Kurz vor dem Untergang
Vor 40 Jahren eröffnete die Karstadt-Filiale im Arbeiterviertel Hamburg-Billstedt. Zehn Jahre später zog das Kaufhaus um und wurde zum Herzstück einer grauen Shopping-Mall. Nächstes Jahr soll die Filiale schließen. Viele Anwohner sind darüber empört.
Abends um sechs ist das Billstedt-Center gut besucht. Alte wie junge Menschen, Eltern mit und ohne Kinder flanieren durch die weiten Gänge der weihnachtlich-gold-glitzernden Einkaufsmeile. Umsatz machen aber vor allem der Elektronikmarkt, die schwedische Bekleidungskette mit den zwei Buchstaben, die Fast-Food-Läden, die Drogerie und der Supermarkt. Gähnende Leere herrscht dagegen in der Karstadt-Filiale. Schon seit Jahren. Aber obwohl so viele Billstedter eher am Karstadt-Billstedt vorbei- als hineinlaufen, ärgern sich viele von ihnen über die Schließungspläne. Mitte 2015 macht die Filiale dicht.
Frau: "Er fehlt! Was soll da rein? Da kommen nur noch kleine Läden rein. Alles nur noch billig, billig, billig… Und ich möchte was Vernünftiges auch hier in Billstedt haben!"
Gefahr für ein ganzes Shopping-Center
Für die kleinen Alltagsbesorgungen – für Knöpfe und Nähgarn, ein neues Bettlaken oder ein Fahrradschloss – müsse sie nach der Karstadt-Schließung in die U-Bahn steigen, in anderen Stadtteilen einkaufen, erzählt die junge Frau. Und wer weiß: vielleicht ist dann ganze Shopping-Center in Gefahr. Ein Shopping-Koloss, erbaut Mitte der Achtzigerjahre, mitten im Arbeiterviertel Billstedt. Ein Symbol für Wohlstand; dafür, dass es nun auch mit Billstedt aufwärts gehen sollte.
Ein alter Billstedter, dunkle Schirmmütze, Zigarette im Mundwinkel, lässt seiner Wut über das Karstadt-Aus freien Lauf:
Mann:"Totale Scheiße! Weil die bescheuert sind! Das ganze Center ist eh nur noch ein Plünnen- und Fetzenladen! Und der einzig vernünftige Laden – Karstadt – den machen sie zu. Und warum? Weil im Management Vollidioten sitzen! Habgierige Arschlöcher, die von nichts eine Ahnung haben! Ist aber nicht nur bei Karstadt so. Ist allgemein so!"
Der gleichen Meinung ist auch Mehmet Yildiz, Bürgerschaftsabgeordneter aus Hamburg-Billstedt. Aber er formuliert es anders. Wenn Karstadt dicht macht, warnt Yildiz, ist das ganze Billstedt-Center in Gefahr:
Mehmet Yildiz:"Das Einkaufszentrum ist nicht nur ein Einkaufszentrum! Das ist ein Ort der Begegnung. Es ist ein Ort, wo Menschen zusammen kommen, sich unterhalten, einen Kaffee trinken. Und sehr viel gemeinsam unternehmen! Und wenn der Karstadt da weg geht, wird es faktisch auch ein Existenzproblem geben und das Einkaufszentrum, meiner Auffassung nach, nicht mehr lange existieren wird."
Deshalb veranstaltet Mehmet Yildiz einen Diskussionsabend im "Kulturpalast Billstedt". Elf Anwohner sind gekommen, hören sich die Sichtweise der Linken zum Thema an: Karstadt-Manager kamen und gingen, strichen Millionengehälter oder -abfindungen ein und jetzt machen sie die Filiale in Billstedt dicht, setzen die 75 Angestellten vor die Tür. Und der Hamburger Senat und der zuständige Bezirksamtsleiter Andy Grote, so Yildiz, würden sich um die Sorgen der Billstedter um ihr Einkaufszentrum einfach nicht kümmern, so Yildiz:
Yildiz: "Dass man überhaupt mal darüber spricht, das kommt leider nicht zustande! Und ist eine Arroganz und Ignoranz der Politik. Von Herrn Grote und von Bürgermeister Scholz!"
Deshalb müsse man in Billstedt Widerstand leisten, Demos auf die Beine stellen, Unterschriften sammeln. Der gescholtene Bezirksamtsleiter Andy Grote hat aber die Hoffnung auf eine Karstadt-Rettung in letzter Sekunde längst aufgegeben.
Grote:"Wir haben am Anfang auch gesagt: ´Oh Gott! Katastrophe! Wir müssen alles tun, damit Karstadt da bleibt!?` Und sind auch mir dieser Intention an Karstadt herangetreten. Und haben uns dann aber deren Einschätzung angehört. Und ich glaube, die Situation in Billstedt wird sich mit neuen Vermietungen – es wird mehrere Mieter dort auch geben – wird sich verbessern. Es wird erheblich investiert werden in das Gebäude!"
Falsche Romantik
Den Zorn der Billstedter über die Karstadt-Schließung kann Andy Grote zwar verstehen. Aber die nun entstandene Romantik – "Unser Karstadt soll bleiben!" – hinterfragt der Bezirkschef:
Grote:"Eine besondere Affinität zu diesem Karstadt hat es da nicht gegeben. Jedenfalls nicht so, dass man da gerne hingegangen ist. Insofern ist das mit ´Unserem Karstadt` jetzt immer so eine Sache…"
Mit wem gerade Verhandlungen über eine Übernahme der alten Karstadt-Flächen laufen, verrät Andy Grote nicht. Nur so viel: eine große Handelsfirma, ein so genannter Ankermieter soll den größten Teil übernehmen. Mehrere kleine Firmen den Rest. Mehmet Yildiz befürchtet, dass der irische Billig-Textil-Discounter Primark dort einziehen wird. Dadurch, so Yildiz, würde das Shopping-Center aber eher ab- als aufgewertet. Und die Primark-Produkte – das T-Shirt für ein Euro, die Jeans für 18 Euro - seien alles andere als fair gehandelt. Fest steht: eine Wahl haben die Billstedter wohl nicht. Von Unterschriftenlisten und kleinen Demos für "Unseren Karstadt" wird sich das Management des Unternehmens kaum beeindrucken lassen.