Kasachstan

Einschlafen beim Melken

Ein Mädchen gähnt.
In Kalatschi schlafen Menschen tagelang. Warum das so ist, weiß niemand. © picture alliance / dpa - Martin Gerten
Von Bernd Großheim · 22.09.2014
Mediziner und Biologen stehen vor einem Rätsel: Im kasachischen Kalatschi fallen Menschen plötzlich in Tiefschlaf – und schlummern tagelang. Kann es an mutiertem Gras liegen? Oder lullt radioaktives Metall die Menschen ein?
Einfach mal lange schlafen. Das wünscht sich so mancher gestresste Westeuropäer. Sechs Tage am Stück schlafen und dann im Krankenhaus aufwachen, das ist vermutlich nicht unbedingt ein Wunschtraum. Seit mehr als einem Jahr rätseln die Bewohner des Dorfes Kalatschi in Kasachstan in Zentralasien, warum einigen von ihnen genau das passiert. Mehr als 40 "Krankheitsfälle" hat es schon gegeben. Sie schlafen ein bei dem, was sie gerade tun, wie zum Beispiel die Bäuerin Marina Felk. Sie schlief im Stall ein, beim Melken.
Marina Felk: "Ich habe zwei Tage lang geschlafen und bin erst im Krankenhaus wach geworden. Die andere Frauen dort haben mich "Dornröschen" genannt. Geträumt habe ich gar nichts, ich kann mich auch an nichts erinnern, ich habe keine Ahnung, was mit mir passiert ist. Später haben mir dann andere Patientinnen erzählt, dass ich im Schlaf Kühe melken wollte."
Ein anderer Dorfbewohner sagt, er habe sich abends vor den Computer gesetzt. Dann sei es gewesen, als habe jemand den Schalter ausgeknipst, nicht den vom Rechner, sondern von ihm. Drei Tage lag er im Krankenhaus und schlief. Die Ärzte dort stehen auch vor einem Rätsel, meint Klinikchef Kabdraschit Almagambetow
Almagambetow: "So etwas haben wir noch nicht gesehen, weder bei uns, noch in unserem Gebiet, nirgendwo. Wir haben im Internet gesucht und in Fachbüchern: diese klinische Symptomatik taucht nicht auf. Das hier in Kasachstan ist offenbar das erste mal."
Mutation aus dem Weltall?
Die Ärzte haben seit kurzem Unterstützung. Ein elfköpfiges Forscherteam ist mit einem mobilen Labor in Kalatschi angerückt, um der Schlafkrankheit auf den Grund zu gehen. Inzwischen schließen sie aus, dass es sich um eine Infektionskrankheit handelt oder von Bakterien hervorgerufen wird. Ihre Empfehlung bisher: vitaminreiche Kost und wenig Alkohol. Eine naheliegende Theorie: In der Gegend um Kalatschi wurde früher Uran abgebaut. Das radioaktive Metall könnte das Trinkwasser verseucht haben. Aber auch da ist sich der Dorfbewohner Bersen Stadler nicht sicher.
Stadler: "Früher gab's so was nicht, obwohl das Bergwerk noch in Betrieb war. Viele denken, dass die Überbleibsel der Gruben der Grund für die Schlafanfälle sind. Interessant ist: solange es kalt ist, ist alles ruhig. Wenn es wärmer wird und taut, kommt die Krankheit zurück."
In der Bevölkerung schießen die Theorien, was die Krankheit auslöst, buchstäblich ins Kraut. Eine Wahrsagerin glaubt, dass Strahlen aus dem Weltraum ein Gras genetisch verändern. Diese mutierte Pflanze könne sich tarnen, werde von Kühen gefressen, gelange in die Milch und so in den menschlichen Organismus, der dann bis zu sechs Tage lahmgelegt wird. Faszinierend eigentlich. Dagegen ist die Theorie eines kasachischen Schlafforschers, der meint, die Betroffenen litten einfach nur unter Wahnvorstellungen, schon eher langweilig, zum Einschlafen.
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