Kartell der Stromgiganten

Wenn der Wahltag naht und die Strompreise steigen, fühlt sich so mancher Politiker zu einem populistischen Rundumschlag gegen die Stromerzeuger verführt. So auch kürzlich der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel, der gleich die ganze Strom-Branche in Einzelteile zerlegen wollte.
Grund für seinen, mit viel öffentlichem Beifall bedachten Vorstoß ist die massive Steigerung der Strompreise und das Bekanntwerden der überproportional gewachsenen Profite der vier deutschen Stromriesen. Diese vier, Eon, Vattenfall, RWE und EnBW haben Deutschland praktisch in vier Einflusszonen aufgeteilt.

Und in diesen Zonen gehören Ihnen zusätzlich auch noch die alles entscheidenden Netze. Ohne diese Stromnetze kann kein anderer Anbieter in Wettbewerb mit den großen vier treten. Und die vier lassen, so ist es nun einmal in einem quasi abgeschotteten Markt, praktisch keinen Konkurrenten in ihr Territorium herein. So weit, so schlecht.

Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Denn bevor man etwas beseitigt, muss man sich genau überlegen, was denn an die Stelle dieser Großkonzerne treten soll, wenn man sie dann, wie vorgeschlagen, zum Verkauf ihrer Kraftwerke oder ihrer Netze zwingen will.

Nicht ganz zu Unrecht weist die Düsseldorfer Wirtschaftsministerin Christa Thoben darauf hin, dass dann blitzschnell ausländische Konzerne, wie zum Beispiel Gazprom aus Russland oder chinesische Staatsfonds als bereitwilligste Käufer auftreten werden. Und dann?

An der Einspeisung von alternativen Energien in deutsche Stromnetze sind diese sicherlich weniger interessiert als deutsche Unternehmen. Und Anbieter aus den europäischen Nachbarstaaten hätten auch keine größeren Chancen im deutschen Markt. Interessiert wären Großkonzerne wie Gazprom vor allem daran, die eigene Energie zu Höchstpreisen zu veräußern.

Ob die Zwangsveräußerer das bedacht haben? Sicherlich wollen Sie uns doch nicht vorschlagen, dass der Staat die Energieversorgung wieder übernehmen, also die Energieproduzenten verstaatlichen sollte. Inzwischen spüren aber auch die Energieriesen die aufziehende Gefahr.

In ungewohnt konziliantem und werbendem Ton sucht Eon-Chef Wulf Bernotat das Publikum und die Politik von der Rationalität und Legitimität des derzeitigen Ist-Zustandes zu überzeugen. Dass ein Oligopol bestehen soll, kann er natürlich nicht erkennen. Und Preisabsprachen zwischen den großen Erzeugern oder gar Marktmanipulation hat es auch nie gegeben. Was sollte er auch anderes sagen?

Tatsache ist aber, dass die übergroße Marktmacht besteht und dass diese leicht zum Machtmissbrauch verführt. Das werden auch die Großversorger, zumindest theoretisch, nicht in Abrede stellen wollen.

Der gerade neu ins Amt gekommene RWE-Chef Jürgen Großmann ist mit einem wachen Instinkt für politische Gefahren ausgestattet. Darum forderte er auch gleich zur Rückkehr zur sachlichen Diskussion auf. Das geht sicher an die Adresse der Politik. Denn inzwischen haben sich den Zerschlagungsplänen auch noch die Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern angeschlossen.

Der Appell könnte sich aber auch an die eigene Adresse richten, zum Beispiel an Eon-Chef Wulf Bernotat. Der sprach zwar mit sanfter Stimme, zeigte aber auch vorsorglich schon mal die Keule der eigenen Finanzmacht vor. Bernotat versprach Milliarden an Zukunftsinvestitionen - aber nur, wenn sie auch gewollt seien. Soll heißen: Wenn die Politik widerspenstig ist, dann gibt es keine Zukunftsinvestitionen in Höhe von circa 60 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010 um die Stromnetze zu erneuern. Im Strafrecht könnte man versucht sein, so etwas eine Nötigung zu nennen.

Aber so weit wird es nicht kommen. Denn die Verantwortlichen wollen ja wieder zum "energiepolitischen Dialog im Zeichen der Verständigung zurückkehren", so sagen sie wenigstens. Das wäre auch angebracht. Haben die Stromriesen doch durchaus etwas zu bieten und zu verlieren. Sie halten den Schlüssel für die Zukunftsversorgung Deutschlands mit Energie in der Hand. Sie sind Eigentümer von fast 80 Prozent der Kraftwerke im Lande. Aber sie haben diese auch gebaut und finanziert und wollen an deren Laufzeiten verdienen.

Indes so weitergehen wie bisher wird es nicht. Zu sicher waren sich die Giganten insbesondere wegen ihrer Nähe zu einflussreichen Politikern. So zählt Grossmann zu den engen Freunden von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Der Wettbewerb, von dem alle profitieren und auf dem die Markwirtschaft beruht, wird zurückkehren. Die Zeiten der schlichen Strom-Oligopol-Verwaltung nähern sich dem Ende.

Als lehrreiches Beispiel lohnt ein Rückblick in die amerikanische Wirtschaftsgeschichte. In den USA, einem sicherlich eindeutig kapitalistischen Land, zerschlug die Politik in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts das Imperium des mächtigen Öl-Industriellen John D. Rockefeller I. durch ein neu geschaffenes Anti-Trust-Law, ein scharfes Kartellrecht. Eine Kartellgesetzgebung haben wir auch. Und wenn die Stromherrscher den Wettbewerb nicht zulassen wollen, wird die Politik ihn erzwingen - auch wenn das manchmal seine Zeit braucht.


Dr. Friedrich Thelen, geboren am 16. Oktober 1941 in Berlin

1961 Abitur, Grundwehrdienst als Leutnant der Reserve - heute: Oberst d. R.
1962 - 1964 Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Philosophie in Marburg, Strassburg und Bonn, Staatsexamen
1964 - 1965 Studium an der London School of Economics und Barristerausbildung in London
1965 - 1968 Universität Bonn, Staatsexamen
1968 - 1974 Referendarausbildung und Bundestagsassistent
1974 Promotion
1974 Ressortleiter Außenpolitik bei Christ und Welt
1976 Geschäftsführer beim Deutschen Entwicklungsdienst
1977 Ressortleiter Rechtspolitik bei Die Welt
ab 1978 Bonner Korrespondent und Büroleiter der Wirtschaftswoche
1988 Fellow Harvard University, John F. Kennedy School for Government
ab 1999 Berliner Büroleiter der Wirtschaftswoche
Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), der Atlantik Brücke, Tönnissteiner Kreis, Mars und Merkur