Der Protest geht weiter
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Im Juni wurde in Kasachstan unter Protest ein neuer Präsident gewählt, nachdem Nasarbajew überraschend zurückgetreten war. Der Neue gilt als Marionette des alten Präsidenten, die Menschen protestieren weiter – und das Land kommt nicht zur Ruhe.
Über dem kleinen Städtchen Arys im Süden Kasachstans steht die Mittagshitze – 45 Grad, die Luft flimmert. An der Hauptstraße, steht eine Reihe kleiner Wohnhäuser. Vor Nummer 9 laden Bauarbeiter mit nackten Füßen in Badeschlappen Holzbohlen und Bretter von einem LKW und schleppen sie in den Hof.
Der Dachstuhl des Hauses liegt offen, im gesamten Innenhof sind neue Balken verteilt. Daneben liegen Überreste des alten Dachs – Holzlatten und Asbestplatten, mit denen die Häuser in Arys üblicherweise gedeckt sind.
"Die Druckwelle hat die Dächer eingedrückt. Hier, die Reste des alten Dachs. Das ist einfach eingebrochen."
Erzählt einer der Bauarbeiter. Die Männer gehören zu einem der Dutzenden Bautrupps, die derzeit in Arys unterwegs sind. Fast ein Viertel der Häuser der 45.000-Einwohner-Stadt muss repariert oder sogar neu aufgebaut werden. Denn am 24. Juni hatte eine gewaltige Explosion den Ort erschüttert. Nur ein paar hundert Meter vom Ort entfernt liegt ein Sprengstofflager der kasachischen Armee. An jenem Montag, morgens um halb zehn, war ein Großteil der dort gelagerten Munition in die Luft geflogen. Wie durch ein Wunder kamen nur zwei Soldaten und ein Zivilist bei der Explosion ums Leben. Hunderte Menschen wurden verletzt. Bis heute dauern die Aufräumarbeiten noch immer an.
Sie steht verloren neben ihrem weggebombten Haus
Bei Kalbibi Baimishova auf dem Hof ist kein Baulärm zu hören. Ihr Haus gibt es nicht mehr. Eine zertrümmerte Wand markiert die Grenze zu ihrem Nachbargrundstück. Die 53-Jährige steht in einem hellblauen Kleid verloren neben einer planierten Fläche. Kalbibi, die drei jüngeren ihrer sechs Kinder und ihre Mutter wohnen jetzt in der Sommerküche.
Als das Munitionslager explodierte, erinnert sie sich, war sie zur Arbeit. Sie hilft im örtlichen Krankenhaus als Putzfrau. Dort habe man sofort die Kranken evakuiert, sie selber sei wegen ihrer alten Mutter nach Hause gerannt, erzählt sie.
"Als ich ankam, waren alle Fenster zerbrochen. Ich hab meine Mutter in den Rollstuhl gesetzt, und ohne irgendwas einzupacken, sind wir einfach losgelaufen."
Mittlerweile ist klar, Kalbibi und ihre Familie werden ein neuen Haus bekommen. Erinnerungen und wichtige Dokumente aber gibt ihr keiner zurück. Den Plan für das neue Haus hat sie einfach unterschrieben. Welche Wahl habe sie denn gehabt, fragt sie.
"Wir sind denen doch völlig egal!"
Für die kasachischen Behörden ist das Thema Arys nahezu abgeschlossen. Die Regierung hat den Wiederaufbau der Stadt angeordnet. Strafrechtliche Konsequenzen wird die Explosion des Sprengstofflagers wahrscheinlich nicht haben. Verteidigungsminister Nurlan Yermekbayev hatte Anfang Juli erklärt, in Munitionslagern sei so eine Explosion ein "natürliches Phänomen". Doch für viele Bewohner von Arys ist die Explosion eine hoch politische Angelegenheit – auch wenn die meisten, so wie Kalbibi, dazu aus Angst lieber nichts sagen. Innerhalb von zehn Jahren hat es bereits vier solcher Vorfälle gegeben. Einschließlich der jetzigen Opfer starben insgesamt zehn Menschen. Dass die kasachische Regierung die Katastrophe in Arys unter den Tisch kehren will, macht auch Auelkhan Shonzhan wütend.
