Karosh Taha: "Im Bauch der Königin"
Dumont, Köln 2020 (ab 29.4.)
250 Seiten, 22 Euro
Von prügelnden und promisken Frauen
10:29 Minuten
Was heißt es heute, eine deutsch-kurdische Frau zu sein? Das verhandelt Karosh Taha in ihrem neuen Roman anhand von zwei Frauen, die mit gesellschaftlichen Regeln brechen. "Migrantenliteratur" sei ihr Buch nicht, sagt die Autorin.
Shahira und Amal heißen die zwei Frauenfiguren im neuen Roman von Karosh Taha. Sie leben in der deutsch-kurdischen Community und sie stehen für zwei Seiten von Weiblichkeit. "Im Bauch der Königin" ist der zweite Roman der 1987 im Nordirak geborenen Schriftstellerin, die seit 1997 im Ruhrgebiet lebt, wo sie bis vor zwei Jahren auch als Lehrerin gearbeitet hat.
Der Roman ist schon formal ein besonderes Buch, denn man kann ihn von vorne und von hinten lesen. Von der einen Seite liest man die Geschichte von Younes und seiner freizügig lebenden Mutter Shahira, die für ihre Lebensweise angefeindet wird, wenn man von der anderen Seite liest, erfährt man von Amal, der späteren Freundin von Younes.
Taha sagt dazu, es sei nicht ein Buch, das einfach nur zwei Perspektiven beleuchtet, denn dann bräuchte man das Wendeformat nicht. "Es sind tatsächlich zwei Realitäten, zwei Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen." Für sie habe im Vordergrund gestanden, dass das Buch als Körper diese zwei Teile verbinden könne.
Fragen der Wahrnehmung
In "Im Bauch der Königin" geht es stark um das Thema Wahrnehmung. "Die Wahrnehmung, die immer eine andere ist, die Wahrnehmung, die dafür verantwortlich ist, wie wir von der Vergangenheit und von der Realität erzählen", sagt Taha.
Es gehe zum Beispiel auch darum, wie unterschiedlich Handlungen beurteilt werden – je nach Geschlecht des Handelnden: Amal etwa verprügele ebenso wie der Junge Raffiq ihren späteren Freund Younes. "Aber die Tat, einen Jungen zu verprügeln, wird unterschiedlich bewertet. Bei dem Mädchen wird ein großes Aufheben darum gemacht, dass sie einen Jungen verprügelt hat. Das wird immer wieder erzählt, sie wird als Bursche wahrgenommen, die Direktorin sagt, sie sei unzivilisiert, dass sie bestraft werden müsste, für diese Tat", so Taha. "Bei dem Jungen wird das anders bewertet – die zwei Mütter streiten sich kurz und dann war’s das."
Das habe sie interessiert, sagt Taha: wie eine Handlung einer "männlich gelesenen oder einer weiblich gelesenen Person bewertet wird". Das lasse sich auch an der Figur der kurdischen Frau Shahira zeigen, die promisk lebe und genau dafür bestraft werde. Taha macht klar, dass es hier nicht um die kurdische Community geht, sondern um die deutsche Gesellschaft.
Für eine promiske Frau gebe es praktisch keinen Begriff, sagt Taha. Für promisk lebende Männer gebe es dagegen viele: "'Weiberheld', in der Literatur 'Don Juan' oder 'Casanova', humoristisch 'Schürzenjäger'". Im Englischen gebe es 'Ladykiller', also einen gewaltvollen Begriff. "Aber für die Frau gibt es diese Begriffe nur in einem sehr negativen Kontext, dass sie nämlich ihre Sexualität, zum Beispiel die femme fatale, immer instrumentalisiert, um den Mann zu manipulieren."
Von wegen "Migrantenliteratur"
"Ich versuche dann, mich nicht davon ärgern zu lassen, auch wenn es das tut", sagt Taha, wenn ihre Bücher als "Migrantenliteratur" bezeichnet werden. Sie könne mit dem Begriff nichts anfangen: "Ich schreibe ja auf Deutsch, ich bin eine deutschsprachige Schriftstellerin." Sie spreche zwar auch Kurdisch, aber viel besser Deutsch.
"Unabhängig davon bedeutet dieser Begriff ja nur eine weitere Kategorisierung und eine weitere Zuschreibung, um eine bestimmte Art von Literatur und eine bestimmte Gruppe von Menschen auszuschließen beziehungsweise an den Rand zu drängen", meint Taha. "Weil Migrantenliteratur bedeutet ja nicht deutsche Gegenwartsliteratur."
Es sei eine Unterkategorie, vor allem werde es im Feuilleton als Trend gesehen, aber Trends gingen auch wieder vorbei, sagt Taha. Und was dann – "wie behandelt man dann diese Art von Literatur?"
Deswegen wehre sie sich gegen den Begriff "Migrantinnenliteratur" – der Begriff verrate mehr über den Sprecher, als dass er ihre Literatur beschreibe, meint Taha.