Karsten Voigt wirft Merkel "Naivität" vor
Dass Angela Merkel offensichtlich geglaubt habe, sie sei von den Abhöraktionen der NSA "freigestellt", spreche "für eine gewisse Naivität", sagt Karsten Voigt (SPD). Man müsse die Schutzmaßnahmen verstärken, da auch andere Staaten mit den gleichen technischen Möglichkeiten spionieren könnten, sagt der ehemalige Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.
Gabi Wuttke: Schon unter George W. Bush war kein Geheimnis mehr, was Angela Merkel über ihr Handy abwickelte. "Der Spiegel" und die "New York Times" berichten übereinstimmend von einem entsprechenden Dokument der NSA. Ihr Chef ist seinem obersten Dienstherrn gerade von hinten in die Knie getreten: Barack Obama habe von der Ausspähung der mächtigsten Frau der Welt nichts gewusst. Elf Jahre, bis 2010, koordinierte der Sozialdemokrat Karsten Voigt für die Bundesregierung die Zusammenarbeit der beiden Staaten, jetzt ist er am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Herr Voigt.
Karsten Voigt: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Steht Obama durch die Einlassungen von Keith Alexander jetzt wie ein begossener Pudel da oder hat er noch die Möglichkeit zu beweisen, Herr im eigenen Haus zu sein?
Voigt: Es ist so oder so für ihn eine schwierige Situation. Wenn er davon gewusst hatte, ist das natürlich schlimm, dass er das nicht eingestellt hat, und wenn er davon nicht gewusst hatte, zeigt es, dass die Nachrichtendienste und ihre Tätigkeit der Kontrolle der politischen Führung entglitten sind, und ich rechne durchaus mit dem Letzteren.
Wuttke: Es ist ja sowieso ziemlich schwierig, also einerseits die Wogen mit Angela Merkel zu glätten und andererseits Position zu beziehen und zu sagen, ich bin der oberste Chef. Geht das in dieser Situation überhaupt noch?
Voigt: Es geht darum, dass den Amerikanern nach Nine Eleven zwei Dinge passiert sind: Sie haben einerseits in einer hemmungslosen Art und Weise das Thema Sicherheit und Überwachung so stark in den Vordergrund gestellt, dass die Freiheitsrechte nach innen und die Grenzen, die im Verhalten gegenüber befreundeten Ländern respektiert werden müssen, überschritten worden sind, und andererseits sind die technischen Möglichkeiten so gewachsen im Laufe der Jahre, dass dies einen Umfang angenommen hat, der also eigentlich grenzenlos ist und wo die Kontrolle eigentlich um so dringender erforderlich wäre.
Wuttke: Sie sprechen jetzt von den USA. Hat man bis dato gemeinhin getan, aber an diesem Fall zeigt sich doch, dass man möglicherweise unterscheiden muss zwischen dem US-Präsidenten und seinen Geheimdiensten. Herr Voigt, schließen Sie aus, dass Barack Obamas Handy überwacht wird von seinen eigenen Leuten?
Voigt: Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich das nicht völlig ausschließen. Wir haben auch in der Vergangenheit erlebt, dass Nachrichtendienste, übrigens auch in Deutschland, die Grenze überschritten haben, die für sie gesetzlich gezogen waren. Zum Beispiel hat die SPD 1969, als sie an die Regierung kam, festgestellt, dass sie vom BND zum Teil überwacht worden war.
Wuttke: Was haben Sie denn in ihrer Zeit als Koordinator für die Bundesregierung so gemacht? War das für Sie ein Thema?
Voigt: Es war insofern ein Thema, als ich mich am Beginn meiner Tätigkeit darüber informiert hab, ob die deutschen Nachrichtendienste in den USA tätig sind und dort spionieren. Mir ist ausdrücklich gesagt worden, dass das nicht der Fall sei, und ich bin auch sicher, dass das nicht der Fall gewesen ist. Und gleichzeitig habe ich mit mehreren Leuten, die darüber noch mehr wissen als ich, gesprochen, und die haben immer vorausgesetzt, dass wir in den USA überwacht werden und dass es auch Überwachung in Deutschland gibt zum Teil.