"Die haben gewusst, dass früher oder später was passieren wird. Seit 30 Jahren schleppen die das Zeug hierher, warum bringen die das nicht in die Steppe? Soll es doch da explodieren. Aber wir sind denen doch völlig egal!"
Auelkhan, ein 65-jähriger Rentner, hat ein Geschwür an der Hüfte, das ihn ans Bett fesselt. Während seine Frau sich um Haushalt und die Tiere kümmert, verbringt der ehemalige Buchhalter die meiste Zeit im Internet. Der Laptop auf einem Stuhl an seinem Bett, das Smartphone daneben. Auelkhan war nach der Explosion als einer von ganz wenigen in Arys geblieben. Sein Haus liegt auf der anderen Seite der Stadt und ist heil geblieben. Sobald es Strom gab, berichtete er auf Facebook, was in Arys passiert war.
Und er bekam selbst durchs Internet mit, dass die Evakuierten in Shymkent auf die Straße gingen.
30 Jahre Frust und Ärger durch das Regime
Tausende hatten sich dort vor der lokalen Zentrale der Präsidentenpartei "Nur Otan" versammelt und forderten Rechenschaft von den Behörden. Nach Arys zurückkehren wollten sie aus Angst nicht. Für Auelkhan ist die Politik der letzten drei Jahrzehnte die Ursache für den Frust und Ärger der Leute. Nursultan Nasarbajew, der seit 1991 Präsident Kasachstans gewesen war, habe das Land zugrunde gerichtet.
"Das Regime ist so was von am Ende – diese Korruption und alles. Wenn ich mich beschwere, dass die Behörden hier schlampen, hört doch sowieso keiner zu. Und was sollen die Leute machen, wenn man ihnen nicht zuhört? Dann gehen sie auf die Straße und protestieren. – 28 Jahre sind für einen Menschen ja wohl doch ein bisschen viel, oder? Von wegen der ist zurückgetreten! Der hat sich eingerichtet und abgesichert und kommandiert weiterhin alles."
Dass Auelkhan den Mut hat, Nasarbajew ganz offen zu beschimpfen, hat einen Grund: im März war dieser überraschend als Präsident zurückgetreten. 30 Jahre lang hatte der heute 79-Jährige das Land regiert, war im Volk wirklich beliebt.
Doch Personenkult, Korruption, ins Ausland verschobene Milliarden und die wirtschaftliche Talfahrt der vergangenen Jahre haben Nasarbajews Autorität untergraben. Die Bevölkerung hat seine Politik satt.
Seit Nasarbajews Rücktritt ist Kasachstan nun in politisch ungewohnt unsicheres Fahrwasser geraten: Die Post-Nasarbajew-Ära hat begonnen – scheinbar. Denn im Grunde ist der neue Präsident Tokajew nur ein Instrument, um Nasarbajew und seine Familie weiterhin an der Macht zu halten. So jedenfalls die überwiegende Meinung der ausländischen und inländischen Beobachter.
"So jemanden wie Nasarbajew wird es nicht mehr geben"
Almaty, die größte Stadt Kasachstans, rund 800 Kilometer von Arys entfernt. Sie bleibt für viele Intellektuelle das Zentrum des Landes – obwohl Astana, das nun zu Ehren Nasarbajews in Nur-Sultan umbenannt wurde, die Hauptstadt Kasachstans ist.
Yevgeniy Zhovtis ist einer der renommiertesten politischen Analysten Kasachstans und wohnt im alten Zentrum von Almaty.
"Es ging nie darum, wer Nasarbajew beerben würde. Viel wichtiger ist, wie politische Ämter verteilt werden, um die Garantien, die Nasarbajew den Eliten für deren Sicherheit persönlich gegeben hat, zu institutionalisieren. Weil es so jemanden wie Nasarbajew nicht mehr geben wird."
Kassym-Jomart Tokayev, ehemaliger Senatssprecher, ist seit 9. Juni neuer Präsident Kasachstans. Er war Interimspräsident nach Nasarbajews Rücktritt und gilt als dessen willige Marionette. Bei den Präsidentschaftswahlen, das erklärten die Wahlbeobachter der OSZE, seien fundamentale Freiheiten verletzt und Kritiker unter Druck gesetzt worden.
