Abschied von einem, der alles kann
Wenn am Samstag die Bundesliga-Saison zu Ende geht, ist für einen Spieler so richtig Schluss: Philipp Lahm, der 2014 mit der Nationalmannschaft Weltmeister wurde und dem FC Bayern zeitlebens treu geblieben ist, beendet seine Karriere.
Ein großes Talent, ein Kobold auf dem Fußballplatz, ein treues Münchner Kindl: Philipp Lahm, Spielfeldüberschauer, Schwindligdribbler, Flankengeber – hört auf. Am Samstagabend ist Schluss.
Beginnen sollte man mit Fußball - und mit einem ernsthaften Problem, das Philipp Lahm seinen Trainern stellte, zugegeben ein Luxusproblem. Wohin mit einem, der alles kann?
"Philipp kann auf zehn Positionen spielen. Er hat diese überragende Qualität."
Auf allen Positionen, außer im Tor. So hielt es nicht nur der ehemalige Bayern-Coach Pep Guardiola, sondern auch Bundestrainer Joachim Löw:
"Der Philipp ist wahrscheinlich einer der wenigen Spieler in Deutschland, der auf allen Positionen spielen kann, er ist von rechts nach links gewechselt, das hat ihm keine Umstellungsschwierigkeiten bereitet."
Der beste Rechtsaußenverteidiger der Welt
Philipp Lahm ist ein Allround-Talent. Aber irgendwie dann doch vor allem der beste Rechtsaußenverteidiger der Welt. Wohl hunderte Tore haben damit begonnen, dass Lahm dem Gegenspieler den Ball wegnahm, ihm davon dribbelte – über Dutzende Meter den freien Mann sah – und ihm eine grandiose Flanke auflegte.
Es ist nicht einfach für einen heutigen Fußballprofi auch ein persönliches Profil zu bekommen. Außer den durchgecoachten Interviewphrasen dringt seit Jahrzehnten nur noch wenig von den Spielern an die Öffentlichkeit. Doch Lahm gelang es, sich Profil zu verschaffen. In einem Interview, das er unter Umgehung des Bayern-Pressesprechers der Süddeutschen Zeitung gab, kritisierte er den Trainer Louis van Gaal und die Einkaufspolitik seines Vereins. In schweren Zeiten müsse man eingreifen, rechtfertigte sich Lahm im Interview, in dem er das Prinzip FC Bayern bis zur Gänze entzauberte:
"Man darf Spieler nicht kaufen, nur weil sie gut sind", erklärte Lahm. Mit dieser schonungslosen Ehrlichkeit erntete der damals 25-Jährige großen Beifall – und eine Geldstrafe von Vereinsmanager Uli Hoeneß in Höhe von 50.000 Euro.
Offene Kritik an diversen Trainern
Seine Unabhängigkeit pflegte Lahm weiter, auch im Fußball-Diskurs. Sein Buch, das 2011 im Verlag Kunstmann erschien, trägt wohl nicht ohne Grund den Titel "Der feine Unterschied", was man als eine Anspielung an das Werk des Soziologen Pierre Bourdieu lesen könnte: Der hatte beschrieben, wie sich soziale Klassen nicht nur durch Geld, sondern auch kulturell unterscheiden. Mit seinem Buch markierte Lahm vor allem den Unterschied zum Klischeefußballer. Hier spricht einer, der nicht nur die praktische Fußballerintelligenz besitzt, sondern der den Fußball auch als Analytiker versteht.
Möglicherweise wusste er auch, was seine Kritik im Buch an diversen Trainern der Vergangenheit nach sich zog. Ex-Bundestrainer Rudi Völler, dessen Methoden Lahm als "lustig" und "unsystematisch" abkanzelte, gab sich damals schwer beleidigt, und auch der amtierende Coach der Nationalmannschaft Jogi Löw befand, solche Worte gehörten sich nicht für einen noch spielenden Nationalspieler.
Seinen Trainer Löw hat Lahm allerdings nie kritisiert, schließlich hatte er ihm zu verdanken, dass er Kapitän der Nationalmannschaft wurde. 2010 verletzte sich Michael Ballack – Löw übergab die Kapitänsbinde Lahm – der sich sogleich selbst zum permanenten Spielführer erklärte.
"Ich werde nicht nach dem Turnier zum Bundestrainer hingehen und ihm die Kapitänsbinde wieder zurückgeben."
Manche im Team kritisierten Lahm für diesen Satz, Bundestrainer Löw ließ ihn gewähren. Michael Ballack fühlte sich lange noch von den beiden ausgebootet. Erst 2013 kam es zur Versöhnung der Drei bei Ballacks Abschiedsspiel.
Engagiert und ungekünstelt
Abseits von Fußball-Politik machte Philipp Lahm ein geradezu braves Bild, er repräsentiert einen bodenständigen, einen bayerischen FC Bayern. Allen werden seine regelmäßigen Fernseh-Interviews im Gedächtnis bleiben, bei denen er mit seinen großen braunen Augen und seinen 1,70 Meter immer ein bisschen nach oben schaut, um der Kameralinse zu begegnen. Philipp Lahm hat es tatsächlich geschafft, bei dem üblich schnöden Gerede am Spielfeldrand doch noch einen Unterschied zu machen. Engagiert, ungekünstelt – und mit so viel Chuzpe, wie es der Beruf des Fußballprofis unserer Tage eben noch hergibt.
Noch eine Besonderheit Philipp Lahms: Er ist dem FC Bayern bis zuletzt treu geblieben. Nur zwei Jahre lang spielte er – als Leihgabe – beim VfB Stuttgart. Ansonsten band er sich langfristig an den Verein, für den er mit 12 Jahren zu spielen begann.
"Ich finde, man hat hier alles beim FC Bayern."
Philipp Lahm hat Glück gehabt. Kaum Verletzungen haben seine Karriere unterbrochen. 2014, nach dem Weltmeistertitel in Brasilien, beendete er seine Karriere in der Nationalmannschaft. Nun folgt der Abtritt aus der Bundesliga, in einem vergleichsweise bescheidenen Moment. Mit den Bayern ist er dieses Jahr in Anführungsstrichen 'nur' Deutscher Meister geworden, aber das immerhin schon zum achten Mal.