Als ich Frankfurter Abgeordneter war, habe ich immer vorausgesetzt, dass es in Frankfurt Überwachungseinrichtungen gibt. Es gab auch solche Hinweise während der Zeit des Kalten Krieges. Dass diese noch ausgebaut worden sind und nicht eingeschränkt worden sind nach Ende des Kalten Krieges, und dass es möglicherweise solche Überwachungsstationen auch in Berlin gibt, das war mir nicht bekannt.
Wuttke: Heißt das aber trotzdem unter Umständen, dass die Empörung im Regierungsviertel nach dem, was Sie gerade gesagt haben, gespielt sein könnte?
"Es zeigt, dass einige Leute offensichtlich naiv gewesen sind"
Voigt: Nein, ich glaube, sie ist echt. Aber das macht mich auch besorgt, denn es zeigt, dass einige Leute offensichtlich naiv gewesen sind. Denn selbst, wenn die Amerikaner nicht in diesem Umfang überwacht hätten, werden das ja andere Nationen versuchen, die vielleicht nicht die gleichen technischen Möglichkeiten heute schon haben, aber doch demnächst haben werden. Deshalb ist es immer so, dass es jetzt gut ist, wenn man ein Abkommen mit den Amerikanern anstrebt über ein wechselseitiges Verhalten, wo man also sozusagen nicht gegeneinander spioniert.
Aber das ändert ja erstens nichts daran, dass andere Staaten spionieren werden, deshalb muss man die Schutzmaßnahmen verstärken, und zwar nicht nur im Regierungsviertel, sondern auch in der deutschen Wirtschaft. Und zweitens würde ich mich auf solche Zusagen auch vonseiten der Amerikaner letzten Endes nicht verlassen, selbst wenn man so ein Abkommen hat.
Wuttke: Das scheint ja der Grund zu sein für den Vorstoß, den die brasilianische Präsidentin zusammen mit der deutschen Bundeskanzlerin macht, eine UN-Resolution sozusagen als Affront gegen die USA, denn es soll dabei darum gehen, dass sich die Partner gegenseitig nicht abhören. Wie verstehen Sie das? Angela Merkel rückt damit ja de facto hinter eine Frau, die bislang sehr viel resoluter aufgetreten ist in dieser Ausspähaffäre als sie selbst.
Voigt: Also das ist ein politisches Signal. Wenn das auf Initiative dieser beiden Regierungschefs in der UNO eingebracht würde, ist das bestimmt ein Signal, das von vielen begrüßt wird. Aber es ändert nichts an der Sachlage – denn spioniert wird weiter. Und die technischen Möglichkeiten sind dafür vorhanden. Und deshalb geht es zuerst einmal darum, diese Grenzen, die ja übrigens nicht nur von den Amerikanern verletzt werden gegenüber Verbündeten, sondern offensichtlich auch von den Briten, dass dort die Grenzen im Verhalten geändert werden und dass man restriktiver ist. Aber dass die Amerikaner so restriktiv sein werden, wie wir es sind gegenüber Verbündeten, da wage ich, auch für die Zukunft Zweifel anzumelden.
Wuttke: Herr Voigt, Sie sind Sozialdemokrat, aber trotzdem die Frage an Sie: Setzt Angela Merkel mit diesem Vorstoß einer UN-Resolution trotzdem das Zeichen, dass sie sich nicht mehr länger so wegkuscht wie bislang?
Voigt: Das würde ich begrüßen.
Wuttke: Sehen Sie das dann auch als einen solchen Schritt, dass sie tatsächlich jetzt mal Position bezieht? Denn wir haben es ja alle erlebt, als wir mitgekriegt haben, dass Ihr Handy und mein Handy, das Internet von der NSA überwacht werden, da war sie ja sehr zurückhaltend, der Bundesinnenminister auch. Jetzt spielt die Sache auf einer anderen Ebene.
""Das spricht für eine gewisse Naivität""
Voigt: Sie scheint ja wirklich empört zu sein. Und ich nehme das ernst und ich respektiere das. Aber mich überrascht etwas, dass sie darüber so überrascht ist. Denn wenn bekannt ist in den Wochen zuvor, wie weit die Amerikaner abgehört haben, dann zu vermuten, dass sie davon freigestellt ist und dass sie nicht abgehört wird, also das spricht für eine gewisse Naivität. Ich zumindest weiß von Gerhard Schröder, mit dem ich ja noch engen Kontakt hatte, dass er diese Naivität nicht besaß.