Das alte Regime wollte den Machttransfer kontrolliert über die Bühne gehen lassen. Einziger Schönheitsfehler – es hat nicht mit der Widerspenstigkeit der eigenen Bevölkerung gerechnet.
"Die Leute haben weniger Angst. Der Staat ist irgendwie verzweifelt, weil er keine Lösungen findet. Und die Leute drücken ihre Unzufriedenheit aus. Aber der Staat verweigert ihnen Gerechtigkeit."
Denn die Menschen trieb nicht nur in Shymkent ihre Wut auf die Straße, nach der Katastrophe in Arys. Im Westen Kasachstans wurden jüngst Öl-Arbeiter gegenüber ausländischen Kollegen massiv gewalttätig, weil sie deutlich weniger verdienten. In einem Vorort von Almaty besetzten Demonstranten für Stunden eine wichtige Ausfallstraße, weil sie jetzt im Sommer nur rationiert Wasser erhalten. In Nur-Sultan forderten alleinerziehende Mütter vor kurzem bessere Unterstützung. Am 6. Juli, Nasarbajews Geburtstag, gab es erneut Proteste und Massenverhaftungen, Journalisten wurden bei ihrer Arbeit massiv bedroht und behindert. Die Anlässe der Proteste sind grundverschieden. Doch alle eint – die Menschen suchen ein Ventil für ihre Unzufriedenheit mit der Politik des etablierten Regimes.
Proteste durch junge Bewegung "Oyan Qazakstan"
An einem warmen Juliabend in der Fußgängerzone in Almaty, gegenüber der Oper. Junge Familien und Liebespaare bummeln, ältere Leute sitzen auf Bänken neben den zahlreichen Springbrunnen. Die Bewegung "Oyan Qazakstan" hat zu einem öffentlichen Treffen aufgerufen. Eine kleine Lautsprecheranlage ist aufgebaut, die jungen Leute verteilen Aufkleber mit dem Namen der Bewegung. Sie kleben an Rucksäcken, nackten Oberarmen und einer Bulldogge am Geschirr. Dann treten nacheinander einige der Aktivisten ans Mikrofon, singen Lieder oder rezitieren Gedichte, alle persiflieren oder kritisieren in irgendeiner Weise den alten oder den neuen Präsidenten und werden mit Beifall gefeiert.
"Oyan Qazakstan" heißt auf Deutsch "Wach auf, Kasachstan". Diese jungen Leute hier – Künstler, Studenten, Journalisten – haben die jetzige Protestwelle in Kasachstan überhaupt erst losgetreten, kurz nach Nasarbajews Rücktritt im März ging es los. Dimash Alzhanov, 35 Jahre alt, Absolvent der London School of Economy and Politics, ist einer der Initiatoren und erklärt, was "Oyan Qazakstan" will.
"Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, an die Macht zu kommen, wir wollen das System ändern. Wir haben den Raum besetzt, den es hier quasi nicht gibt. Weil es keinen politischen Pluralismus gibt und keine fairen Wahlen. Deshalb nennen sie uns Opposition, aber wir kämpfen für demokratische Institute und Mechanismen und nicht um die Macht."
Die Aktivisten von "Oyan Qazakstan" wollen mit den Leuten in der Fußgängerzone ins Gespräch kommen, sagen sie. Plötzlich spricht ein älterer Herr einen der Aktivisten an, er stellt sich als Sergej vor, sei Physikprofessor.
"Das Land wird sich nicht ändern. Natürlich hätte ich das auch gerne, nur ist das System sehr widerstandsfähig. – Aber ich wünsche Ihnen viel Erfolg, vielleicht werden so Leute wie ich Sie eines Tages ganz offen unterstützen, auch wenn ich das bezweifle."
Der Professor wirft den Aktivisten vor, dass sie nur die Stadtbevölkerung vertreten. Auf dem Lande hätten die Menschen andere Probleme. Doch fragt man beispielsweise die Menschen in Arys, dem Ort, in dem das Munitionslager explodiert war, fühlen die sich durchaus angesprochen. Auelkhan, der ans Bett gefesselte Rentner, hatte ein paar Tage vorher berichtet, dass er die Arbeit der Aktivisten von "Oyan Qazakstan" unterstütze.
