Karrierechancen für Wissenschaftlerinnen in der Physik am besten

Anita Engels im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Die Soziologieprofessorin Anita Engels hat unterschiedliche Faktoren für die Entwicklungsmöglichkeiten der Geschlechter in der Wissenschaft verantwortlich gemacht. Anlässlich einer Tagung zum Thema Chancengleichheit in Speyer erklärte sie unter anderem das Zusammenwirken von verschiedenen Fachkulturen und Förderanreizen für die Wissenschaft.
Klaus Pokatzky: Im rheinland-pfälzischen Speyer gibt es jetzt eine Tagung unter dem Motto Chancengleichheit von Männern und Frauen in der Wissenschaft. Anita Engels ist gemeinsam mit ihrem Kollegen Georg Krücken die wissenschaftliche Leiterin der Tagung. Guten Tag, Frau Engels.

Anita Engels: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Frau Engels, Sie sind an der Universität Hamburg Professorin für Soziologie. Ist das eigentlich ein Fach, das man Frauen eher zutraut als die harten Naturwissenschaften, hätten Sie es schwerer gehabt, Professorin für Physik oder Chemie zu werden?

Engels: Das ist im Nachhinein sehr schwer zu beurteilen. Ich glaube nicht unbedingt, dass man das Fachfrauen eher zutraut als die sogenannten harten Naturwissenschaften. Von mir kann ich sicherlich behaupten, ich bin, als ich das Abitur in der Tasche hatte, gar nicht auf die Idee gekommen, irgendetwas anderes zu studieren als eine Sozialwissenschaft, weil ich es mir nicht zugetraut habe. Im Abstand von einigen Jahren könnte ich jetzt sicherlich auch andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen.

Pokatzky: Können Sie sich vorstellen, dass Sie genauso dann auch Professorin in Naturwissenschaften geworden wären, also gibt es da keine Ungleichheiten im Bereich, auf der einen Seite Gesellschaft, Sozialwissenschaften, andererseits Naturwissenschaften?

Engels: Da kann ich jetzt wirklich nur drüber spekulieren, ob mir das in gleicher Weise gelungen wäre. Ich habe ja nur gesagt, ich würde es mir zutrauen, das zu versuchen.

Ob man mit einer Laufbahn in der Wissenschaft dann tatsächlich Erfolg hat, hängt von unglaublich vielen unterschiedlichen Faktoren zusammen. In der Soziologie sind mir Bedingungen begegnet, die mich immer wieder sehr ermutigt haben, und das wäre für andere wissenschaftliche Bereiche sicher an manchen Standorten auch der Fall gewesen.

Pokatzky: Was sind das für Bedingungen, die Sie ermutigen konnten und die Sie dann am Ende auch zu einer Professur an der Universität Hamburg gebracht haben?

Engels: Ich hatte im Grunde genommen seit dem Studium immer wieder Professoren oder Vorgesetzte um mich herum, die mir signalisiert haben, dass das, was ich mache, gut ist, dass es richtig ist ...

Pokatzky: Professoren heißt Männer?

Engels: Ja, in dem Fall waren es überwiegend Männer, aber nicht nur. Also es gab in dem Fach einen leichten Männerüberhang, und ich habe sehr viel in Bereichen studiert, die von Männern dominiert waren.

Pokatzky: Was sind das für Bereiche, welche Bereiche werden noch von Männern dominiert? Welches sind quasi so männliche Wissenschaften?

Engels: In der Soziologie kann man sagen, also entweder die sehr statistisch ausgelegten Fachbereiche – das habe ich jetzt nicht studiert – oder – und da habe ich meine Schwerpunkte gesetzt – die sehr theoretisch ausgelegten Bereiche.

Pokatzky: Ich spreche mit der Hamburger Soziologieprofessorin Anita Engels über Frauen in der Wissenschaft. Frau Engels, Sie sind Leiterin eines Forschungsprojektes des Bundesministeriums für Bildung und Forschung mit dem Titel "Frauen in der Spitzenforschung". Begonnen hat das Ganze vor drei Jahren, in zwei Jahren sollen die Ergebnisse vorliegen. Gibt es denn schon Zwischenergebnisse?

Engels: Ja, ich denke, Zwischenergebnisse gibt es eine Menge. Die Exzellenzinitiative, zu der wir hier eine Begleitforschung anstellen, ist ja in der Dauerbeobachtung durch viele Forschungsinstanzen. Da wird sehr häufig gefragt, was wird eigentlich aus diesem ganzen Geld, was in die Forschung fließt, zusätzliche Milliarden, was entsteht daraus eigentlich.

Es gibt eine Reihe von Effekten für die deutsche Hochschullandschaft, also eine verstärkte Stratifizierung beispielsweise. Und den Teil, den wir dort beobachten, der bezieht sich auf die Frage, was passiert eigentlich mit dem Thema Chancengleichheit für Männer und Frauen in der Exzellenzinitiative.

Pokatzky: Beantworten Sie die Frage bitte: Was passiert da, wenn es um die Chancengleichheit geht?

Engels: Ja, wir haben zunächst mal eine sehr interessante Beobachtung – es gibt ja seit Mitte der 80er-Jahre institutionalisierte Gleichstellungspolitik an den deutschen Hochschulen, seit etwa zehn Jahren gibt es in den Leitungsgremien der Forschungsfördereinrichtungen so eine sehr strategische Diskussion darum, wie kann man jetzt eigentlich mehr Frauen in die Wissenschaft bringen.

