger, der den Politikern Moral beibringen soll. Das ist wirklich komisch.
Dabei ist Deutschland ein Land mit großer Humortradition. Wilhelm Busch ist ein Leuchtturm des deutschen Humors, Loriot ein Titan. Oder Heinz Erhardt mit dem kürzesten Gedicht aller Zeiten: "Sekt – der schmeckt!"
Für den Humor der Deutschen spricht, dass wir die Silvestereinlage "Dinner for One" noch nach Jahren und Jahrzehnten lustig finden, worüber kein Engländer lachen kann. Während die Briten Nigel Farage ins Europaparlament schicken mussten, um sich über Europa lustig zu machen, haben wir mit Martin Sonneborn und Nico Semsrott zwei echte Komiker nach Brüssel geschickt. Die sich gerade gegenseitig ihre schlechten Witze vorwerfen. Was sehr komisch ist!

Tusch als Fortsetzung des Militärischen im Humor

Wir Deutschen können Humor. Andererseits: Noch immer sind wir beim Humor auf Führung angewiesen. Daher der Tusch! Der Tusch ist die Fortsetzung des deutschen militärischen Denkens in den deutschen Humor hinein. Wie zum Angriff die Fanfare gibt zum Lachen der Tusch das Signal, dass es jetzt losgeht. Weil aus eigenem Antrieb die Leute nicht wissen, nicht wissen können, dass sie jetzt lachen müssen. Also Tusch!
Von Fernsehkomikern wie Jan Böhmermann wird der Tusch in einer leicht subtileren Form fortgeführt, indem sie sich über Gags, die sie gerade vorgelesen haben, ausschütten vor Lachen. So lange, bis auch der oder die letzte Zuschauende begriffen hat: Hier muss irgendwas lustig gewesen sein.
Dabei haben wir diese organisierte Form von Witz gar nicht nötig. Unser Alltag ist doch komisch genug:
Boris Pistorius wird Verteidigungsminister und muss als Erstes einmal zählen, wie viele Panzer wir überhaupt haben. Tusch!
Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht wollen die ukrainischen Frauen vor der Vergewaltigung retten, indem sie ihnen die Kapitulation empfehlen. Doppeltusch!
Eine Tanzkritikerin bekommt von einem beleidigten Ballettchef Hundedreck ins Gesicht geschmiert – und er greift dafür zum Kot seines deutschen Dackels! Der große Künstler als kleiner Spießer. Tuschtuschtusch.
Und jetzt: Humor vorgetreten! Freiwillige im Rosenmontagszug erhalten die Lachkampfspange in Plastik.
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