"Ich weiß Bescheid über "Oyan Qazakstan", ich kenne deren Programm. Bisher gehen ja fast nur die Jungen auf die Straße, aber die wissen, was in den Dörfern hier vor sich geht. Dass es keine Arbeit gibt, dass die Kinder nicht wissen, wie sie Geld verdienen sollen. Wir bitten die Regierung ja nicht um Geld – gebt uns einfach Arbeit. Wir brauchen keine Fische – die Angel reicht uns schon. Gebt uns einfach eine Angel."
Von einem zweiten Maidan weit entfernt
Die Wirtschaft in Kasachstan stagniert. Niedrige Rohstoffpreise und die Russlandsanktionen, aber eben auch Vetternwirtschaft und Korruption sorgen dafür, dass es Menschen wie Kalbibi und Auelkhan in Arys, aber auch vielen Städtern wirtschaftlich immer schlechter geht. Und deren Wut und Protestbereitschaft wachsen. Von einem zweiten Maidan aber, davon, dass Zehntausende Menschen in Kasachstan gleichzeitig an vielen Orten auf die Straße gingen, ist das Land weit entfernt. Denn für die meisten Menschen in Kasachstan geht das Leben nach den Wahlen trotz der Proteste normal weiter.
Obwohl Sommerferien sind, sitzen in einem neu gebauten Hochhaus in Almaty sieben Kinder in einem kleinen freundlichen Klassenzimmer. Sie sind zwischen sieben und 14 Jahren alt, und müssen sich auf Kommando der Lehrerin Bilderreihen merken oder nach Schnelligkeit aus Klötzchen geometrische Figuren zusammensetzen.
"Sapsan – Schule zur Entwicklung des Intellekts" heißt die Einrichtung. Wohlhabende Eltern können hier ihre Kinder für rund 135 Euro einen Monat lang zweimal die Woche herschicken, für mehr als 1.000 Euro auch mehrere Monate lang. Die Kinder lernen Rhetorik, Zahlenverständnis oder schulen ihre analytischen Fähigkeiten.
Mit Künstlicher Intelligenz Geld verdienen
Dauren Nurov, 29 Jahre alt, in Jeans und Marken-Polohemd, ist Inhaber der Schule. Die, so erklärt er, sei ein Franchise-Unternehmen. In nur zwei Jahren habe man Ableger in 26 Städten in Kasachstan und jüngst auch in Russland gegründet.
"In zwei Jahren haben wir ganz Kasachstan erobert. Mit Russland fangen wir gerade an. Das heißt, wir exportieren intellektuelle Dienstleistungen nach Russland. Das ist ganz selten, weil es sonst üblicherweise andersrum ist, und wir sind da ziemlich stolz drauf."
Nurov hat in Großbritannien Wirtschaft studiert. Kürzlich wurde er vom Forbes-Magazin zu einem der erfolgreichsten Jungunternehmer in ganz Asien gewählt. Mit Künstlicher Intelligenz und Robotik will er künftig richtig Geld verdienen. Insgesamt 50 Leute arbeiten für Nurov, etwa die Hälfte hier im Headquarter der Sapsan-Schule. Mit der anderen Hälfte arbeitet er an seinem neuesten Projekt – dem Roboter "Karakurt". Der ist eine Auftragsarbeit der kasachischen Regierung.
Auf seinem Smartphone zeigt Nurov einen der bisherigen drei Prototypen des Roboters. Ein kleiner Panzer, so groß wie ein Elektroauto für Kinder, rollt auf Ketten durch die kasachische Steppe, darauf sitzen zwei Männer.
"Obwohl der nur so klein ist, hat er einen Radius von 15 Kilometern und kann bis zu 500 Kilogramm transportieren."
Als er bei der Armee war, erzählt Nurov, habe er ein paar hohe Offiziere kennengelernt. Die hätten ihm das Projekt angetragen. Nurov kooperiere nun mit dem kasachischen Verteidigungsministerium. Ist ein ganz normaler, vor allem so junger Unternehmer in Kasachstan in der Lage, als Selfmade-Mann so ein Projekt zu akquirieren?