Und seit wenigen Jahren ist diese sehr strategische Diskussion auf die Ebene der Hochschulleitungen heruntergebrochen worden, sodass jetzt einzelne Hochschulen eben sehr viel stärker als noch vor 10, 15 Jahren gezwungen sind, darüber nachzudenken, wie sie ihren Frauenanteil steigern können, insbesondere auf den Spitzenpositionen.

Pokatzky: Weil sie sonst keine Chancen haben, Exzellenzuniversität zu werden. Aber warum, Frau Engels, sind es denn bisher immer noch nur 15 Prozent Frauen unter den Professoren?

Engels: Dafür gibt es eine ganze Reihe von Faktoren. Wir untersuchen das in einer großen Gruppe von einzelnen Exzellenzeinrichtungen, das heißt also Graduiertenschulen und Exzellenzcluster. Ein ganz wichtiger Erklärungsanteil hier ist das Zusammenwirken von Fachkulturen und Förderanreizen für die Wissenschaft. Sie haben also eine ganz Ausgangssituation, wenn Sie in die Physik schauen, als wenn Sie beispielsweise in die Sprach- und Kulturwissenschaften sehen.

In der Physikwissenschaft fangen etwa 20 Prozent Frauen im Studium an, also wenn sie auf die Studienanfängerzahlen gehen, haben Sie einen Frauenanteil von etwa 20 Prozent. Wenn Sie vergleichen, wie sich dieser Frauenanteil auf allen weiteren Qualifikationsstufen dann entwickelt – also das sogenannte Kaskadenmodell anwenden –, dann sehen Sie, in der Physik gehen gar nicht so viele Frauen verloren wie in anderen Fachbereichen. Die werden da ... offenbar haben sie relativ gute Chancen, wenn sie einmal die Promotion auch geschafft haben, also wenn sie sich überhaupt für die weitere akademische Laufbahn entscheiden, dann auch dort voranzukommen.

Pokatzky: Und warum gehen die Frauen in anderen Fachbereichen verloren?

Engels: Ja, wenn ich das jetzt mal aufgreifen darf, in den Sprach- und Kulturwissenschaften haben Sie 70, 80 Prozent Studienanfängerinnen und dann am Ende dieser Kaskade einen Professorinnenanteil von vielleicht 24 Prozent. Also offenbar gibt es da innerhalb dieser Fachbereiche Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Chancengleichheit so nicht gegeben ist.

Das hängt jetzt zum einen damit zusammen, dass die Bedingungen für eine erfolgreiche Promotion und für eine gute wissenschaftliche Bewertung hier häufig nicht so standardisiert sind. Es kommt in vielen kulturwissenschaftlichen Bereichen sehr stark darauf an, dass sie, beispielsweise wenn sie sich auf eine Professur bewerben, in dem Moment des Vortrages sehr gut präsentieren können: Ich bin die Person, die Sie haben wollen, und ich habe genau diese Leistungen erbracht in meinem bisherigen Werdegang.

In anderen Fachbereichen, die sehr stark mathematisiert sind, gibt es viel klarere und transparentere Bewertungskriterien. Da sehen Sie schon an der schriftlichen Bewerbung, die sie einreichen, aha, die und die und die Publikationen sind erbracht worden, das kann man jetzt schon mal so positiv bewerten.

Pokatzky: Nun gibt es ja an den Universitäten, wenn es um Professorenstellen geht, eine Hierarchie, die ist ja fast so wie im Militär. Also es gibt ganz unten die Juniorprofessoren, Sie schweben mit Ihrer W3-Professur ganz weit oben. Werden Frauen eher so in diesen unteren Hierarchie-Professuren versteckt?

Engels: Ein Problem an der wissenschaftlichen Laufbahn in Deutschland ist natürlich, dass Sie keine Chance haben, in diesen – wie Sie gesagt haben – unteren Regionen zu verweilen. Sie müssen, wenn Sie dauerhaft im System bleiben wollen, die Professur, die W3-Professur anstreben, denn alle anderen Professuren oder Möglichkeiten unterhalb von W2- und W3-Professuren sind ja befristet, und Sie dürfen nicht einfach viele Jahre hinweg auf solchen befristeten Arbeitsverträgen dann im Wissenschaftssystem bleiben.

Das heißt, Sie haben sehr lange eine Unsicherheitsphase in der wissenschaftlichen Laufbahn und haben ein sehr hohes Risiko, wenn Sie dann irgendwann nicht die Professur erreicht haben, dann rauszufallen und sozusagen ins Bodenlose abzugleiten. Deswegen findet man auf diesen frühen Qualifikationsstufen noch relativ viele Frauen, und das, ja, verschwindet dann so nach und nach, je höher man in der Karrierestufe nach oben geht.

Pokatzky: Frau Engels, wenn ich die gute Fee wäre oder der gute Fähnrich und Sie hätten einen einzigen Wunsch frei, damit sich die Situation der Frauen in den Wissenschaften verbessert, damit es dort noch mehr werden, was würden Sie sich ganz schnell und sofort wünschen?

Engels: Also ich wünsche mir massenhaft Frauen, die für sich entscheiden, die wissenschaftliche Laufbahn ist richtig toll, weil es geht um Forschung, es geht um Erkenntnisgewinn, das ist fasziniert. Ich wünsche mir, das ist der anderthalbste Wunsch, dass diese Frauen sich die richtigen Partner suchen und die richtigen Unterstützungsstrukturen finden, sodass sie mit diesem Wunsch dann auch weiterkommen.

Pokatzky: Danke, Anita Engels, Soziologieprofessorin in Hamburg, und viel Spaß noch bei Ihrer Tagung in Speyer, "Chancengleichheit von Männern und Frauen in der Wissenschaft".