Wuttke: Was heißt das?
Voigt: Dass er meinte, dass nicht nur Russen und Chinesen, sondern möglicherweise auch die Amerikaner deutsche Regierungsstellen und damit auch deutsche Politiker abhören.
Wuttke: Sagt Karsten Voigt, langjähriger Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Herr Voigt, vielen Dank für diese interessanten Einzelheiten. Schönen Tag!
Voigt: Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Karsten Voigt: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!
Wuttke: Steht Obama durch die Einlassungen von Keith Alexander jetzt wie ein begossener Pudel da oder hat er noch die Möglichkeit zu beweisen, Herr im eigenen Haus zu sein?
Voigt: Es ist so oder so für ihn eine schwierige Situation. Wenn er davon gewusst hatte, ist das natürlich schlimm, dass er das nicht eingestellt hat, und wenn er davon nicht gewusst hatte, zeigt es, dass die Nachrichtendienste und ihre Tätigkeit der Kontrolle der politischen Führung entglitten sind, und ich rechne durchaus mit dem Letzteren.
Wuttke: Es ist ja sowieso ziemlich schwierig, also einerseits die Wogen mit Angela Merkel zu glätten und andererseits Position zu beziehen und zu sagen, ich bin der oberste Chef. Geht das in dieser Situation überhaupt noch?
Voigt: Es geht darum, dass den Amerikanern nach Nine Eleven zwei Dinge passiert sind: Sie haben einerseits in einer hemmungslosen Art und Weise das Thema Sicherheit und Überwachung so stark in den Vordergrund gestellt, dass die Freiheitsrechte nach innen und die Grenzen, die im Verhalten gegenüber befreundeten Ländern respektiert werden müssen, überschritten worden sind, und andererseits sind die technischen Möglichkeiten so gewachsen im Laufe der Jahre, dass dies einen Umfang angenommen hat, der also eigentlich grenzenlos ist und wo die Kontrolle eigentlich um so dringender erforderlich wäre.
Wuttke: Sie sprechen jetzt von den USA. Hat man bis dato gemeinhin getan, aber an diesem Fall zeigt sich doch, dass man möglicherweise unterscheiden muss zwischen dem US-Präsidenten und seinen Geheimdiensten. Herr Voigt, schließen Sie aus, dass Barack Obamas Handy überwacht wird von seinen eigenen Leuten?
Voigt: Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich das nicht völlig ausschließen. Wir haben auch in der Vergangenheit erlebt, dass Nachrichtendienste, übrigens auch in Deutschland, die Grenze überschritten haben, die für sie gesetzlich gezogen waren. Zum Beispiel hat die SPD 1969, als sie an die Regierung kam, festgestellt, dass sie vom BND zum Teil überwacht worden war.
Wuttke: Was haben Sie denn in ihrer Zeit als Koordinator für die Bundesregierung so gemacht? War das für Sie ein Thema?
Voigt: Es war insofern ein Thema, als ich mich am Beginn meiner Tätigkeit darüber informiert hab, ob die deutschen Nachrichtendienste in den USA tätig sind und dort spionieren. Mir ist ausdrücklich gesagt worden, dass das nicht der Fall sei, und ich bin auch sicher, dass das nicht der Fall gewesen ist. Und gleichzeitig habe ich mit mehreren Leuten, die darüber noch mehr wissen als ich, gesprochen, und die haben immer vorausgesetzt, dass wir in den USA überwacht werden und dass es auch Überwachung in Deutschland gibt zum Teil.
Als ich Frankfurter Abgeordneter war, habe ich immer vorausgesetzt, dass es in Frankfurt Überwachungseinrichtungen gibt. Es gab auch solche Hinweise während der Zeit des Kalten Krieges. Dass diese noch ausgebaut worden sind und nicht eingeschränkt worden sind nach Ende des Kalten Krieges, und dass es möglicherweise solche Überwachungsstationen auch in Berlin gibt, das war mir nicht bekannt.
Wuttke: Heißt das aber trotzdem unter Umständen, dass die Empörung im Regierungsviertel nach dem, was Sie gerade gesagt haben, gespielt sein könnte?