Der politische Analyst Yevgeniy Zhovtis meint: "Das klappt nur bei denen, die den Machtstrukturen nahestehen, die administrative Unterstützung haben. Die Regeln und Institute der normalen Geschäftswelt funktionieren hier nicht. Es gibt ja keine Rechtstaatlichkeit. Das heißt, solche Leute zählen drauf, dass man sie schützt. Und ihr Erfolg hängt davon ab, wie stark diejenigen sind, die sie protegieren."
Jungunternehmer Dauren Nurov und Oyan-Aktivist Dimash Alzhanov könnten Kommilitonen sein. Sie ähneln sich äußerlich, und in ihren Umgangsformen. Beide sind gebildet, haben Auslandserfahrung. Könnte Nurov sich vorstellen, an den Protesten teilzunehmen? Seine Antwort fällt vorsichtig aus.
"Dass die Leute ihre Meinung sagen, das ist in Ordnung. Gewalt heiße ich dagegen nicht gut, auch wenn diese sicher eine Folge gewisser Probleme ist. Aber ich glaube, Präsident und Regierung wissen sehr genau, wie sie diese Probleme lösen können. Und sie sind ja zum Dialog bereit. Die Demokratisierung unserer Gesellschaft hat begonnen. Allerdings sollten die Herrschenden nicht bedroht werden, damit sie nicht die Daumenschrauben anziehen und das Regime verschärfen. Deshalb sollte man sie die Reformen lieber selber machen lassen."
Runder Tisch für Zivilgesellschaft – pragmatisches Manöver?
Tatsächlich ist Präsident Tokayev nach den Protesten rund um die Präsidentschaftswahlen auf die Aktivisten zugegangen. Gerade hat er den so genannten "Nationalen Rat für gesellschaftliches Vertrauen" gegründet.
"Die jungen Leute sind eingeladen, Fragen an einem Runden Tisch zu diskutieren, nicht aber auf der Straße durch Proteste. Nur durch einen Dialog können wir die Probleme, die es möglicherweise in unserer Gesellschaft gibt, gemeinsam lösen."
Mitglieder des Vertrauensrates sind rund 40 Vertreter der Zivilgesellschaft – Menschenrechtler, Regisseure, Unternehmer. Sie sollen der Regierung einen Einblick in die Interessen der Gesellschaft gewähren und an Gesetzesvorlagen mitwirken, um einen "konstruktiven Dialog" zu ermöglichen. Von "Oyan Qazakstan" ist niemand dabei. Und auch Analyst Zhovtis sieht den Vertrauensrat skeptisch. Seiner Meinung nach sei dies ein rein pragmatisches Manöver der Regierung.
"Sie machen das nicht, um die Demokratie zu entwickeln, sondern um sich zu legitimieren. Was heißt das denn, wenn der Präsident einen solchen Vertrauensrat gründet? Dass das Parlament kein Vertrauen genießt. Die gewählten Parlamentarier sollten ja die Gesellschaft repräsentieren. Aber da sie dies nicht tun, muss ein zusätzlicher Kanal für den Austausch mit der Zivilgesellschaft geschaffen werden."
Bisher sind die Proteste in Kasachstan friedlich geblieben. Die Strategie der Sicherheitsbehörden ist es offensichtlich zu deeskalieren, und zwar mit wiederholten Massenverhaftungen. Die Demonstranten, oder auch zufällig vorbeigehende Passanten, werden immer wieder mit brutaler Gewalt in Busse verladen und abtransportiert. Waffen kamen auf Seiten der Behörden bisher nicht zum Einsatz – keine Schlagstöcke, kein Tränengas, keine Schusswaffen. Teilnehmer der Proteste rund um die Präsidentschaftswahlen allerdings berichten, sie hätten in Almaty Scharfschützen auf Dächern und Balkonen rund um die Demonstrationen gesehen.
Noch ist unklar, wie die gesellschaftlichen Probleme in Kasachstan in Zukunft gelöst werden sollen. Auf demokratischem Wege werden die alten Eliten ihren Machtanspruch nicht zur Disposition stellen. Fakt ist aber, die jahrelange Stabilität in Kasachstan ist vorbei, die unruhigen Zeiten haben gerade erst begonnen.