"Es zeigt, dass einige Leute offensichtlich naiv gewesen sind"
Voigt: Nein, ich glaube, sie ist echt. Aber das macht mich auch besorgt, denn es zeigt, dass einige Leute offensichtlich naiv gewesen sind. Denn selbst, wenn die Amerikaner nicht in diesem Umfang überwacht hätten, werden das ja andere Nationen versuchen, die vielleicht nicht die gleichen technischen Möglichkeiten heute schon haben, aber doch demnächst haben werden. Deshalb ist es immer so, dass es jetzt gut ist, wenn man ein Abkommen mit den Amerikanern anstrebt über ein wechselseitiges Verhalten, wo man also sozusagen nicht gegeneinander spioniert.
Aber das ändert ja erstens nichts daran, dass andere Staaten spionieren werden, deshalb muss man die Schutzmaßnahmen verstärken, und zwar nicht nur im Regierungsviertel, sondern auch in der deutschen Wirtschaft. Und zweitens würde ich mich auf solche Zusagen auch vonseiten der Amerikaner letzten Endes nicht verlassen, selbst wenn man so ein Abkommen hat.
Wuttke: Das scheint ja der Grund zu sein für den Vorstoß, den die brasilianische Präsidentin zusammen mit der deutschen Bundeskanzlerin macht, eine UN-Resolution sozusagen als Affront gegen die USA, denn es soll dabei darum gehen, dass sich die Partner gegenseitig nicht abhören. Wie verstehen Sie das? Angela Merkel rückt damit ja de facto hinter eine Frau, die bislang sehr viel resoluter aufgetreten ist in dieser Ausspähaffäre als sie selbst.
Voigt: Also das ist ein politisches Signal. Wenn das auf Initiative dieser beiden Regierungschefs in der UNO eingebracht würde, ist das bestimmt ein Signal, das von vielen begrüßt wird. Aber es ändert nichts an der Sachlage – denn spioniert wird weiter. Und die technischen Möglichkeiten sind dafür vorhanden. Und deshalb geht es zuerst einmal darum, diese Grenzen, die ja übrigens nicht nur von den Amerikanern verletzt werden gegenüber Verbündeten, sondern offensichtlich auch von den Briten, dass dort die Grenzen im Verhalten geändert werden und dass man restriktiver ist. Aber dass die Amerikaner so restriktiv sein werden, wie wir es sind gegenüber Verbündeten, da wage ich, auch für die Zukunft Zweifel anzumelden.
Wuttke: Herr Voigt, Sie sind Sozialdemokrat, aber trotzdem die Frage an Sie: Setzt Angela Merkel mit diesem Vorstoß einer UN-Resolution trotzdem das Zeichen, dass sie sich nicht mehr länger so wegkuscht wie bislang?
Voigt: Das würde ich begrüßen.
Wuttke: Sehen Sie das dann auch als einen solchen Schritt, dass sie tatsächlich jetzt mal Position bezieht? Denn wir haben es ja alle erlebt, als wir mitgekriegt haben, dass Ihr Handy und mein Handy, das Internet von der NSA überwacht werden, da war sie ja sehr zurückhaltend, der Bundesinnenminister auch. Jetzt spielt die Sache auf einer anderen Ebene.
""Das spricht für eine gewisse Naivität""
Voigt: Sie scheint ja wirklich empört zu sein. Und ich nehme das ernst und ich respektiere das. Aber mich überrascht etwas, dass sie darüber so überrascht ist. Denn wenn bekannt ist in den Wochen zuvor, wie weit die Amerikaner abgehört haben, dann zu vermuten, dass sie davon freigestellt ist und dass sie nicht abgehört wird, also das spricht für eine gewisse Naivität. Ich zumindest weiß von Gerhard Schröder, mit dem ich ja noch engen Kontakt hatte, dass er diese Naivität nicht besaß.
Wuttke: Was heißt das?
Voigt: Dass er meinte, dass nicht nur Russen und Chinesen, sondern möglicherweise auch die Amerikaner deutsche Regierungsstellen und damit auch deutsche Politiker abhören.
Wuttke: Sagt Karsten Voigt, langjähriger Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Herr Voigt, vielen Dank für diese interessanten Einzelheiten. Schönen Tag!
Voigt: Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.